Wenn es dunkel wird

 

Ihr kennt das auch oder? Der Herbst kommt, draußen wird es ungemütlich und die Sonne geht schon am Nachmittag unter und irgendwie sinkt die Stimmung. So ist es zumindest bei mir im Moment.

Ich ertappe mich öfter dabei zu hinterfragen, wie ein Leben ohne Kunibert wohl aussehen würde. 

Wir wollten ursprünglich noch ein drittes Kind. Allein aus ethischen Gründen wäre es aber mehr als egoistisch bewusst ein Kind in die Welt zu setzen, welches langfristig ohne Papa aufwachsen wird. Dazu kommt, dass Revlimid (das Erhaltungsmedikament) ein kleiner Bruder von Kontagan ist. Was das mit ungeborenen Kindern macht, dürfte allgemein bekannt sein. Unser Held und ich wurden mehr als einmal darüber aufgeklärt. Gefühlt sind gerade alle um mich herrum schwanger, und das ihr Lieben trifft mich mit voller Breitseite, auch wenn ich mich wirklich für die Mamas freue. Ich merke auch, dass ich in letzter Zeit dazu tendiere egoistischer zu werden. Am liebsten hätte ich eine Auszeit. Eine Auszeit von Kunibert, von Medikamenten, vom Familienwahnsinn und auch unserem Helden. Meine Gedanken kreisen um Kunibert. Um die Dinge die er mit sich bringt. Ich lebe im Bewusst sein damit, dass ich irgendwann verwitwet sein werde, die Kinder ohne unseren Helden sind. Da gibt es kein eventuell sondern ein, es wird so kommen. Ich denke nicht immer daran, aber häufig. Als Angehörige darfst Du das nur nicht all zu häufig zeigen. 20170810_175354

Ich versuche mich mit Sport von diesen Gedanken abzulenken. Ich versuche zu vergessen, wie ein Leben ohne Kunibert hätte sein können. Kunibert raubt uns ein Stück Kontrolle, ich mag so etwas nicht. Durch Sport erlange ich zumindest Kontrolle über mich zurück. Wenn schon einiges außer Kontrolle gerät, dann kontrolliere ich mich wenigstens selbst. Das ist etwas, was nur mir gehört, mir ganz allein. Abgesehen davon sind ein paar breite Schultern ganz gut, die können nämlich etwas mehr tragen.20170829_203407

Zuhause fallen Wörter wie Nebenwirkungen, Patientenverfassung und Erhaltung. Freunde und Familie fragen, verständlicher Weise immer danach wie es nun mit unserem Helden weitergeht. Was passiert wenn die Medikamente nicht mehr wirken? Wie Geht es dann weiter? Wann kommt die nächste Chemo? Und wie verträgt er das medikament zur Erhaltung? Wie schafft er die Arbeit? Die Fragen sind nachvollziehbar und wirklich völlig verständlich für mich, aber sie strengen mich im Moment enorm an.20170919_140442

Ich bin mir nicht sicher woher diese Tiefs hin und wieder kommen. Möglicherweise liegt es eben an diesem Wetter und auch am Schokoladenverzicht, wer weiß. Zum Glück ist immer Sonntags CHeatday J

Die Heldenkinder sollen so wenig wie möglich mitbekommen und dennoch frage ich mich ab wann der Zeitpunkt gekommen ist, ihnen etwas mehr zu sagen. Im Moment ist es noch nicht soweit. Aber Gedanken um dieses Gespräch mache ich mir jetzt schon.

Ich will mir über sowas keine Gedanken machen. Ich möchte stattdessen darüber nachdenken welche Kuchen ich morgen backe, welchen Hustensaft wir brauchen oder wann der Müll abgeholt wird. Ich will mir Gedanken um das Taschengeld der Kinder und um die passende Farbe im Wohnzimmer machen.20170730_164436 - Kopie

Ich bereue meine Entscheidung Pro Held, Pro Hochzeit und Pro Leben mit Kunibert nicht, aber ich vermisse dennoch mein altes. Es gibt Momente, da wirkt alles so unecht und ich hoffe, wenn ich Abends ins Bett gehe, dass ich am nächsten Morgen aus diesem Alptraum wieder aufgewacht bin.

Und dann gibt es die Tage, die fast so wie früher sind. So leicht und luftig. Kunibert gerät in den Hintergrund weil wir einfach nur wir sein können. Ich weiß, dass diese Tage wiederkommen werden, wünschte mir aber dass schon Heute einer von Ihnen wäre.P1100918

 

 

 

 

 

6 Gedanken zu „Wenn es dunkel wird

  1. Wer würde es Dir verdenken? Und gerade jetzt, wo man sich schon ein ausgewachsenes Seelentief fangen kann, ohne, dass der Liebste todkrank ist? Das Traurigste ist, dass man Dir /Euch nicht helfen kann. Ich kann Deinen Fluchtreflex total gut verstehen. Ehrlich, ich ziehe jeden Tag, den Du meisterst, meinen Hut vor mir. Ich drücke Dir die Daumen für noch gaaaaaanz viele sonnige, unbeschwerte Tage. Die Du – und das ist ein Geschenk! – so viel intensiver erlebst, als andere Menschen. Weil Du weißt, wie kostbar sie sind, wie kostbar das Leben ist. Danke, dass Du uns daran erinnerst.

  2. Hallo, ich weiß wie du Dich fühlst, da mein Mann an der gleichen Krankheit leidet wie Deiner. Ich frage mich aber manchmal, wenn ich Deine Texte lese, warum Du nicht etwas optimistischer bist. Ja, die Krankheit ist (noch) unheilbar, aber wenn ich in dem Bewusstsein leben würde, eines Tages Witwe zu sein, könnte ich glaube ich nie wieder unbeschwert sein. Ich bin mir schon bewusst, dass die Möglichkeit Witwe zu werden bei mir größer ist als bei anderen, aber ich glaube fest an die Medizin und daran dass mein Mann eines Tages wieder ganz gesund wird. Schau doch mal wie weit die Forschung mittlerweile ist. Selbst der Professor an der Uni sagte zu meinem Mann, die Chancen stehen nicht schlecht eines Tages geheilt zu werden. Was muss dein Mann denken wenn er liest wie Du denkst? Es ist sein Leben und Du redest andauernd davon dass er ein verkürztes Leben hat und Du eines Tages Eure Kinder allein großziehen wirst. Wie weh muss ihm das tun? Um gesund zu werden braucht man neben den ganzen Therapien vor allem Zuversicht. Mein Mann würde kaputt daran gehen, wenn ich immer wieder erzählen würde, dass ich bald Witwe bin oder wie schade es ist dass er unsere Kinder nicht mit aufwachsen sieht. Es ist so oder so schon schwer für ihn. Klar belastet mich das auch, aber ich bin gesund, also versuche ich ihm seine negativen Gedanken abzunehmen. Ich meine das nicht böse und ich kenne solche Tage, ich möchte Dich auch in keinster Weise angreifen. Aber vielleicht denkst Du über meine Worte nach.
    Mein Lieblingsspruch: „Warte nicht bis der Sturm vorüberzieht, lerne im Regen zu tanzen“
    Alles Gute für Euch!!

    1. Auch ich bin „betroffene“ Angehörige, ebenfalls Mutter zweier Kinder, ähnliches Alter wie bei der Helden-Familie. Mein erster Gedanke zum neuen Blog war ähnlich wie Carina ABER: Schnell war ich der Meinung: das ist nicht fair, so zu urteilen. Wir alle sind in solchen Dingen unterschiedlich. Der/Die eine kommt schneller damit klar, andere eben nicht. Abgesehen davon, ist dieses Rollercoaster mit MM (als aktuell weiterhin unheilbare Krankheit) absolut nervzehrend – da darf man ruhig mal wieder sich mies fühlen. Mir ging es mies bis Ende letzten Jahres. Da waren wir im Jahr 2 nach Diagnose, hatten die erste HD hinter uns – und die war ohne Erfolg. Mit den Kindern vor Augen, kamen auch mir solche traurigen Gedanken. Anfangs täglich/ständig (was hab ich mir beim Autofahren in den Monaten nach der Diagnose die Augen ausgeweint, hinten die Kinder, die gottseidank nix gemerkt haben). Monate später nur noch morgens/abends, dann nur noch alle paar Tage. Je nach Stand der Therapie und der Erfolge mal mehr mal weniger. Das MM macht Angst und – klar sind wir ehrlich – auch Depressionen. Jetzt ist mein Mann seit Januar mit dem MM in ruhigeren Gewässern. Zwar nur PR und Erhaltungstherapie aber erstmal alles gut (kaum NW, stabile Werte, normales Leben!!). Langsam emotional die Kurve hab ich Pfingsten bekommen – 1,5 Jahre nach Diagnose. Seit August ist es wieder wirklich „normal“ bei mir. Ich nenne das für mich mein Trauerjahr: Abschied vom alten Leben. Und ich weiß, diese schlechten Zeiten und damit die traurigen Gedsanken werden wieder kommen. Wenn die Situation sich verschlechtert – langsam oder rapide. Was ich merke (wir hatten jüngst wieder Werteschwankungen, dazwischen auch andere „Baustellen“ bei ihm, bei mir, bei anderen Familienmitgliedern): Ich komme immer schneller aus dem „Loch“ raus. Und natürlich habe ich auch gelernt, im Heute zu leben. Ich kann mir keine Gedanken machen über Probleme, die noch nicht da sind. Dazu fehlt einfach die Energie. Aber die Heldenfamilie hat eben jetzt wieder einen Umbruch – Neue Ergebnisse, neuer Therapiebedarf. Das haut rein. Ich bin mir aber sicher, dass diese offenen Gedanken nicht täglich bei der Heldenfamilie auf der Couch diskutiert werden. Und ob der Held die Einträge hier liest – auch das steht in den Sternen. Es ist jedenfalls ein mutiger, wichtiger Schritt, dass Jemand auch als Angehörige seine Gedanken mal öffentlich macht. Eine Krebserkrankung bzw. jede Art von lebensbedrohlicher und/oder chronischer Erkrankung ist eine Erkrankung, die die ganzer Famile betrifft. Der gesunde Partner stemmt ungemein viel, muss stemmen, sonst zerbricht alles. Wichtig für die Blogschreiberin ist: Wenn du merkst, dass du aus diesen Gedankeinkreis nicht mehr rauskomsst, denk daran, auch du hast Recht auf Hilfe. Informier dich bei Einrichtungen der deutschen Krebshilfe, ob da Gesprächs- und Beratungsmöglichkeiten vor Ort sind und nutze sie (ich hatte das immer als Notanker vor Augen, wenn auch dann doch nie genutzt, fiel mir schon immer schwer, Hilfe selbst anzunehmen). Passt beide auf euch auf und denkt daran: wir sitzen alle im selben Boot.

  3. Liebe Jule, ich verfolge deinen Blog schon lange und ich kann gut nachvollziehen, dass gerade in der düsteren Jahreszeit und vor allem in der Vorweihnachtszeit ein Tief einsetzt. Wer sollte es dir verdenken? Es ist vollkommen okay manchmal mit dem Schicksal zu hadern , Gedanken lassen sich nicht immer verdrängen und es ist wohl besser sich ihnen von Zeit zu Zeit zu stellen und sie niederzuschreiben als sie immer wieder wegzuschieben und irgendwann von ihnen übermannt zu werden. Auch du hast ein Recht auf Auszeit, ich weiß dass das einem oft als „Flucht“ vorkommt und man das Gefühl hat alle alleine zu lassen oder im Stich zu lassen, aber manchmal muss man auch auf sich selbst acht geben und für sich sorgen, um danach wieder stark zu sein für die Anderen.
    Du bist so ein starker Mensch, der so viel Liebe und Energie in diesen Kampf steckt, bei letztendlich doch der Gewissheit, dass es irgendwann zu Ende ist – davor ziehe ich den Hut. Manchmal daf man hadern und sich auch vorstellen, wie es wäre wenn… vielleicht mag dir das egoistisch vorkommen, aber letztendlich ist es menschlich! Auch du musst leben und auch noch danach leben… niemand kann uns sagen was richtig oder falsch war… leider. Und wenn manchmal alles zu viel wird, dann darf es das!
    Suche dir deine Auszeiten so gut es geht, ich weiß es ist immer leciht geschrieben :), behalte die guten Tage in Erinnerung, die kleinen winzigen Momente und in den schlechten, denk an diese….

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