Liebe junge Ärztin im Krankenhaus…,

Liebe Ärztin, die ich Dich Heute kennenlernen durfte. Heute schreibe ich Dir, mit dem Wissen dass Du diese Zeilen Niemals lesen wirst. Aber weißt Du, dass ist mir genauso egal, wie deine Runzeln auf der Stirn und Dein tiefes durchatmen während unseres Gespräches heute.

Ich erzähle Dir kurz von meinem Tag, der heute wirklich so richtig scheiße gewesen ist. Nachdem ich den kleinen Batman in die Kita gebracht habe, bin ich zu meiner Hausärztin gefahren. Ich fühle mich gerade nicht im Stande arbeiten zu können, meine Prioritäten liegen im Moment anders. Ich schlafe kaum, bin ständig müde und mein Kopf ist voller Gedanken, die da nicht hingehören.

Am Tresen der Praxis habe ich meine Gesundheitskarte abgegeben um mir dann sagen zu lassen, dass diese nicht mehr gültig ist. Da ich gefühlt alle 2 Jahre einmal zum Arzt gehe, ist mir das nicht aufgefallen. Eine aktuelle hatte ich nicht dabei. Ein Anruf bei der Krankenkasse beruhigte mich schnell, da sie einen Behandlungsschein via Fax zum Arzt schicken wollten. Aber mein Tag wäre nicht scheiß, wenn das auch geklappt hätte. Meine Ärztin hat die Behandlung weiterhin verweigert und wollte mich auch mit diesen Behandlungsschein nicht behandeln. Meine neue Gesundheitskarte kommt in etwa zwei Wochen. Nach einer elend langen Diskussion bin ich gegangen, in ein Servicecenter meiner Krankenkasse um mir zwei Behandlungsscheine zu holen. Krankgeschrieben bin ich nun nicht, ich überlegte kurz zumindest zwei Wochen unbezahlten Urlaub zu nehmen. Aber so wirklich gut ist das Wort „unbezahlt“ in unserer Situation nicht. Deine Kollegin hat mich fast zur Verzweiflung gebracht. In der Hauptstadt einen anderen Arzt zu finden, der mich nicht kennt, überhaupt noch Patienten aufnimmt und mich dann auch noch aufgrund von psychischer Überlastung krankschreibt wird sicher wie die Suche der berühmten Nadel im Heuhaufen sein. Aber gut, darum kümmere ich mich morgen, denn zur Arbeit gehen wollte ich dennoch nicht.DSCI0126

Unser Held wurde Heute von Krankenhaus A nach Krankenhaus B verlegt, also zu Dir. In diesem Krankenhaus ist er sonst auch immer gewesen, nur Dich kannten wir noch nicht. Krankenhaus A war nur eine Notlösung, da der Held zum Zeitpunkt der Einlieferung nicht wirklich transportfähig gewesen ist und das Krankenhaus A näher an unserem Zu Hause ist.

Nun aber ist er bei Dir. Ich war schon vor unserem Helden dort und wartete auf den Krankentransport mit Simon an Bord. Er ist alleine ausgestiegen und mir entgegengelaufen. Was Dir vermutlich nicht mal aufgefallen wäre, war für mich der beste Anblick des Tages. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam der uns bekannte Chefarzt mit Dir und noch einer Ärztin im Schlepptau an.

Jedem Wort von ihm hast Du gelauscht. Versteh mich nicht falsch, das darfst Du auch. Wann sieht man schon einen Patienten mit multiplen Myelom der erst Mitte 30 ist, Stadium drei hat. Der Chefarzt erzählte davon, dass er fst damit gerechnet hatte, dass die aktuelle Therapie wirkt. Aber weißt Du, das sagte er auch im Herbst zur Erhaltungstherapie. Er hat sich nun das zweite Mal geirrt.

Der „Krebsmaker“ ist zwar gesunken, aber nur geringfügig, die „Dinger“ im Rücken, die uns bisher als geschwollene Lymphknoten verkauft worden sind, sind hingegen nicht kleiner geworden. Unser Held merkt sie nach wie vor.

Liebe Ärztin, ich habe großen Respekt vor Dir. Du musst ein Einser Abi gehabt haben, sonst ist es schwierig überhaupt einen Medizinstudiumplatz zu bekommen. Ich hatte keine 1 vor dem Komma, und ganz ehrlich auch keine Zwei. Mir fehlte der Ehrgeiz, den Du vermutlich hast. Aber; auch wenn ich nicht Medizin studiert habe, sondern nur eine Fachkraft für Integration bin, kenne auch ich inzwischen viele Begriffe und kann sie einordnen. So ganz neu ist Kunibert für uns nämlich nicht.29938970_1643136322447725_931871657_n

Ich fragte also viel nach, auch was das mit den geschwollenen Lymphknoten auf sich hat. Ich gebe zu, als ich Dir und dem Chefarzt gegenüber meinen Verdacht geäußert hatte und dieser ach von Euch bestätigt wurde, habe ich es bereut diese Frage gestellt zu haben. Kunibert hat also vermutlich Besuch bekommen und nun feiern sie zu zweit ihre Party im Helden. ich hoffe dass es beim vermutlich bleibt.

Dann hat dein Chef uns von experimentellen Behandlungsmethoden erzählt, die bisher nur an Tieren probiert worden sind. Entschuldige bitte, dass ich immer wieder nach möglichen Risiken gefragt habe. Es tut mir auch leid, dass ich mir nicht vor Freude in die Hände geklatscht habe. Denn mein Tag wurde genau in diesem Moment noch blöder als zuvor. Für Dich ist Simon nur ein Patient, der anscheinend supertoll für neue Verfahren geeignet ist. Sein Krankheitsbild interessiert Dich und du siehst Blutwerte, Lambda-Leichtketten; Dir ist es egal wenn der Chefarzt von einer stärken Chemotherapie spricht. T-Zellen Therapie und das Wort haploidend lösen in dir Neugier. Ich verstehe das, weil es Dein Job ist, weil es Dich interessiert und Du lernen willst.

Aber für mich ist Simon ein Held, der seit knapp sechs Jahren mit Kunibert lebt. Er ist der Mann den ich liebe, den ich geheiratet habe und mit ihm zusammen alt werden wollte. Ich wollte ihn de nächsten Jahre immer noch mit seinem Tick ärgern, alle Kassenzettel aufheben zu müssen, ich wollte jeden Morgen neben ihm aufwachen, ich wollte mit ihm streiten und mich wieder vertragen. HoneymoonPictures_Ines&Simon-484

Ich habe Angst, wir haben Angst. Ziemlich viel sogar. Ich kann Dir nur nicht sagen wovor am meisten. Während Du die neuen Behandlungen siehst, sehen wir auch die Nebenwirkungen und Einschränkungen der Lebensqualität. Wir haben Angst, allerdings kann ich Dir nicht sagen ob die Angst vor Kuniberts Sieg oder der Weg dort hin furchteinflößender ist.

Du interessierst Dich für Blutwerte, ich für Zeit mit meinem Mann.

Ich verstehe, dass wir anders denken. Das ist okay. Aber bitte vergesse  in deiner ganzen Praxis nicht, dass für Patienten und deren Angehörige manchmal andere Dinge wichtiger sind als für Dich.

Deine Stirn wurde immer runzliger, der Ton Deiner Stimme immer spitzer und ich bilde mir ein in Deinem Gesicht eine Art genervtes Unverständnis zu sehen. Ich hoffe, immer! Aber ich sehe auch, dass die letzten zwei Therapieversuche des Helden mehr oder weniger gescheitert sind, bzw. nicht so funktioniert haben wie gedacht.

Du musst Abstand zu Patienten waren, das dient Deiner eigenen Sicherheit. Auch das verstehe ich. Aber ich bin die Ehefrau, ich kann keinen Abstand halten. Das klappt leider nicht.HoneymoonPictures_Ines&Simon-422

Du hast unseren Helden und seinen Kunibert heute das erste Mal gesehen. Ich sehe seit vielen Wochen zu, wie es ihm immer schlechter geht, seine Schmerzen schlimmer geworden sind. Ich bin dankbar, dass ihr ein Medikament gefunden habt, was  die Schmerzen erträglich macht, wirklich. Aber ich kann trotzdem nicht erleichtert durchatmen, weil es nun diese Super-Duper Therapie gibt. Kann ich einfach nicht. Du verstehst das nicht. Musst Du auch nicht. Aber manchmal kann es hilfreich sein, seine Emotionen einfach zu verstecken, glaub mir ich weiß wovon ich rede. Wenn man etwas übt, kann das gut klappen. Nicht immer, aber oft. Ich denke der Held ist auch grandios darin. Versuch Du es doch auch mal…

Liebe Ärztin im Krankenhaus, manchmal ist das einzige was Patienten brauchen etwas mehr Emphatie.

Kurz nach dem Treffen mit Dir bin ich wieder gegangen, zuerst einkaufen und dann nach Hause. Am Abend haben der kleine Batman und ich noch zusammen gespielt und Nudeln gekocht, obwohl es eigentlich viel zu spät gewesen ist. Seine Löwe Lilly hat auch eine Extraportion bekommen. Aber ich habe es nicht geschafft ihn selbst aus der Kita abzuholen, das hat der Heldenbruder für mich gemacht. Daher verbrachten wir am Abend etwas Zeit zusammen, auch wenn ich weiß dass er morgen früh alles Andere als gut gelaunt sein wird. Der Kleine Heldensohn war heute sehr anhänglich. Aber das darf er auch.

Jetzt schreibe ich Dir, versuche mir einen Plan zu machen, einen Arzt zu finden und darüber nach zu denken, warum ich mich über Dich eigentlich so aufrege.

Unser Held wird zunächst nur symptomatisch behandelt, bis klar ist ob und welcher Freund von Kunibert nun auch mit dabei ist. Ich hoffe daher, dass er vielleicht am Wochenende erstmal wieder nach Hause kommen kann. Vielleicht nehmen wir uns noch etwas Frisubin mit, den Power, hochkalorischen Milschshake, den fand unser Held nämlich ganz lecker.

Liebe Ärztin, wir werden uns bis dahin bestimmt öfter sehen. Ich bin mir fast sicher dass Du hoffen wirst keine weiteren Fragen zu möglichen Risiken zu bekommen. Ich muss Dir leider sagen, dass ich dir das nicht versprechen kann.

Für Dinge. die einem wichtig sind steht man ein, komme was wolle. Du für die Medizin, ich für unseren Helden.

Ohne Papa geht es nämlich nicht!

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6 Gedanken zu „Liebe junge Ärztin im Krankenhaus…,

  1. Ach, Ines, das tut mir Leid! Ja, oft bräuchten Patienten und ihre Angehörigen mehr Empathie. Aber – um es von der anderen Seite her zu denken – ich glaube, viele Ärzte und auch Pflegepersonal könnten ihren Job nicht machen, wenn sie sich nicht auch irgendwie abschotten, gerade in der Onkologie frage ich mich, wie man diesen Job überhaupt überstehen kann? So viel Leid! Ich will die Reaktion der Ärztin nicht schön reden, wirklich nicht. Sie wollte professionell sein. Gerade wenn sie jung ist, fällt ihr das vermutlich schwer. (By the way, SCH…auf ein Einserabi!!)
    Skandalöser finde ich Deine Hausärztin. Ich würde mal bei der KV (Kassenärztlichen Vereinigung) anrufen und da zumindest etwas motzen. Tel: 030 310030. Und Du kannst auch Deine Krankenkasse anrufen, den Fall schildern und sie bitten, Dir einen Hausarzt zu nennen, zu dem Du gehen kanst.

    Liebe Grüße, bleib stark!

  2. Das war wirklich unnötig, von beiden Ärzten. Die eine mit ihrem Formalismus, die andere mit dem Blick nur für Therapiemöglichkeiten und nicht für den Menschen dahinter. Ich wünsche Euch Kraft, um beides beiseite zu schieben und Euch wieder ganz Eurem gemeinsamen Kampf zuwenden zu können. Und einen verständnisvollen Hausarzt wünsche ich Dir, Ines. Bewundernswert, wie Du das alles rockst! Und vor allem wünsche ich Dir mal wieder eine durchschlafene Nacht. Klingt so banal, ist aber schwer zu bekommen und so wichtig.

    Gruß Chris

    PS Grüße auch an die EinhornBändigerin
    PPS DKMS-Set geordert. Schon lang vorgehabt, nach Eurer Geschichte nicht noch weitere Zeit vergeudet

  3. Liebe Ines, Du beschreibst sehr ruhig und bedacht diese unbefriedigende Situation. Es klingt nach einem ruhigen, gefassten Schmerz, wie ich ihn so noch nicht gehört habe. Du greifst nicht die an, Du stellst nur fest. Und doch hört es sich nach einem qualvollen Aufschrei an. Mein Gott „Hilf“.
    An Vollmachten wirst Du/Ihr gedacht haben. Sie sind so wichtig und ersparen Kummer.
    Hilde

  4. Ein richtig, richtig blöder Tag!
    Ich schicke euch ein bisschen Empathie und Liebe, die das so rein medizinisch fokussierte Vorgehen der Ärzte vielleicht ein bisschen ausgleichen.
    Würde ich in Berlin wohnen, schriebe ich an dieser Stelle von meinem Hausarzt. Aber meiner in München.bringt dir nix.
    Kopf noch, so weit es geht – du bist wundervoll!

  5. Ich kann nur aus Erfahrung sagen, dass dieses Verhalten deiner Hausärztin eher untypisch ist.
    Ich selbst war über 1 Jahr krank geschrieben, um gemeinsam mit meinem Mann die Krebserkrankungen von ihm besser zu ertragen.
    Es hat ihm sehr geholfen und mir sowieso….ohne Worte , was DU erleiden musst.
    Ich drücke dich ganz doll aus der Ferne!
    Bin in Gedanken bei euch 🙂

  6. Ich wünsche Dir viel Kraft und eine baldige gute Therapie!

    Ich bin Krankenschwester auf Intensiv und kann mir die Situation sehr gut vorstellen. Danke, dass Du darüber schreibst und es publik machst! Nur so kann sich etwas ändern.

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