Die Sache mit den Genen

Unser Held ist gerade auf dem Weg zur Bestrahlung 2/10. Ja, die Termine sind tatsächlich auch Abends. Ich hüte die Heldenkinder, die eigentlich langsam schlafen sollten. Eigentlich.

Ich habe in den letzten Tagen meinen Computer etwas aufgeräumt und dabei das ein oder andere Foto gefunden. Fotos, die unsere Geschichte erzählen. Fotos von den ersten Dates des Helden und mir.

M4031Q-4203
M4031Q-4203

Babyfotos der Einhornbändigerin und auch die des kleinen Batman. Die Fotos erinnern uns an schöne Urlaube mit noch schöneren Familienfotos.

Beide Schwangerschaften waren nicht immer schön. Ich war 23, als ich mit der Einhornbändigerin schwanger war. Die inzwischen große Heldentochter musste via Kaiserschnitt viel zu früh geholt werden, da ich eine Schwangerschaftsvergiftung hatte. Image6Der kleine Heldensohn hingegen hat mir immer einen Nerv eingeklemmt, so dass ich relativ häufig mein Bein nicht mehr spürte. In dieser Schwangerschaft zog Kunibert bei uns ein und ich hatte Vorzeitige Wehen. Es stand der verdacht von Trisomie 21 im Raum und bis zur Geburt wussten wir nicht, ob der kleine Heldensohn womöglich ein kleines Extra mitbringt. Ich habe mich damals gegen eine nähere Fruchtwasserpunktion entschieden.1175493_500036726757696_615720744_n

Als wir wussten, dass Kunibert im Helden wohnt, war ich in der 20. Schwangerschaftswoche. Ab dem Zeitpunkt war unser Held mehr in der Klinik als zu Hause. Abgesehen von vielen Untersuchungen, Chemotherapien und Operationen wurde auch ein Gentestgemacht ; die Zytogenetik beim Helden wurde bestimmt. Fast jeder Mensch hat irgendeinen Defekt in seinem Chromosomensatz. Die Meisten wissen gar nichts davon, da sie nicht so offensichtlich sind, wie bei der Trisomie 21, die sich beim Heldensohn nach der Geburt schließlich auch nicht bestätigt hat.

Die Gene des Helden haben dazu beigetragen, dass der kleine Batman zumindest optisch ein Klon vom Helden selbst ist. Vergleicht man Kinderfotos ist es manches mal recht erschreckend. Die Gene von mir haben bestimmt ihren Anteil daran, dass beide Kinder einen Hang zum Chaos und absoluter Orientierungslosigkeit haben. Die Heldengene haben dafür gesorgt, dass unser Sohn die niedlichste Stupsnase der Welt hat, und eher etwas kleiner und zarter ist. Nur die Locken des Helden wollten sich nicht durchsetzen.FFP0058-01-0081

Aber Gene bringen nicht nur schöne Dinge mit sich. Die Zytogenetik des Helden zeigte einen Fehler. Menschen mit diesem „Defekt“, haben eine höhere Tendenz dass Multiple Myelom, also Kunibert zu entwickeln. Dazu kommt dass sich diese Genkombination  auch bei der Wirkung der medizinischen Behandlung bemerkbar macht. Patienten mit diesem „Defekt“ sprechen nachweislich weniger gut auf die Behandlungen gegen Kunibert an. Sie gelten als Risikopatienten.

All das wurde uns bereits 2012 kurz nach der Erstdiagnose erklärt. Während der Heldensohn noch gemütlich in meinem Bauch strampelte wurden wir darüber aufgeklärt, dass es später einmal Sinn machen könnte, ihn auch auf diesen „Defekt“ zu testen. Ist der Test positiv, als hat er ihn ebenfalls; dann hat auch unser Heldensohn eine höhere Tendenz einmal einen Kunibert in sich zu tragen, der sich schlecht behandeln lässt.P1100813

Wir haben unseren Sohn bis dato nicht testen lassen. Für die Einen mag das fahrlässig sein. Wir wollen es im Moment einfach nicht wissen. Falls sich der „Defekt“ bestätigt, würde die Vorsorge sowieso erst in einigen Jahren beginnen.

Für die Einhornbändigerin trifft das zum Glück nicht zu, da unser Held biologisch nicht mit ihr Verwandt ist. Die Heldentochter hat zwei Papas, da Patchwork. Unser Held stolperte in unser Leben, als die Heldentochter 6 Monate alt gewesen ist. Eigentlich wollte er zu diesem Zeitpunkt noch keine Kinder. Aber dann hat er die Einhornbändigerin kennengelernt. Diesen strahlend blauen Augen konnte er nicht widerstehen. Und u die kleine Heldentochter war es auch sofort geschehen. Ein Leben ohne Simon kennt sie nicht.DSCI0123 Sie lernte mit Simon laufen, er war bei ihren ersten Worten dabei, Er erlebte wie das kleine Mädchen das erste Mal Ostseeluft schnupperte, er zeigte ihr die Welt und ließ sich immer wieder von der Einhornbändigerin um den Finger wickeln.DSCF3075

Sie nennt beide Väter Papa, aus freien Stücken.IMG_3725

Als ich mit dem kleinem Batman schwanger gewesen bin, hatte ich diese Information zum Gendefekt gehört aber nicht so recht verarbeitet. Der kleine Heldensohn verletzt sich, stößt sich oder hat Schmerzen wie alle anderen Kinder in diesem Alter auch. Aber hin und wieder kriechen diese Sätze der Ärzte von damals zurück in meinen Kopf. Meistens dann, wenn der Heldensohn über für mich unklare Bauch oder Rückenschmerzen klagt. Die Tatsache, dass diese Schmerzen meistens nach 20 Minuten verschwunden sind, ändert nichts daran.IMG1318

Der Gedanke daran, dass Kunibert kleine, noch inaktive Ableger im Heldensohn versteckt hat lässt mich erschaudern. Der Gedanke, dass unser Held dem Heldensohn nicht soviel von der Welt erklären kann wie ich, erschaudert mich genauso. Wer sitzt dann geduldig neben dem Kind wenn es Mathehausaufgaben machen muss und ich mich bereits Fingernägelkauend versteckt habe?

Unsere aktuelle Situation überfordert mich. Seid 6 Jahren frage ich mich, wie das alles klappen soll, wie es in Zukunft sein wird. Wie sollen wir das alle nochmal durchleben. Ich sehe unseren Helden leiden, mal mehr, mal weniger. Aber er leidet; jeden Tag. Ich wünsche dies meinem größtem Feind nicht. Die Blitze von Gedanken, dass es unseren Sohn ebenfalls treffen kann…diese Blitze sind unbeschreiblich schauderhaft.P1100821

Als 2012 die Erstdiagnose kam, wurde uns eine prognostizierte Zeit genannt. Aber die Ärzte kannten unseren Helden noch nicht. Wir haben gelernt die Diagnose zu akzeptieren, die Prognose hingegen nicht. Unser Held hat die prognostizierte Zeit von damals bereits überschritten. Und so furchtbar unsere Situation im Moment auch ist… irgendwie hatten wir Glück.

Kunibert lies sich trotz des „Gendefektes“ im ersten Anlauf gut behandeln. Trotz miserabler Blutwerte, Stadium 3 und so manch anderes Extra, hat Kunibert nach der ersten Behandlung 2012 4 Jahre Ruhe gegeben. Niemand hatte damit gerechnet. Wir hatten mehr Zeit als die Ärzte es vermutet haben.20150503_161010

Inzwischen ist Kunibert zurück und ist kaum klein zu bekommen. Igor, Kuniberts Bruder; die Metastasen wachsen immer weiter. Aber…Unser Held ist schlapp und müde, allerdings zeigten die letzten Blutwerte von Heute an, dass die Leichtketten (ein Teil des Krebsmakers) gesunken ist. GESUNKEN! Das sind so ziemlich die besten Nachrichten des Monats. Jetzt muss das nur noch so bleiben und Igor sollte durch die Bestrahlung zumindest nicht weiter wachsen. Es wird keine Remission (zurückdrängen von Kunibert) wie beim letzten Mal erwartet. Unser Held ist so vereinnahmt von der Erkrankung wie noch nie zuvor, Aber…Wir hoffen auf einen vorübergehenden Stillstand, auf Stagnation. Auch wenn es nur kurz ist. Wir hoffen noch einmal das Glück zuhaben, eine kleine Zeitspanne zu bekommen, in dem es dem Helden besser geht. Uns ist bewusst, dass es keine 4 Jahre sein werden, auch keine 2. Ein wenig reicht uns schon, ein klitze kleines bisschen. wir sind genügsam geworden.

Ich hoffe, dass der kleine Batman später einmal nicht die gleiche Strecke laufen muss. Auch wenn es sich viele Eltern von ihren Kindern wünschen; ich hoffe nicht dass der Heldensohn in die Fußstapfen vom Papa tritt. Und wenn es doch passiert, dann hoffe ich, dass der genetische Zwilling sich wenigstens dann finden lässt. Die Locken vom Helden haben sich beim Batman nicht durchgesetzt, dann wird es Kunibert doch auch nicht tun.

3 Gedanken zu „Die Sache mit den Genen

  1. Ich lese und versuche zu begreifen und weiß garnicht, woher du/ihr all die Kraft nehmt, dies all zu bewältigen.
    In Gedanken verneige ich mich vor dir und ziehe den Hut.
    ….Ich wünsche euch soviel Zeit, wie nur irgendwie möglich und das ihr sie so nutzen könnt, das ihre schöne Erinnerungen sammeln könnt.
    …Ich drücke dich in Gedanken und schicke dir ein wenig Energie. …

  2. Das mit dem genetischen defekten,da geb ich dir recht.hätten mein mann und ich gewusst das wir gemeinsam mit unserem defekt so eine explosion bei den genetischen defekten unserer tochter erzeugen,wer weiss ob sie dann überhaupt bei uns wäre.man macht sich gedanken,was wäre wenn …ein leben ohne unseren sonnenschein,,unvorstellbar,,aber wenn ich mir ausmale was noch auf sie zukommen wird…schaffen wir das,schafft sie das..schenkt das schicksal ihr mehr bessere tage oder schlechtere…man versucht positiv zu bleiben,stark..nur manchmal kommen sie auch,die dunklen stunden..wo man denkt was ist wenn das schlimmer wird….sie sich nicht mehr bewegen kann…aber voll da ist…dann sitzt man da,allein und weint und versucht die boesen gedanken weg zu bekommen.im moment lassen wir nur das jetzt zu,ohne zu denken was in ein paar jahren sein wird…da fragt man sich,warum wir,warum sie…ne antwort darauf gibts leiddr nicht…

  3. Erst mal: DAaaaaaaaanke, dass Du den kleinen Batman so angenommen hättest, wie er gekommen wäre – notfalls auch mit 47 Chromosomen. Die Triso-21-Kinder tragen übrigens neben allen organischen Problemen auch alle ein größeres Risiko für: Epilepsie, Leukämie, Zöliakie, Schilddrüsenprobleme und leider auch für eine sehr frühzeitig einbrechende Demenz (so ab dem 40. Lebensjahr). Von daher kann ich zumindest an der Stelle ein bisschen mitreden. Wir lassen ihre Blutwerte einmal im Jahr checken, und gut ist. Man kann sich nicht verrückt machen. Jeden Tag so nehmen, wie er ist. Wir haben alle gute und schlechte Gene im Gepäck.

    Btw, tut mir Leid, ich schaffe es dieses Jahr nicht, Euch Karten oder gar wieder eine Kleinigkeit für die Heldentochter und Batman zu schicken. Vielleicht nächstes Jahr wieder….

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.