Vom Sarg bemalen und vermissen

Dieses Wochenende erreichten mich die ersten Beileidskarten; sogar ein Blumenstrauß mit Trauerschleife. Ich weiß, dass „man das so macht“ und dass das alles wirklich nett gemeinte Anteilnahmen sind. Aber das fühlt sich sehr, sehr gruselig an.  Ich bin völlig überfordert, und muss dennoch zich Sachen organisieren. Irgendwas ist immer… Da bekomme ich Rechnungen aus dem Krankenhaus, in dem Simon gelegen hat, das Sanitätshaus bombadiert mich mit Anrufen warum der Rollstuhl und einige andere Hilfsmittel, die doch gerade erst geliefert worden sind, wieder abgeholt werden müssen. Ich geh zu Banken und Steuerberatern, zu Psychotherapeuten und Ärzten, die uns eine Mutter- Kind Kur verordnen sollen. Ich telefoniere mit der Heldenkrankenkasse und seinem Arbeitgeber.

Der kleine Heldensohn springt jeden Morgen in den Garten, sucht sich eine Lücke zwischen den Wolken du ruft „Guten Morgen Papa“. Die Heldentochter möchte noch bei der Oma in Bayern sein, weil es dort so schön ist.37179103_1759547727473250_79273349548605440_n

Gestern sind der kleine Batman und ich zu Silvana, der Bestatterin gefahren. Allerdings nicht in ein gruseliges Büro, wo hinter jeder Tür eine Urne oder Sarg stehen könnte. Wir waren in Brandenburg, auf einem riesigen Grundstück. Ich dachte, dass sich der kleine Heldensohn dort erstmal an mein Bein klammern wird, so wie es häufig ist.  Zunächst war dem auch so, allerdings hatte Silvana nicht nur Zauberkräfte was Simons letzte Verabschiedung an geht, sondern auch bezogen auf den Heldensohn.  Bunte Donuts, der kleine Batman liebt sie, lösten die Schüchternheit schnell. Der Sohn, der Bestatterin, der ein Riesenzimmer mit einer gut sortierten Legosammlung zu haben scheint ergaben den Rest.  Zuvor durfte der Batman noch eine Zucchini dort im Garten ernten.

Irgendwann waren wir in der „Malecke“, dort standen zwei Holzböcke mit Decken drunter. Daneben parkte das Auto, ein Auto dass ich zuvor noch nie so nah gesehen habe. Der kleine Heldensohn durfte den Kofferraum öffnen, Silvana und ihr Mann holten Simons Sargdeckel raus. Nur der Deckel, Simon war natürlich nicht dabei.37223025_1759553404139349_1659465446371360768_n

Am Vortag hatte ich versucht unserem Sohn zu erklären, was genau wir da anmalen wollen. Ich sagte ihm, dass das Holzding Sarg heißt und das dies ein Geheimversteck für den Papa sein wird. Der kleine Heldensohn wollte wissen, ob uns der Papa vom oben beim malen zusieht, ich bejahte das. Der kleine Batman plante dann bereits was er alles malen will und das ich unbedingt Gelb einpacken muss. Und Grün, das helle, das mag Papa nämlich am liebsten. Dazu noch ein paar Aufkleber, die von unserer Hochzeit übrig geblieben sind.

Als  Simons Sargdeckel da aufgebockt vor mir stand musste ich mich setzen. Der kleine Heldensohn hingegen meinte „Ah, das ist der Sack“. er nahm sich einen Pinsel und malte wie selbstverständlich einfach los. 37153432_1759547887473234_666955842079162368_nEin Regenbogen, ein Schmetterling, ein Baum und ein Einhorn. Er klebte die Aufkleber und sagte mir, dass ich unbedingt ein Eis draufmalen muss, ganz groß damit es eine Weile reicht. Stratiatella und Schokolade, die Lieblingseissorten des Helden.

Wir malten. Links von uns steht Papas Geheimversteck, rechts ein Tisch auf dem Donuts und Kaffee stehen. Die Gespräche waren zum Teil über Simon, aber auch über andere Dinge. Die Situation war wirklich sehr skurril, schön irgendwie aber sehr surreal.37182164_1759547780806578_9156768827944468480_n

Simon hätte es vermutlich wieder „Freakshow“ genannt.

Der kleine Batman aber hüpfte um diesen Sargdeckel, freute sich darüber dass er so schön bunt wird. Zwischendurch spielte er im benannten Kinderzimmer oder spielte draußen mit einem Lego Star Wars Raumschiff. Er rannte durch den Garten, spielte mit dem Sohn von Silvana, er spielte mit einem Luftballon und wollte dort eigentlich gar nicht weg.  Sagte ich schon, dass das irgendwie total skurril gewesen ist?37110386_1759547920806564_1322634903925293056_n

Am Montag oder Dienstag bekommt Simon unser letztes Geschenk. An einem dieser Tage wird er auch ins Krematorium fahren, dort aber weiter etwas warten müssen. Ich hoffe, dass wir uns schon nächste Woche einen Baum im Friedwald aussuchen können.37127974_1759547877473235_6256623609071009792_n

Den Rest des Tages verbrachte der kleine Heldensohn Wunschgemäß bei seinem besten Freund. Auch dort wurde mit Luftballons gespielt.37219818_1759548674139822_3253672060135669760_n

ich setzte mich zuhause ersteinmal und hatte keine Ahnung was ich nun tun soll. Also mähte ich den Rasen, hab viele Ladungen Wäsche gewaschen und etwas aufgeräumt. Dabei vielen mir unsere „Hochzeitsfotos“ vom Standesamt in die Hände. Beim Standesamt waren wir ohne Gäste, unsere Fotos sind aus einem Fotoautomaten.37142409_1759547754139914_8366600024934580224_n

Simons Ehering hat er in den letzten Wochen an einer Kette getragen, weil er nicht mehr passte. Jetzt habe ich ihn. Um den Hals tragen kann ich ihn nicht, ich habe das Gefühl der brennt auf der Haut. Ich trage ihn immer in der Hosentasche oder halte ihn in der Hand. Zusammen mit der Kette und seinem letzten Passbild. Diesem Ring sage ich jeden Tag guten Morgen. Dieser Ring ist aktuell mein wertvollster Besitz.

Heute bin ich um kurz vor 6 aufgewacht und hab weiter sauergemacht und Unterlagen sortiert. Schlafen konnte ich sowieso nicht mehr. Die Zeit vergeht einfach nicht, besonders heute scheint sich jede Minute ewig hin zu zuziehen. Heute ist ein Tag, an dem ich daran zweifel, dass sich unsere Welt irgendwann wieder weiter dreht. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es nun ist immer ohne unseren Helden zu sein.

Ich bin völlig überfordert und werde von einer Gefühlswelle überrollt, die ich so noch nie erlebt habe. Im Flur hängen noch Simons Jacken, als würde er jeden Moment zur Tür hereinkommen und sich entschuldigen, dass er sich verspätet hat. Verspäten konnte er sich nämlich schon immer gut.  CIMG4019

Letzte Woche war ich das erste mal bei einer Tiefenpsychologischen Therapie. Nächste Woche geh ich gleich zwei Mal. Die Therapeutin meinte, ich hab gerade nur drei bzw. vier Aufgaben; Essen, trinken, schlafen und die Kinder. Ich denke, dass ich das mit den Kindern ganz gut hinbekomme, am Rest arbeite ich noch. Dinge, ich zuvor mit Simon gegessen habe, scheinen mir im Hals stecken zu bleiben. Irgendwas stimmt da mit meinem Schluckmechanismus gerade nicht.

Am Tag, als unser Held vor etwas mehr als vier Wochen in die Klinik gegangen ist, meinte er dass er das alles nicht mehr möchte, dass er keine Kraft mehr hat und es ihm Leid tut dass er mich und die Kinder nun schon wieder alleine lässt. Ich hab ihm gesagt, dass ich dies schon hinbekomme, er sich keine Sorgen machen soll und sich nur um sich selbst kümmern soll. Das ist sowieso der schwerste Job, den Simon da hatte.

Ich versuche mich immer wieder daran zu erinnern, dass ich ihm gesagt habe, dass ich das alles hinbekomme. Ich habs ihm auch während unseres letzten Telefonats gesagt und auch letzte Woche Mittwoch, als ihn nochmal sehen durfte. (Nochmmal danke an silvana an dieser Stelle!) Ich werde mein Versprechen halten, dass ist das Einzige, was ich jetzt noch für ihn; für uns tun kann. Ich schaff es im Moment noch nicht so recht und habe manchmal das Gefühl mein Umfeld damit zu nerven.  Ich hab mich noch nie so hilflos gefühlt obwohl ich doch alles allein hinbekommen will. Aber ich habs ihm versprochen, immer und immer wieder. Ich halte meine meine Versprechen und hoffe darauf, dass sich auch unsere Welt irgendwann, irgendwie wieder weiterdreht.Die Tatsache, dass ich jetzt alleinerziehend mit zwei Kindern bin, ist noch nicht so recht angekommen. Der Punkt, dass auf dem Mutter-Kind- Kurantrag ein Kreuz bei verwitwet gemacht worden ist, auch nicht. 20031883_873754829445149_7885805840283517203_n

Ich hoffe darauf, dass es mir gelingt unsere Kinder sicher durch dieses bestialische Zeit leiten zu können. Ich kann ihnen nicht wiedergeben, was ihnen fehlt, ich kann es nicht ersetzen und werde es auch gar nicht erst versuchen. Ich hoffe aber darauf, dass ich sie auffangen kann, dass es mir gelingt das Sicherheitsnetz zu sein wenn sie fallen. Nichts ist im Moment wichtiger als die Heldenkinder, weil sie mit einem Verlust leben müssen, den ich nicht verhindern konnte. Der leine Batman ist ein Klon von Simon, er sieht so aus wie der Papa. Er hat fast die gleiche Wortwahl. Er hatte einen Hang für Feinmotorische Dinge und Kleinkram. Der Heldensohn liebt Star Wars und glaubt an die Existenz vom echten Batman. Schokoeis und Stratiatella, Marzipan und Pasta mögen die Männer in unserem Haus am meisten. Wenn sich der kleine Heldensohn konzentriert wackelt er mit der Zunge hin und her, so wie es unser Held auch immer gemacht hat. Unser Sohn hat das gleiche Lächeln und die gleiche schiefe Stimme wenn er singt. Wenn die Jungs bei uns nervös sind, drücken immer beide ihre Daumen aneinander. Beide Männer bauen gerne; ein Hochbett für die Hunde, Regale, Schränke…ich bekomme nicht mal ein Loch in die Wand gebohrt.P1100192

Unsere Heldentochter ist der lebende Beweis dafür, dass Genetik nicht alles ist. Die Einhornbändigerin hat zwei Papas, kennt unseren Helden aber seit dem sie 5 Manate alt gewesen ist. Ein Leben ohne Simon kennt sie nicht. Sie flucht mit den gleichen Worten, wie es unser Held immer getan hat. Die Heldentochter hat das gleiche verzweifele Lächeln im Gesicht, wenn ich mal wieder irgendwas suche. Und das ist mehrfach täglich der Fall. Die Einhornbändigerin hat den gleichen Tanzstil wie unser Held. Sie hat ähnliche Probleme, sich von Dingen zu trennen, die sie eigentlich gar nicht mehr braucht. Denn vielleicht braucht sie es irgendwann später nochmal. Die Heldentochter hat mehrere Taschengelddepots in ihrem Zimmer, damit sie im Notfall immer etwas da hat. Sie erinnert mich eindringlich und mehrfach täglich daran, wenn sie mir mal einen Euro geliehen hat. Unsere Heldentochter möchte zum DRK, weil Simon dort immer gewesen ist. Unsere Tochter hilft immer den Schwächeren, hat immer eine schützende Hand über ihre Freunde und ihren Bruder. Simon tat dies auch, immer. Die Einhornbändigerin möchte später einmal Motorrad fahren und mag auch sonst alle Dinge, mit denen sie sich fortbewegen kann. Simon war ihr liebster Shoppingpartner, mir ging zu schnell die Lust aus.  Morgens brauch(t)en Beide wesentlich länger im Bad als ich. Unsere Tochter ist ein Mensch, der immer zuerst auf Andere kuckt bevor sie sich auf sich selbst konzentriert. Sie mag die gleichen Witze wie Simon, ist genauso ironisch und lacht 1:1 wie unser Held. Die Einhornbändigerin nennt Simon seit knapp 2 Jahren Papa. Das kam von ganz allein und von ihr selbstgesteuert. Vorher war es ihr „Momo“. Für unsere Tochter ist der Verlust, den sie nun aushalten muss genauso hart wie für den kleinen Batman und ich glaube sogar, dass sie langfristig mehr daran zu „knabbern“ haben wird als ihr Bruder, weil sie mit ihrer Trauer anders umgeht.DSCF3758

Beide Heldenkinder  sind manchmal etwas spezieller als Andere. Sie haben ihren ganz eigenen Kopf und genau das macht sie zu solch unwahrscheinlich starken Persönlichkeiten. Beide Kinder tragen ein Päckchen mit sich und unterstützen sich gegenseitig dabei, dass es nicht zu schwer ist.  Beide Minihelden sind so grandiose kleine Menschen, mit einer tief verwurzelten sozialen Ader. Ich denke, dass ich eher der egoistische Typ Mensch bin.

Geliebter Held, danke dass Du aus unseren Kindern die Menschen gemacht hast, die sie sind.P1110936_LI

Es ist immer noch Vormittags. Ich kümmere mich jetzt um die Aquarien. Und eigentlich muss ich unbedingt im Schlafzimmer saugen. Aber dazu müsste ich dieses Zimmer länger als einige Minuten betreten und das ist wirklich schwierig. Vielleicht mach ich es erst morgen oder Übermorgen oder den Tag danach.

Ich vermiss Dich mein Held.

#luftballonsfürsimon

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8 Gedanken zu „Vom Sarg bemalen und vermissen

  1. auch wenn Du das nicht recht glaubst, liebe Ines, Du meisterst das unglaublich toll, vor allem mit den Kindern. Ich hoffe, dass Ihr bei einer Mutter-Kind-Kur etwas zur Ruhe kommt.

  2. Ich war zwar noch nicht in Deiner Situaton, aber alle berichten immer, dass sie bis zur Beerdigung funktionieren wie Roboter – eben weil so viel erledigt werden muss und die Zeit rennt. Viele rutschen erst nach der Beerdigung in ein Tief – wenn alles geregelt ist. Das Problem: Dann sind viele um Dich herum schon wieder in ihrem Alltag, während für Dich das Schwerste beginnt – den Alltag ohne Simon zu meistern. Liebe Ines, ich bin mir sicher, Du kriegst das hin. Ich wünsche Dir trotzdem viel Kraft und hoffentlich viele verständnisvolle Schultern in Deiner Nähe, an die Du Dich auch mal anlehnen darfst. Du bist eine Hammerfrau für Simon gewesen und eine Mega-Mom für Deine Kids. Du machst das schon alles richtig. Alles Gute und Liebe! Und: Ja, Kur ist eine gute Idee. Allerdings ist das kein Urlaub. Ich weiß nicht, ob das JETZT schon die richtige Idee ist. Es gibt so schwas Schnuckeliges wie Physiotherapie und man darf Sport machen, während die Kids betreut sind. Aber es gibt auch Entspannungsübungen (für Dich vielleicht im Moment noch zu früh) und neben psychologischen Einzelgesprächen (die Dir sicherlich sehr gut täten) auch Gruppengespräche, die Dich im Moment möglicherweise noch überfordern würden. Informier Dich auf alle Fälle vorher gründlich, damit Du hinterher keine böse Überraschung erlebst!

  3. Liebe Ines…
    Nimm dir alle Zeit die du brauchst….✨
    Jeder hat sein eigenes Tempo…🌈
    Du rockst das…🤘
    Du bist wundervoll…♥️
    Einatmen ausatmen einen Schritt nach dem nächsten👣Essen Trinken Schlafen ♥️…..
    Du schaffst alles 🏅
    #luftballonsfürsimon 🎈🎈🎈🎈🎈🎈🎈
    Fühl dich gedrückt 😘

  4. Liebe Ines, deine sanfte, zarte Art uns alle an deinem Leben, deinen Gefühlen teilhaben zu lassen berührt mich sehr. Du schreibst so behutsam von all den Dingen, Gedanken und Gefühlen, dass ich glaube dich zu kennen. Über ein Jahr bin ich unbekannter Weise „ein Teil von euch“! Ich kann nur ahnen was für ein Sturm in dir tobt. Denn ich fürchte, ich könnte mit dieser Ungültigkeit nicht umgehen.
    Alle sagen, dass du sehr stark bist und das bist du letztlich ja auch und trotzdem suche und suche ich nach Worten, die dir sagen sollen, dass du so irgendwie nicht immer stark sein musst! Du suchst gerade deinen Weg und sprichst sogar davon, dass du dich egoistisch findest!!! Du bist nicht egoistisch und ich glaube, das weißt du auch!
    Such deinen Weg , denn du weißt, dass es einen gibt! Nur weißt du noch nicht wie er aussieht und wann loslaufen können wirst. Simon in deinem Herzen wird dich leiten und Simon in deinem Herzen weiß, dass du dein Versprechen einlösen wirst!!! Fühl dich gedrückt!

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