Ein Schritt vor den Anderen

Die letzten Tage waren durchwachsen, es waren gute dabei und Tage, die einfach nicht vergehen wollten. Es gibt Tage, an denen ich um halb Fünf aufstehe, obwohl ich erst kurz zuvor ins Bett gegangen bin.

Ich schlafe nach wie vor auf dem Sofa, weil ich es im Schlafzimmer nicht aushalte. wenn ich Nachts/früh Morgens aufstehe, räume ich auf, das Wohnzimmer zumindest dankt es mir. Oder ich backe Regenbogenkuchen, oder miste den Keller aus.

Ich habe im Moment verhältnismäßig oft Besuch, teilweise auch dann wenn ich es vorher eigentlich abgelehnt habe. Es gibt Tage, an denen ich mich am liebsten vergraben würde und Tage, an denen ich einfach aufstehe. Ich mag keine Gut gemeinten Ratschläge ala, „Du musst mehr Essen“ oder „ich hol Dir mal was zu trinken“ oder „Denk an Dich, Schritt für Schritt denken“

Manchmal glaube ich, dass die Heldenkinder unsere Situation bereits mehr realisiert haben als ich. Ich habe eine Mutter-Kind-Kur beantragt, der Arzt füllte die erforderlichen Unterlagen aus. Neben allerlei Begründungen standen dort nun auch Worte wie „alleinerziehend“ und „verwitwet“. Das ist strange und absolut surreal.IMG-20170330-WA0000

Es fällt mir manchmal schwer irgendwelche Gedanken nach Hinten zu drücken und nur an Heute zu denken. Ich frage mich ob unser Schlafzimmer irgendwann zu einer Rumpelkammer wird, weil es Niemand mehr benutzt. Ich denke an die Einschulung vom Heldensohn nächstes Jahr und wann ich wieder arbeiten gehen werde. Ich frage mich schon jetzt, wie ich den Dezember bewältigt bekommen soll, denn dann ist nicht nur Weihnachten und Silvester, sondern auch Simons Geburtstag und wir wären 10 Jahre zusammen gewesen. Ich denke an Dienstag unseren 13, kleinen Hochzeitstag.

Diese Woche war ich zwei Mal bei einer Psychologin, ich glaube dass ich ihre Unterstützung brauchen werde. Der Termin von Simons Abschiedsparty, der Beisetzung steht inzwischen fest. Ich habe eine Rundmail geschrieben und alle relevanten Menschen informiert. Falls ich wen vergessen haben sollte, dann meldet Euch bei mir.

Ich überlege welche Musik unserem Helden dazu gefallen würde.

Am Dienstag machte sich Simon auf den Weg ins Krematorium. Er ist in seinem Geheimversteck gefahren, welches der kleine Batman und ich angemalt haben. Danke an Silvana, dass ich davon ein Foto bekommen habe! Am Montag um 14 Uhr wird er verbrannt, das hört sich nicht nur gruselig an, es ist es auch. Gleichzeitig werde ich am Montag 34 Jahre alt, Simons Geschenke waren schon immer etwas spezieller.37358769_1766108070150549_2594411914687676416_n

 

Aber das passt, im Grunde ist es Egal, an welchem Tag das geschehen wird, doof ist es so oder so. Und an diesem Tag wird nicht nur Simon verbrannt, Kunibert auch. Und das ist tatsächlich eine Art Geschenk. Kunibert, Du Mistding verschwindest an diesem Tag auch endgültig. Daher, liebe Silvana, mach Dir keine Gedanken. Der Tag ist okay, wirklich. Simon schenkt mir damit eine Gewissheit zu meinem Geburtstag. Die Gewissheit das Kunibert endlich und endgültig verschwunden ist. Und so furchtbar die ganze Situation ist, ist es eine Chance für die Heldenkinder und mich wieder ins Leben zurückzufinden und die letzten Jahre zu verarbeiten. Unser Held ist bereits an einem anderem Ort, ihr wisst schon, die Lücken zwischen den Wolken. Kunibert aber ist noch da. Am Montag aber wird die Krabbe brennen und endgültig verschwinden. Nur Kunibert trägt die Schuld an dem Leid unsers Helden. Kunibert hat meinen Kindern ihren Vater genommen. Kunibert sorgte dafür dass wir nur einen einzigen Hochzeitstag hatten, den auch noch in der Klinik. Wir hassen dieses Myelom.

Am Abend werden der kleine Batman und ich ein kleines Lagerfeuer machen (Feuerschale und Garten sei Dank) Dort drin wird eine Krabbe, bzw. ein Bild von ihr verbrennen, lichterloh. Hört sich spooky an? Ganz ehrlich, dass ist es auch. Aber symbolisch für uns irgendwie wichtig.37384700_1766105980150758_1519303217345724416_n

Ich sehe mir fast jeden Tag den Nachrichtenverlauf von Simon auf meinem Handy an. Und jeden Tag sehe ich, dass er das letzte Mal am 2. Juli online gewesen ist. Auf die Uhrzeit habe ich allerdings noch nie geachtet. Simon war am 2.7.2018 um 23:07 Uhr das letzte mal mit seinem Telefon online. Nun wird am 23.7.2018 Kunibert vertrieben. Ich denke, das ist doch fast ein Zeichen, dass es nur so richtig sein kann.37350873_1766108390150517_1151114285447905280_n

Es gibt Momente, die aber auch sehr seelig sind. Die sind dann wenn ich unseren Batman ansehe und erkenne, dass er seinem Papa wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Momente, in denen Abends plötzlich Besuch vor der Tür steht und eine Überraschung im Auto hat. Momente an denen ich zusammen mit K. versuche verzweifelt ein Regal vom Möbelschweden aufzubauen und das teilweise wirklich lustig war. Danke an dieser Stelle!

Vor mir auf dem Tisch liegen noch zwei dicke Anträge, die ausgefüllt werden wollen. Das mache ich später noch, oder vielleicht auch morgen. Es ist noch so viel zu tun , allerdings hab ich mittlerweile eine ungefähre Ahnung, was noch alles zu erledigen ist. Das ist schonmal mehr als letzte Woche. Das ist doch auch ein Fortschritt oder?

Ich möchte an dieser Stelle auch nochmal sagen, dass ich wahnsinnig gerührt bin. Das Internet, die social Media Kanäle sind für ihre Anonymität bekannt. Aber gerade zeigt ihr mir, dass da doch ein wenig mehr ist. Die Kinder erreichen Päckchen, Luftballons und andere kleine Aufmerksamkeiten. Ich bin jedes Mal fassungslos und sehr, sehr dankbar. Ihr müsstet unsere Minihelden dann mal sehen. Unsere Kinder bekommen MAPAPUS geschenkt, bzw. wird ihnen ermöglicht diese Seelentröster zu bekommen. Und das von eigentlich völlig fremden Menschen, ich weiß gar nicht was ich dazu sagen soll. Sie bekommen Aufmerksamkeiten und Karten ala „ich denk an Euch“ Ihr alle da draußen seid der Knaller! Ich bin ein Mensch, der eigentlich nicht besonders materiell eingestellt ist, mir sind andere Dinge wichtiger. Aber im Moment freue ich mich tatsächlich über diese Karten und Päckchenwelle. Ich würde so gern mehr sagen, als nur Danke. Aber ich bin sprachlos, weil ich mit soetwas nicht gerechnet hatte.HoneymoonPictures_Ines&Simon-310

Dann hatte ich Euch von der Buchidee erzählt, davon das unser Held immer wollte, dass ich dies tun sollte. Eure Resonanz war unglaublich, auch wenn ich mir noch mmer nicht sicher bin ob das ein oder andere Kommentar dazu nicht eher meine Seele schmeicheln sollte, als das es tatsächlich die Realität betrifft. Ich schreibe, weil ich es in den letzten Jahren auch immer getan habe. Ich schreibe, weil es mir hilft und ich schreibe, weil ich Angst vor dem Vergessen habe. Simon und ich haben Dinge erlebt, Wir haben Situationen durchgestanden, die alles andere als alltäglich sind. Er ist ein Held, ein ewiger Sieger und verdient es ein Erinnerungsfelsen zu bekommen. Ich bin gespannt, wie und ob überhaupt sich dieses Buchprojekt noch entwickelt.

Seid Gestern weiß ich im übrigen auch, dass es am Himmel nun einen Stern gibt, der auf den Namen Simon getauft worden ist. Die Patentante der Einhornbändigerin hat am 6.7.18, am Tag von Simons Sieg über Kunibert, am Tag seines Befreiungsschlags einen Stern taufen lassen. Als ich das gesehen bzw. erfahren habe musste ich lächeln. Mein Bauch wurde warm und durchströmte mich mit Glück. Gestern Abend habe ich mehrfach in den Himmel gesehen, Heute werde ich es wieder tun.37344172_1766106106817412_3306539194834223104_n

Heute vor zwei Wochen habe ich entschieden, dass unser Held fliegen darf. Ich habe ihm die besten Träume der Welt gewünscht und ihm gesagt wie dankbar ich ihm für die letzten knapp 10 Jahre bin. Auch wenn ich noch immer nicht ganz im Reinen mit mir und dieser Entscheidung bin, so hoffe ich dass er mit meiner Entscheidung zufrieden ist. Ein Leben ohne meinen Mann ist für mich nach wie vor unvorstellbar.

Ich hoffe aber auch, dass ich so eine Entscheidung nie wieder treffen muss. Ich bin nicht gut im Entscheidungen treffen und zweifele sie oft danach wieder an.

Der kleine Heldensohn hat vor zwei Tagen erneut einen Ballon in den Himmel geschickt, mit einem Bild für den Papa und einem Text den er mir diktiert hat. 37330267_1766106186817404_1993569955894788096_nImmer noch läuft er jeden Morgen in den Garten und freut sich wenn er eine Lücke zwischen den Wolken findet. Dann ruft er in den Himmel „Guten Morgen Papa, ich hab Dich lieb“37363768_1766105730150783_6585094483006717952_n

Im Moment ist alles wie in einer Seifenblase. Die Außenwelt scheint verschwommen, wir hören alles etwas abgedämpft. Viele Dinge scheinen nicht real zu sein. Ich hoffe, dass uns das echte Leben irgendwann wieder hat, der Alltag eintritt und die Erde sich zu drehen beginnt.

#LuftballonsfürSimon

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10 Gedanken zu „Ein Schritt vor den Anderen

  1. Liebe Ines, ich verstehe Deinen Zweifel ob Du die richtige Entscheidung getroffen hast – ich bin mir sicher: das hast Du. Es gab keine menschenwürdige, simonwürdige andere Option.
    irgendwann wird sich die Erde auch für Dich wieder drehen, vielleicht erst langsam, dann schneller und schneller 😘 und wenn Du bei der bucket list beim Punkt „Hamburger Fischmarkt“ angekommen bist, dann melde Dich gern – ich würde mich freuen, Euch den Hamburger Hafen zu zeigen.

  2. Auch wenn wir das leicht sagen können, als Aussenstehende, du hast richtig entschieden, auch wenn du noch daran zweifelst! Irgendwsnn wirst du es klar sehen..

  3. Liebe Ines. Du bist ganz toll. Ich habe meine Mutter von heute auf morgen verloren. Da war ich elf. Damals war es nicht wie heute.
    Ich würde mich freuen, dich mal persönlich kennenzulernen.

    Irgendwann. Du bist jederzeit herzlich willkommen.

    Ganz liebe Grüße und eine Umarmung.

    Tine ..

  4. Jeder findet seinen Weg, damit umzugehen. Meine Schwiegermutter – die allerdings nicht gerade für Güte und Empathie bekannt ist – hat das gemeinsame Schlafzimmer ausgeräumt, alle Klamoten ihres gerade erst verstorbenen Mannes rausgeräumt und in den Kleidersack gepackt, da war ihr Mann noch nicht mal unter der Erde. Eine ganz liebe Tante von mir, deren Mann vor über 20 Jahren gestorben ist, schläft immer noch im gemeinsamen Doppelbett, auch wenn sie kein Bettzeug mehr an der Seite ihres Mannes aufzieht (dabei könnte sie in ihrer Mini-Wohnung etwas mehr Platz durchaus gebrauchen, aber so ist halt ihr Weg.). Als die Väter von meinen besten Freundinnen gestorben sind, brannten überall im Haus Kerzen vor Fotos mit den Lieben. In meiner Schwiegerfamilie hängt nich ein Foto vom guten alten Willi. Mir ist diese eiskalte Art meiner Schwiegerfamilie fremd, ich würde mich eher bei den Kerzengedächtnisfamilien einsortieren, hoffe aber, dass ich meinen Liebsten noch ein Weilchen behalten darf. Und ja, es ist ein Trost, dass Simon in Eurem gemeinsamen Sohn weiter lebt. Und ich freue mich sehr, zu lesen, dass Simon jetzt auch oben bei den Sternen ein Zuhause hat.

    Ach ja, eins weiß ich aber aus eigener Erfahrung: Mitleid der Anderen ist oft sehr, sehr schwer auszuhalten, dass ar bei uns nach Mimis Geburt & Diagnose auch so. Man hat sich und den Alltag gerade so im Griff, und dann überflutet einen die Trauer wieder.

    Ich wünsche Euch allen alles nur erdenklich Gute!

  5. Dein Schlafzimmer, lass es wie es ist und war. Mach es zu keiner Rumpelkammer. Irgendwann wirst Du dort eintreten können, eintreten wollen. Schenke Dir, Deinen Frieden.
    Vielleicht ist Dir Deine Psychologin dabei hilfreich und begleitet Dich, indem sie Dich mit ihrer Anwesenheit (vor Ort) auffängt. Macht es zusammen.
    Es wird sie fordern.

    Kunibert und Simon zu verbrennen an Deinem Geburtstag, ist schon makaber. Es als Geschenk zu betrachten eine Chance damit umzugehen. Das zeigt, wie kreativ Du bist.

    Schreiben Ines, bedeutet nichts weiter, als eine Aussage zu machen auf ein bestimmtes, oder allgemeines Thema, hinzuweisen. Oftmals ein inneres Bedürfnis sich zu äußern, etwas einzufordern, aufzufordern, bewusst machen. Oder nur ohne Anspruch mitteilen, aus der inneren Notwendigkeit, des künstlerischem Denken und Handelns.

    Du allein wirst wissen, was Du willst und musst ehrlich mit Dir umgehen. Du hast das nötige Handwerkzeug schon. Du besitzt eine Vielfalt an Worten und kannst sie gezielt einsetzen.
    Schreibe -, – immer – jeden Deiner Gedanken, Deiner Gefühle, Deine Erkenntnisse und schreibe die Worte, Sätze andere Menschen. Mache Notizen wie der Maler, der seinen Skizzenblock immer bei sich hat.
    Schreiben ist Arbeit, Konzentration und Frustration, aber es ist eine Aufgabe, eine Herausforderung. Nimm sie an.
    Hilde

  6. ich wünsche euch ganz viel Kraft und jeden Tag einen wolkenlosen Himmel, um eurem Helden „Hallo“sagen zu können. Auf dass irgendwann auch wieder die Sonne in eurem Herzen scheint!

  7. Es ist und bleibt schwierig. Mein Mann und Vater unserer Töchter von inzwischen 4.5 und 2.5 Jahren ist im letzten August gestorben, völlig überraschend während unseres Urlaubs in Deutschland.
    Wir üben uns darin, nur noch 3 von 4 zu sein. Es ist blöd, unfair und überfordernd.
    Insgesamt kriegen wir es ziemlich gut hin und ich hoffe ganz stark, dass mein Mann stolz auf uns ist.
    An seinem ersten Todestag wird mein Mann in einem Friedwald hier in den Niederlanden beerdigt.

    Ich würde alles dafür geben, dass die Dinge im letzten Jahr anders gelaufen wären und dass wir einfach noch eine ganz normale Familie wären.

  8. Liebe Heldenmama und Heldenehefrau, ich habe schon zig Mal angesetzt, aber mir fehlen die Worte angesichts dessen, was Ohr durchlebt habt und immer noch tut. Ich bewundere Deinen Umgang damit und die Art wie Du und die Kinder trauert und gedenkt. Die Art wie ihr Abschied nehmt, zeigt mehr als deutlich wie stark Euer Band ist und was für einen tollen Menschen ihr verloren habt.
    Und immer, wenn ich nun eine Lücke zwischen den Wolken sehe denke ich an Euch und Euren Helden! Sei ganz lieb gegrüßt!

  9. Als ob ich meine eigene Geschichte lesen würde 😞
    Unser Papaheld ist seit fast schon drei Jahren auf seiner Wolke… Kurz vor der einschulung der Großen 😢 unser kleiner Mann war zu diesem Zeitpunkt 10 Monate alt.
    Ich kann Dir sagen, dass ihr das alles meistern werdet. Ihr werdet euren Weg finden, der für euch der richtige sein wird. Hört auf euer ❤️-auf sonst nichts und niemanden.
    Und ich kann dir nur beipflichten: „cancer is an asshole“
    Liebe Grüsse

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