Heute schreibe ich Dir, weil ich Dir so viel zu erzählen habe. Stell Dir vor, nächste Woche habe ich endlich Ferien. Mama meint, dass die Schule doch gerade erst wieder angefangen hat, keine Ahnung warum sie das sagt. Ich finde es super!
Wie ich Dir schon erzählt habe, bin ich jetzt in der 4. Klasse. Das ist mein erstes Schuljahr ohne Frau M., meine Schulhelferin. Ich bin auch kein spezielles Schulkind (Integrationskind, sonderpädagogischer Förderbedarf) mehr. Immer noch habe ich keine Epileptischen Anfälle mehr. Medikamente nehme ich auch keine. Der Arzt sagt, dass es sein kann, dass mein Gehirn nun seine Straßenschaltungen und Ampeln verändert, da ich in die Pubertät gekommen bin. Und das kann dafür sorgen, dass die Gewitter im Kopf nicht mehr zurückkommen.
Erinnerst Du Dich noch, wie oft ich im Krankenhaus gewesen bin? Weil ich irgendwo zitternd zusammengebrochen bin oder so komische Aussetzer (Absencen) hatte? Ständig war das. Das erste Mal war knapp nach meinem ersten Geburtstag. Mama blieb mit mir in der Klinik, ich war wohl ganz blau. Du hast uns immer besucht. Danach noch viele weitere Male, ich kann das gar nicht mehr zählen. Die ersten Medikamente hab ich aber erst mit 4 Jahren bekommen, Du warst da auch im Krankenhaus, weil Kunibert schon da war. Leo war ein paar Wochen alt und war zusammen mit mir und Mama in der Klinik, meine Güte war das anstrengend.
Aber jetzt, jetzt gibt es hoffentlich keine Gewitter mehr. Zumindest brauche ich keinen Schulhelfer mehr und trotzdem habe ich gute Noten, bisher waren alle zwischen 1 bis 3. Am Freitag schreibe ich eine Mathearbeit, drückst Du mir die Daumen?
Leo kommt nächsten Sommer auch in meine Schule, er wird auch ein spezielles Kind sein. Ich hab Mama gefragt, warum wir beide speziell geworden sind. Mein Bruder hat keine Epilepsie, er wohnte nur lange Zeit in seiner eigenen Welt. Das habt ihr zumindest immer gesagt. Mama hat gesagt, dass wir nicht speziell sind, sondern besonders. Und dass es Menschen gibt, die etwas mehr Zeit brauchen, um am Ende die Besten zu sein. Sie hat auch gesagt, dass sich das niemand aussuchen kann, dass man aber lernen kann, mit dem Besonderen umzugehen. Meine Gewitter sind weg, vielleicht hat Kunibert sie ja mitgenommen, kann doch sein. Leo ist jetzt sogar manchmal mutiger als ich. Vielleicht lebt er nicht mehr in seiner eigenen Welt, sondern auch in unserer? Vielleicht hat er sich vorher einfach nur vor Kunibert versteckt? Was meinst Du Momo?
Lieber Momo-Papa, bald ist wieder Halloween, Leo und ich freuen uns schon sehr darauf. Ich werde eine Gruselpiratin sein. Ich bin noch dabei, Mama zu überreden, ob ich wieder Kuchen backen und verkaufen darf. Letztes Jahr kamen doch fast 100 Euro zusammen, die wir dann an diesen Verein (DKMS) gespendet haben. Mama sagt auch, dass ich mir nicht so viele Gedanken machen soll, weil ich doch erst 10 bin. Warum nicht? Lieber Papa, mal ganz unter uns, sie ist doch nicht besser.
Am Sonntag wollen wir Dich wieder besuchen kommen. Zuhause haben wir jetzt ein „Papaglas“, da kommen alle Sachen rein, die wir finden und Dir mitbringen wollen. Ein Kristallstein zum Beispiel und ein paar Eicheln.
Ich habe übrigens schon angefangen, meinen Wunschzettel für Weihnachten zu schreiben, damit sollte man immer rechtzeitig beginnen. Leo plant seine Liste auch schon. Ich glaube, dass unsere Wunschlisten wieder lang werden, wie immer. Mein Bruder und ich freuen uns schon auf das Plätzchen und Zimtschnecken backen. Die sind immer so lecker und das ganze Haus riecht immer so toll nach Weihnachten. Den Baum hast Du sonst immer geschmückt. Dieses Jahr bist Du selbst ein Baum. Vielleicht sollten wir Dich schmücken. Aber Deine Krone ist so groß, dass keine Lichterkette lang genug wäre. Vielleicht malen wir ein paar Holzherzen an und hängen die irgendwie an Deinen Stamm. Was meinst Du dazu?
Lieber Papa, ich vermisse Dich sehr. Es ist so schade dass Du meine ersten Noten nicht mehr sehen konntest. Und wie gut ich in der Schule geworden bin. Ich bin nicht mehr die, die nicht mitkommt. Ich bin auch nicht mehr die, die Zuckungen hat. Jetzt bin ich Emma. Einfach nur Emma aus der 4. Klasse, die im letzten Sachkundetest eine 1 geschrieben hat und zur Jugendfeuerwehr geht. Ich hoffe, Du bist stolz auf mich, denn ich bin es. Mama sowieso. Und Leo, na der findet sowieso alles toll was ich mache, das weißt Du ja.
Lieber Momo, pass gut auf Dich auf. Feiert eine Party da oben. Ich hab Dich lieb.
Deine Emma
OMG wie herzzerreißend schön ❤❤….Die große Emma….
Und so toll wie ihr euren Kindern liebevoll beigebracht habt das anders nicht schlecht sein muss….!!
Und ob die Möglichkeit tatsächlich besteht das es ohne Kunibert für die beiden besser wird….Es würde zeigen wie schwer auch das Päckchen für die Angehörigen und vor allem für die Kinder ist,das sie zu tragen haben😞
Ich wünsche euch von ganzem ❤das du und eure Kinder weiter euren Weg gehen könnt…mit hoffentlich „leichtem Gepäck“
Wunderschön geschrieben in Emma, sie ist ein ganz tolles Mädchen.
Liebe Emma, wow! Was du schon alles erlebt hast in deinem kleinem Leben. Wir kennen uns nicht, aber ich bin auch sehr stolz auf dich! Du wirst deinen Weg finden und gehen. Mach weiter so.