Wie ist das eigentlich so, in der Öffentlichkeit zu stehen?

Letzte Woche übernachtete eine Freundin der Einhornbändigerin bei uns. Am Frühstückstisch sah sie mich plötzlich an und meinte „Du bist doch jetzt berühmt, oder?“ Die Heldentochter guckte etwas irritiert.

Ich habe am Abend über diesen Satz nachgedacht. Dazu kamen mir einige Fragen von Euch in den Kopf. „Berühmt“ sind wir selbstverständlich nicht. Sonderlich bekannt auch nicht. Wir wohnen in einem Randbezirk der Hauptstadt, hier ist es recht dörflich und daher kommt es hier auch hin und wieder vor, dass wir angesehen und angesprochen werden. Aber auch nicht oft. „Uns kennt man hier“, nicht weil ich einen Blog schreibe, sondern vorrangig aufgrund der großen DKMS- Registrierungsaktion im letzten Jahr. Das ist auch schon alles.IMG_20170424_082456

Unser Blog hat eine größere Reichweite als letztes Jahr um diese Zeit. Er ist zusammen mit uns gewachsen, riesig ist er dennoch nicht. Letztes Jahr war es merkwürdig, uns in so vielen Zeitungen, der Presse oder im Fernsehen zu sehen. Ich fühlte mich eine Zeit lang überall beobachtet. Die Heldenkinder fanden das alles aufregend und gingen recht aufgeschlossen mit dieser Situation um. Sie wussten, dass wir einen Stammzellspender bzw. „neues Blut“ für unseren Helden suchen. Diese ganze Pressegeschichte diente dazu, uns zu unterstützen. Ich redete immer wieder mit ihnen, auch wie sie sich verhalten können, wenn sie darauf angesprochen werden. Bei offiziellen Terminen waren die Kinder nie dabei, denn das wäre vermutlich doch zu viel gewesen.IMG_20170415_161526_082

Für unseren Helden galt damals etwas, dass im übrigen für uns heute immer noch gilt. Es wird niemand bloßgestellt, weder durch Fotos noch durch detaillierte Beschreibungen. Im Klartext heißt dies, dass ihr Simon nie mit schmerzverzerrtem Gesicht, auf dem Klo, im Bett liegend oder an der Vollbeatmungsmaschine gesehen habt. Gab es Fotos, die grenzwertig waren, habe ich einen Filter drüber gelegt oder sein Gesicht verdeckt. Unser Held wäre da übrigens weniger kritisch gewesen. Ihr werdet aber genauso wenig verweinte Kindergesichter sehen, keine verheulte Ines mit Waschbär Gesicht. Ihr sieht niemanden, der vor Wut gegen den Boxsack schlägt oder schreiend auf dem Feld steht. Das zeige ich bewusst nicht, denn ich denke, dass gewisse Dinge zwischen den Zeilen stehen bleiben können. Ich versuche Euch unser Leben und unsere Stimmungen zu beschreiben, uns so darzustellen, wie wir tatsächlich sind, auch ohne diese Bilder. Und genau das scheint dazu zu führen, dass es manchen unter Euch etwas seltsam vorkommt.IMG-20170403-WA0015

Diesen Blog gibt es immer noch, weil es uns Drei immer noch gibt. Das Leben ist ein anderes geworden, aber es ist noch da.  Wir sind nicht mehr so stark in den Medien vertreten, allerdings kann sich dies aus verschiedenen Gründen auch mal wieder ändern.

Simon wollte Aufmerksamkeit schaffen, er wollte, dass andere Patienten mehr Glück bei der Suche nach dem genetischen Zwilling haben. Auch das ist ein Grund, warum es diesen Blog weiterhin geben wird.

Und weil wir nun ins Leben2.0 gehen, geht auch dieser Blog den Weg mit uns. Er verändert sich etwas, so wie sich viele andere Dinge auch verändern. Wir wohnen in einer Stadt, in der die Mieten immer teurer werden. Wir wohnen in einer Doppelhaushälfte zur Miete, die ich aktuell auf Dauer nicht tragen könnte. Allerdings versuche ich alles was mir irgendwie möglich ist, unser jetziges Dach über dem Kopf zu halten. Unser Haus bedeutet zeitgleich das gewohnte Umfeld unserer Heldenkinder. Unser Haus bedeutet, dass wir die zwei Hunde halten können. Unser Haus bedeutet soziale Anbindung. Meine Kinder haben in den letzten Jahren, besonders Monaten viel aushalten müssen. Es ist nicht ausschließlich der Verlust von Simon, der ihnen zu schaffen macht, es ist auch die Zeit davor, die es endlich zu verarbeiten gilt. Besonders für den kleinen Batman und seine Besonderheiten ist ein gewohntes Umfeld elementar wichtig.img_20181024_2024597091793953104840686.jpg

Darum werden wir ein Stück  kommerziell. Es wird Werbung geben, Sponsored Posts und Kooperationen. Auf Instagram ist dies bereits geschehen und sorgte für unterschiedliche Reaktionen. Ich überlegte lange, ob wir diesen Schritt gehen wollen, aber ich will unser Wohnumfeld halten. Ich will, dass meine Kinder nicht alles verlieren, was ihnen lieb ist. Ob das klappt…, das weiß ich nicht. Ob es größenwahnsinnig ist? Ja, auf jeden Fall. Ich weiß dass es Stimmen gibt, die sagen „Was, ihr macht Werbung, das passt gar nicht zu Euch, das seid nicht ihr“ Warum sind wir das nicht? Was ist schlimm daran? Und ganz nebenbei…so ganz ohne Aufwand ist das auch nicht.

Ich bin oft müde, ich bin erschöpft und würde gern mehr Zeit in meinem Bett verbringen. Manchmal bin ich antriebslos und versinke im Selbstmitleid.  Manchmal verstehe ich mich selbst nicht. Ich wurde häufig gefragt, warum ich mich so einigele und nicht so umgänglich bin. Es gibt Tage, an denen ich damit beschäftigt bin, meinem Spiegelbild zu sagen, dass das okay so war. Dass manche Entscheidungen richtig gewesen sind. Ich blicke in den Spiegel und versuche zu akzeptieren. Ich blicke in den Spiegel und versuche die Person, die ich dort sehe, wieder lieb zu gewinnen, denn das ist hin und wieder gar nicht so einfach. Aber ich will das objektiv betrachtet Beste für unsere Heldenkinder. Sie sollen verarbeiten können, am besten in einem Umfeld, das ihnen vertraut ist, mit Nachbarn und Freunden, die ihnen vertraut sind. Allein mit meinem Erziehergehalt ist das dauerhaft so nicht möglich.

Ich denke nicht, dass wir so groß in der Öffentlichkeit stehen. Ja, manchmal grüßen mich Menschen, die ich nicht kenne. Manchmal werde ich angesprochen. Manchmal sind mir Blicke unangenehm. Aber wisst ihr was, das zeigt eigentlich auch, dass wir nicht alles falsch gemacht haben. Denn es zeigt dass dieser Blog gelesen wird, es lässt mich hoffen, dass das Bewusstsein für schwere Erkrankungen und deren Auswirkungen wächst und nicht länger ein Tabuthema ist. Es geht nicht nur um Stammzellspender, es geht auch um Eigenfürsorge, Achtsamkeit und offene Augen anderen Menschen gegenüber. Wir zeigen uns, weil ich glaube, so Mut machen zu können. Dass die Erde sich weiterdreht, ob man es nun will oder nicht. Das Leben von Angehörigen endet nicht, wenn der Lieblingsmensch nicht mehr lebt. Es geht weiter und auch wenn es im Moment noch nicht so ist, glaube ich ganz fest daran, dass die Sonne zurückkehren wird. Das es möglich sein wird, ohne schlechtes Gewissen in den Spiegel zu sehen. Meine Therapeutin meint, ich hätte einen Burn Out und wäre traumatisiert. Ich fühle mich manchmal, als wären alle normal, nur ich bin es nicht. Dann lese ich von Menschen in einer ähnlichen Situation und merke, dass es nicht nur mir so geht. Dass alles okay so ist. Das hilft. Und ich glaube, dass es anderen Angehörigen ebenso helfen kann. Ich weiß, dass ich mit diesem Blog und der größeren „Öffentlichkeit“ als gute Angriffsfläche diene. Das ist manchmal anstrengend und verunsichernd, aber ich kann damit leben. Je mehr ein Mensch preisgibt, desto angreifbarer wird er; so heißt es doch, oder?img_20181021_1408012058181000619370048.jpg

Viele von Euch verfolgen unsere Geschichte schon eine ganze Weile lang. Ihr habt mit uns gesucht und gehofft, dass sich Simons genetischer Zwilling doch noch finden lässt. Ihr habt unsere Höhen, Tiefen und auch unsere Versuche, zu improvisieren, mitbekommen. Jetzt kann unser Held nicht mehr bei uns sein und Ihr begleitet uns ins Leben 2.0, Ihr seht unsere Bauversuche, unsere Luftballons, die in den Himmel steigen. Was Ihr nicht seht, sind die vielen Rechnungen und die Gedanken, die ich mir mache. Ich weiß, dass andere Menschen in unserer Situation eben einfach umziehen, weil es nicht anders geht. Ich will das aber nicht. Wir wollen das nicht. Ein Teil unseres Weges bedeutet also auch, ein Gehalt ausgleichen zu müssen. Es bedeutet kreativ zu werden und zu überlegen, wie das Leben 2.0 in unserem gewohnten Umfeld möglich werden kann.

Ihr Lieben, ich verstehe, wenn manchen Lesern die neue Richtung des Blogs nicht gefällt. Simon ist und bleibt ein großer thematischer Teil. Aber der Weg ins Leben 2.0 hält noch andere Dinge bereit, so hoffe ich zumindest. Und genau darum ist es gut möglich, dass Ihr zumindest mich bald wieder in irgendwelchen Medien sehen werdet.

7 Gedanken zu „Wie ist das eigentlich so, in der Öffentlichkeit zu stehen?

  1. Ich finde es großartig 🤘dieser Schritt bedeutet das du weiter gehst und nicht stehen bleibst ❤du machst weiter für euer Leben 2.0🍦
    Wenn ich mir anschaue wieviel „Influencer“ Instagram etc ausschließlich NUR für Werbung nutzen und null etwas zu sagen haben oder irgendwas/irgendwen erreichen wollen sondern einfach nur Kohle machen mit ihren Blogs🤢verstehe ich wirklich nicht wieso DU,die ihr Leben für sich und ihre Kinder allein finanzieren muss UND NOCH DAZU etwas wirklich lebenswichtiges für unsere Gesellschaft erreichen möchte..nämlich für die DKMS zu sensibilisieren….warum DU nicht deinen „Einfluss“ nutzen solltest um Geld zu verdienen 🤔
    Liebe Ines …tu was du tun musst und vor allem möchtest um es für euch drei Superhelden so angenehm wie möglich zu gestalten 😎
    Ps…mich würde interessieren ob der Spendenpool noch existiert damit auch weiterhin kleine Beträge für euch weiterfließen können💌ganz liebe Grüße Wonderwoman 😘

  2. Du machst das toll!!!!
    Ich bin mir absolut sicher, dass du nur für Dinge Werbung machst, hinter denen du stehst. Das hast du bisher doch auch gemacht, einfach weil du davon erzählt hast.
    Dein Einsatz für euch ist toll.
    Euer Blog muss genauso eine neue Richting finden, wie ihr für euer Leben. Dabei ist Simon ein ganz wichtiger Teil und wird es garantiert immer bleiben, einfach weil er deinen Kindern so viel mitgegeben hat und man selbst vom Partner geprägt und verändert wird. Aber ihr lebt weiter und schaut auch nach vorne, das muss unbedingt sein.
    Ich habe bisher immer von sehr gut überlegten und durchdachten Entscheidungen von dir gelesen (außer Eis mit Streusel 😉, sollte ich vielleicht mal testen) und ich bin mir sicher, auch die Entscheidungen für den Blog und Instagram hast du so getroffen.
    Mich regen deine Posts sehr zum Nachdenken an, ich habe noch nie daran gedacht, dass man neben dem Verlust des geliebten Menschen auch mit dem Verlust eines Gehaltes klarkommen muss.
    Mach weiter so!

  3. Ich stimme Saweohgr absolut zu. Irgendeine tumbe Tussie sagt auf Instagram “ Diese Augenbrauenzupfzange ist gaaaanz toll“ und kriegt für Schmarrn jede Menge Geld. Du kämpfst dafür , Deinen Kindern ihr Heim zu erhalten. Mach das so, wie Du es am effektivsten hinkriegst, Du hast dasselbe Recht dazu, Geld auf diesem Wege zu verdienen! Liebe Grüße Sabine

  4. Liebe Ines!
    Lass dir nicht von irgendwelchen neidischen Fuzzies den Mut nehmen…den Mut, dafür zu kämpfen, dass ihr euer Leben ohne Simon – so gut es geht – meistern könnt! Ich finde es großartig, wie du für die Heldenkinder kämpfst. Und ich habe das Gefühl, dass dir selbst dieser Blog beim Verarbeiten hilft. Und auch, dass du damit anderen Mut machst. Wenn er dir nun die Möglichkeit gibt, eure finanzielle Existenz zu sichern, ist das einfach nur wunderbar und sonst nichts!!!
    Drück dich!
    Marina

  5. Liebe Ines,
    Gehe deinen Weg weiter so, wie du ihn für euch als gehbar empfindest. Ich denke es ist wichtig den Leuten auch zu zeigen, dass es ein Leben nach dem Verlust eines Menschen gibt. Leider musste ich auch schon so einige Menschen an verschiedene Freunde von Kunibert gehen lassen. Die den Kampf nicht geschafft haben. Und das Leben geht nun mal weiter. Die Erde dreht sich weiter und es ist schön zulesen, wie du damit umgehst. Ich habe es immer verdrängt, mich mit dem geschehenen auseinander zu setzen und zu verarbeiten. Die Quittung kam jetzt nach Jahren, wo die Eigene Seele und der eigene Körper einen auf die Knie gezwungen haben. Ich wünsche dir weiter die Kraft, dass erlebte zu verarbeiten und das neue was kommt anzunehmen. Du bist eine starke Frau und eine Wahnsinns kämpferin. Mach weiter so.

    Liebe Grüße Michaela

  6. Liebe Ines,
    ich finde es toll das Du versuchst uns Lesern Deine Gedanken und Entscheidungen nahe zu bringen.
    Ich kann gut verstehen,das Du eure Kinder in dem gewohnten Umfeld lassen möchtest.
    Und auch wenn Ihr vieles öffentlich macht,heisst es nicht,das andere das Recht haben zu allem Ihren Senf dazu zu geben.
    Jeder kann sich denken was es für Tage im Leben eines Kranken Menschen gibt,nicht alles muss gezeigt werden.
    Vielleicht ist auch grad das der Grund das manche irritiert sind?
    Weil heutzutage alles gezeigt und gesehen werden muss.
    Ob es unter der Würde ist oder nicht.
    Ich mag es,das Du es anders machst.
    Und auch das Du müde und erschöpft bist und manchmal nicht „umgänglich“ bist,ist für mich nachvollziehbar.
    Auch wenn es manchmal schwer ist,vieles sollte man nicht an sich ran lassen.
    Mich stört die Werbung keinesfalls,weiss ich doch,das eine starke Mama einen neuen Weg sucht.
    Fühl Dich gedrückt liebe Ines,Du machst es toll für Dich und eure Kinder❤️

  7. Liebe Ines,
    nun lese ich schon lange still mit.
    Ganz schwer wird mir mein Herz, wenn du dich so rechtfertigst. Du gibst alles und noch viel mehr und wie du euer Leben finanzierst hat vor allem niemanden zu interessieren. Wer da Werbung als Einnahmequelle als störend emfpindet, braucht sich für den Artikel ja nicht zu interessieren. Mich sprechen die Frühstücksdosen zum Beispiel total an und sie werden demnächst bestellt (und ich wünsch mir ein Kinderkochbuch von Emma).
    Wieviele Promis machen Werbung für Sofas oder Wurst oder Makeup…..das findet doch auch keiner komisch, dass sie ihr eh schon vorhandenes Vermögen vermehren.

    Mach weiter so und lass dich nicht entmutigen. Du machst alles richtig.

    In Gedanken bei dir sende ich dir liebe Grüße

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