Lieber Papa, ich schaff das schon

Hallo mein lieber Papa,

ich muss Dir unbedingt etwas erzählen. Vor fast zwei Wochen war ich mit den anderen Vorschulkindern aus meiner Kita auf einem Ausflug. Kurz nach dem Mittagessen ging es los. Wir sind lange mit dem Bus gefahren. Das war toll. Blöd war nur, dass ich meine Regenhose anziehen sollte weil es so nass draußen war. Aber ich mag die doch nicht. Ich habe sie dann trotzdem angezogen, nicht dass die mich sonst nicht mitnehmen. Sicher ist sicher.

Wir sind eine ganze Weile gefahren und dann endlich ausgestiegen. Ich hatte meinen Abenteuergürtel mit, den habe ich zu meinem 6. Geburtstag bekommen, weißt Du. Darin war mein Fernglas, meine Lupe und eine „Lampentasche“ (Taschenlampe). Nur mein Schnitzmesser hat Mama rausgenommen, ich weiß auch nicht warum.

Wir beobachteten dort Kraniche, die sind vielleicht toll! Kennst Du die auch Papa? Die haben ganz lange Schnäbel. Die sind schwarz. Als ich Hunger bekommen habe, konnte ich eine Brezel aus meiner Vesperdose essen, die war lecker. Abendbrot gab es auch unterwegs, Brötchen und Würstchen.

Leider war der Ausflug irgendwann wieder vorbei und wir sind zurück gefahren. Ich war erst ganz spät zu Hause, Emma hat schon geschlafen. Ich glaube ja, dass sie das ganz doll unfair fand. Das war das erste Mal, dass ich nach ihr ins Bett gegangen bin. Allerdings hatte ich noch Hunger, Du weißt ja Papa, ich habe immer Hunger.  Mama guckte auf die Uhr und sagte, dass es fast 9 Uhr am Abend ist und sie nicht mehr kochen möchte. Außerdem hätte ich doch schon gegessen. Aber Du kennst sie, hungrig musste ich noch nie ins Bett. Es gab noch Knäckebrot mit Domne (Mortadella) für mich.

Am Wochenende waren Mama und ich in einem Musiktheater. Das war total cool. Da sagte eine Frau, dass man im Traumland jeden treffen kann. Mein lieber Papa, wollen wir uns mal im Traumland treffen? Ich habe Mama gefragt, warum wir Dir kein Handy in den Himmel schicken können, Deins liegt doch noch hier. Emma sagte, dass das nicht geht, weil Du tot bist und Tote nicht telefonieren können, auch nicht im Himmel. Da ist nämlich kein Handyempfang, da fehlen irgendwelche Masten. Das finde ich doof. Emma hat aber auch gesagt, dass Du von Deiner Wolke auch zu uns nach unten kommen kannst und es bestimmt auch oft machst. Nur können wir Dich nicht sehen, Du uns aber. „Vielleicht steht er gerade neben uns“, hat sie gesagt. Stimmt das, bist Du manchmal bei uns? Ich glaube ja, meine Schwester würde mich doch nicht anlügen.

Lieber Papa, weißt Du was ich voll doof finde? Ich habe immer noch keinen Zahn verloren. Warum denn nicht? Wenn Du die Zahnfee da oben triffst, kannst Du ihr sagen, dass sie endlich zu mir kommen soll? Ich bastel ihr auch einen Zahn, den sie mitnehmen kann.

Ich kann inzwischen ganz toll basteln. Am liebsten Uhren und Menschen. Meistens singe ich dabei mein Lieblingslied, das was ich auch für Deine Abschiedsparty ausgesucht habe. Ich kann den Text schon richtig gut, hör doch mal.

(Bevor es jetzt zum Raunen kommt. Der kleine Batman hat zeitlich sehr verzögert mit Sprechen begonnen, er macht Riesenfortschritte und ist in logopädischer Behandlung; alles gut)

Kannst Du es hören, wenn ich es singe. Wenn wir Deinen Baum besuchen, singe ich es Dir manchmal vor. Zuhause singe ich es auch ständig, ich will immer dieses Lied hören. Vielleicht kann ich das ja mal mit dem Mann, der das eigentlich singt, zusammen singen. Vielleicht als Geburtstagslied für Dich, der ist ja gar nicht mehr solange hin. Du bist doch der nächste von uns, der Geburtstag hat.

Ach nein, stimmt gar nicht. Apple Jack hat noch vor Dir. In einer Woche wird sie auch 6 Jahre alt. So wie ich.

Heute ist Halloween. Letztes Jahr bist Du mit mir zum Hexenhaus gegangen, das hier in der Nähe ist. Du hast gesagt, dass ich keine Angst haben muss, weil die sich nur verkleidet haben. Ich hatte dann auch gar keine Angst mehr, auch nicht vor der alten Hexe mit dem Pickel auf der Nase. Dieses Jahr bist Du nicht mehr hier, zum Hexenhaus gehen wir trotzdem. Ich schaff das schon Papa, ich bin doch jetzt schon 6. Ich bin schon groß. Ich bin so groß, dass ich neue Hausschuhe für die Kita gebraucht habe. Batmanhausschuhe haben wir leider nicht gefunden, dafür aber ganz schöne grüne. Mama hat gesagt, dass sie mir da noch einen Batman drauf macht. Super oder? Wobei, gelb wäre noch besser gewesen oder Regenbogenbunt.

Ich bin übrigens verliebt: immer noch in das gleiche Mädchen aus meiner Kita. Ich nenne sie „meine Königin“. Am besten gefallen mir ihre Haare, die sind nämlich ganz lang. Und ich mag es, dass sie meine Regenbogenmütze auch toll findet. Außerdem kann sie die tiefsten Löcher im Sandkasten buddeln.

Vor ein paar Tagen haben Mama und ich eine Schatzsuche gemacht. Ich war ein bisschen traurig und wusste nicht was ich machen soll. Aber Schatzsuchen mag ich doch immer. Ich bin doch Profi. Allerdings hat mich Mama veräppelt. Als ich den Schatz endlich gefunden hatte, freute ich mich schon auf den Inhalt. Aber da war gar nix süßes drin, keine Gummibärchen oder Schoko. Es war ein Obstteller. Dabei ess ich doch sonst nur gesunde Sachen. Aber okay, Äpfel mag ich auch super gern und ein Würstchen war zum Glück auch dabei.

Lieber Papa ich vermiss Dich sehr, ich habe schon fast vergessen wie Du immer gerochen hast. Aber weißt Du was, ich schaff das schon. Emma, Mama und ich haben abgemacht, dass wir erst in den Himmel fliegen, wenn wir ganz alte Omas und Opas sind. Und dann treffen wir uns irgendwann alle wieder da oben. „Dann ist die ganze Familie wieder zusammen“ Bis es soweit ist, schicken wir die Luftballons und ich singe Dir unser Lied vor okay?

Und wenn das stimmt, was Emma gesagt hat, dann bist Du gar nicht richtig weg. Du besuchst uns manchmal, nur sehen können wir Dich nicht.

Machs gut Papa, ich melde mich bald wieder. Ich hab Dich lieb.

Dein Leo