Wie ist das eigentlich, wenn aus Trauer Depressionen werden?

Als unser Held Anfang Juli verstorben ist, stand die Welt plötzlich still. Die Heldenkinder und ich sind in eine Art Schockstarre verfallen, es baute sich eine Käseglocke über uns auf. Wir liefen auf Wolken.

Die vielen Behördengänge. die Organisation der Beisetzung und diverse andere Dinge sorgten dafür, dass ich gar keine Zeit hatte zu verstehen, was da eigentlich passiert ist. Auch wenn ich bis zu Simons letzten Atemzug bei ihm gewesen bin, zusammen mit dem kleinen Batman seinen Sarg für das Krematorium angemalt habe, verstanden habe ich es nicht.

An dem Tag als Simon gegen Kunibert siegte und in den Himmel zog, heulte ich fast durchgehend. Als ich 5 Tage später erneut zu ihm gehen durfte, um mich zu verabschieden, hyperventilierte ich. Bei seiner Abschiedsparty heulte ich wieder. Sonst blieben meine Tränen oft verschwunden. Ich dachte lange, dass es daran liegt, dass ich wusste, dass es unserem Helden nun besser ging. Oder weil ich so unheimlich stark war und für die Kinder da sein musste. Ich machte Pläne, wie wir unsere Zukunft nun ohne Helden stemmen könnten.collagemaker_20180921_1109585998656469308995947309.jpg

Am 23.7. : an meinem Geburtstag, wurde Simon um 14 Uhr verbrannt. Wir zelebrierten dies zu Hause und machten unser eigenes Lagerfeuer. Denn es war nicht nur Simon, der brannte. Vor allem war es Kunibert, der an diesem Tag endlich in Flammen stand. Ich dachte, dass die Krabbe nun endlich verschwunden ist.img_20180723_200722_0864549743930819888085.jpg

Physisch war sie dies natürlich auch. Je mehr Zeit aber verstrich, desto präsenter wurde Kunibert. Plötzlich war Kunibert überall. Simon auch. Ich verbinde alles mit meinem Mann. Egal ob es das Bohrloch in der Wand ist oder der Schokoriegel im Schrank. In meinem Hals wuchs ein Klos, von Woche zu Woche wurde er größer. Dieser Klos sorgte dafür, dass mir das Essen immer schwerer fiel. Ich kochte, das auch täglich. Aber abgesehen von einem „Anstandshappen“ haben nur die Heldenkinder gegessen, Irgendwann sprach mich mein Arzt auf mein Gewicht an, dann realisierte ich, dass ich besser aufpassen sollte. Mein Gewicht blieb konstant.

Seit etwa vier Wochen ist sie da, mehr als zuvor. Die Leere, tief in mir drin. Morgens fällt es mir schwer aufzustehen, ich tu es trotzdem. Weil ich muss. Weil ich zwei Kinder habe. Die Nächte verbringe ich nach wie vor auf dem Sofa, in unserem Bett möchte ich nicht liegen. Schlafen kann ich hin und wieder nur sehr schlecht. Stattdessen streiche ich nachts um 2 das Wohnzimmer, wische den Boden oder räume den Keller um. Ich bin müde, aber ich kann nicht nichts machen.honeymoonpictures_ines&simon-4251289414634127050863..jpg

Ich vermisse, manchmal so sehr, dass es mich wahnsinnig macht.  Ich versuche diese Gefühle in produktive Dinge umzulenken. Ich schreibe, ich koche oder bastel an unserem Kellerprojekt. Ich fühl mich allein, ertrage aber keine Nähe. Manchmal sitze ich vor Simons Foto und sage ihm, wie leid mir so viele Dinge tun. Dinge, die ich bereue, unnötige Diskussionen und lieblose Momente. Ich erinnere mich an die letzten Tage und Stunden mit unserem Helden zurück. Kunibert hatte ihn schon so vereinnahmt, dass er nahezu alles vergessen hatte. Simon wusste zum Schluss weder, dass er Kinder hatte, noch dass wir verheiratet waren oder konnte sich an Namen guter Freunde erinnern. Und dennoch konnte er mich immer zuordnen. Er erzählte mir, dass wir heiraten werden, wenn er wieder zu Hause ist, dass wir Kinder bekommen werden, ein Haus bauen und einen Baum pflanzen. Jetzt ist Simon mein Baum. Ich habe nicht die geringste Ahnung, warum er sich immer an mich erinnerte. Ich weiß nicht, warum er darauf bestanden hatte, mich anrufen zu lassen, 5 Minuten bevor er ins Koma gelegt worden ist. Ich weiß so vieles nicht.

Ich kann nicht sagen, wie es mir geht. Aber gut ist es vermutlich nicht. Die Welt um mich herum ist gedämpft und gleichzeitig furchtbar grell. Ich hatte mir vorgenommen, wieder zum Sport zu gehen, das half früher immer. Aber ich schaff es nicht, ich mag das nicht. Wenn ich kinderfrei habe, bin ich zu Hause. Die Idee wegzugehen, erscheint mir absurd. img_20180304_093531_3234015196637521263842.jpg

Ich heule wieder. Abends, wenn keiner zusieht. Manchmal sehe ich am nächsten Tag dann so fertig aus, dass mir gesagt wird „Du siehst aber müde aus“. Es ist nur nicht der fehlende Schlaf, der mich wie ein Waschbär aussehen lässt. Ich merke, dass ich leichter aus der Fassung zu bringen bin. Bei Kleinigkeiten könnte ich losheulen.

Ich verstehe mich selbst im Moment nicht. Die einfachsten Dinge wollen nicht gelingen. Ich mache mit den Kindern Ausflüge, so oft es uns möglich ist. Das ist wichtig für uns, um aus unserem Trott auszubrechen. Ich lese ihnen Geschichten vor oder versuche, Textaufgaben in Mathe zu verstehen. Das bekomme ich hin. Wenn es aber darum geht, einen Anruf zu tätigen oder die Versicherungen über einige Dinge zu informieren…dann streikt mein Hirn. Ich mach es nicht, ich vergesse ständig. Dieses ständige Vergessen nervt, vermutlich nicht nur mich. Vielleicht ist es auch kein Vergessen sondern Aufschieben. Ich weiß es nicht genau.

Anfang des Jahres hieß es, dass ich einen Burn Out habe. Jetzt glaubt meine Therapeutin das immer noch. Allerdings ist sie der Überzeugung, dass Depressionen dazu gekommen sind. Sie sagt, dass es normal sei und vollkommen verständlich. Natürlich sagt sie das, alles andere wäre ja irgendwie seltsam. Sie versucht mich seit einigen Wochen von einer medikamentösen Unterstützung zu überzeugen. Ich zögerte. Lange. Und eigentlich bin ich noch immer nicht sonderlich gut auf dieses Thema zu sprechen. Im Dezember habe ich einen Termin bei einem Facharzt, dann sehen wir weiter. Im Moment bin ich ein großer Fan meiner Tageslichtlampe geworden und versuche herauszufinden, ob ich es nicht zunächst homöopathisch probieren kann.img_20181012_112406_9253630524094343377967.jpg

Dass es mir nicht gut geht, das weiß ich. Aber so ernst sehe ich es selbst gar nicht. Ich habe keine Gedanken mir etwas antun zu wollen. Ich empfinde mein Leben im Moment als sehr anstrengend, aber machbar. Und ich hoffe auch darauf, dass es wieder einfacher wird. Ich hoffe jeden Abend darauf, dass es morgen bereits ein wenig besser ist. Bisher ist dies noch nicht eingetreten. Ich komme zurecht. Das Haus ist sauber, Hunde sind versorgt und die Kinder versuche ich mit all meinen Möglichkeiten abzufangen. Bisher habe ich noch nicht von außen hören müssen, dass das nicht funktioniert. Oberste Priorität haben unsere Heldenkinder. Dennoch bin ich dankbar für Abende, die ich nur für mich alleine habe. Dann kann ich einfach nur ich sein, muss nicht darauf achten, wie ich mich wem gegenüber verhalte.

Es gab Tage, da fühlte ich mich wie ein Totalausfall, wie ein Pflegefall, der nichts auf die Reihe bekommt. Mein Selbstwertgefühl ist irgendwo auf dem Weg  verloren gegangen. Und dann gibt es Tage, da ist es eigentlich ganz okay. Vor zwei Tagen tat ich etwas, was ich so noch nie getan habe. Ich schrieb eine Nachricht. Auf ein Handy einer Vertrauten. Sie fragte, ob sie vorbeikommen soll. Ich verneinte dies. Und trotzdem stand sie kurze Zeit später mit meinem Lieblingsessen (Danke an dieser Stelle!!!) vor der Tür. Und ich tat vor allem eins: heulen. Mich selbstbemitleiden und heulen. Sie kam trotz meiner Ablehnung. Das war naiv. Das war gegen meine Meinung. Das war mutig. Und ich war unendlich dankbar. Sie redete nicht viel, sie hörte nur zu. Und wenn sie was gesagt hat, dann fühlte es sich gut an. Sie ist eine Ausnahme. Sie kann ich ertragen. Sie erträgt vor allem aber mich. Und das ist gar nicht so einfach.

Ich weiß nicht, was das im Moment ist. Es gibt bessere Tage und so richtig miese. Abgesehen von den Kindern klappt nicht viel. Warum ist das so?

Mir ist egal, ob meine Therapeutin sagt, dass sie sich nicht wundert, dass das so ist. Immerhin wäre ich monatelang bzw. über ein Jahr auf Hochleistung gefahren. Und nun geht eben nix mehr. Das ist scheiße und ich mag das nicht.img-20180811-wa01335841294106240731910.jpg

Warum driffte ich nur so ab? Das rettende Ufer scheint Kilometer weit weg zu sein und nun sollen Medikamente das Rettungsboot spielen. Wieso schaffe ich das nicht allein? Ich dachte immer, dass Resilienz für mich kein Fremdwort ist. Ich habe schon einige unschöne Erfahrungen in meinem Leben gemacht, aber es ging immer. Jetzt komme ich ins Rudern.  So kenne ich mich nicht.  Das ärgert mich.

Ich ärgere mich über mich selbst, ich stehe vor dem Spiegel und könnte mich selbst auslachen. Kunibert ist noch da, er strengt mich an und sorgt dafür, dass ich mein Spiegelbild nicht verstehe.

14 Gedanken zu „Wie ist das eigentlich, wenn aus Trauer Depressionen werden?

  1. Leider kenne ich das Gefühl auch und es war genau so. Auslöser war ähnliches, krebstod meiner Oma, Unfalltod meines Bruders, Sternenkind, etc. Auch wollte meine Therapeutin mich überreden Tabletten zu nehmen. Habe nach suchen und informieren etwas pflanzliches gefunden. Hat wohl geholfen auch wenn ich das nicht dachte.
    Auch wenn man es nicht glaubt, es wird wirklich irgendwann besser. Diese kack Tage werden weniger und weniger. Es wirft einen auch nicht mehr alles aus der Bahn. Und auch das losgeheule wird wieder weniger. Und was ich nie glauben wollte, irgendwann geht man gestärkt aus der Situation heraus.

  2. ❤atme ein atme tief ein und atme aus❤der Rest kommt von ganz allein ❤du musst dich nicht über dich ärgern❤atme ein und atme aus❤ganz tief❤ich Drück dich aus der Ferne❤

    1. Auch mein Motto , „atmen“.
      Heute wider vermehrt , da ich heute dank „Kunibert“ zum 4. mal auf eine Beerdigung gehe .

  3. Ich habe ein leichtes Schlafmittel (nicht homöopathisch, sondern reine Chemie). Damit schlafe ich durch, werde aber trotzdem wach, wenn nachts etwas ist. Ich nehme es nicht jeden Abend, aber immer, wenn ich das Gefühl habe, dass der natürliche Schlaf nicht reicht. Es hat auch ein bisschen stimmungsaufhellende Wirkung. Und ausgeschlafen und mit ein bisschen leichterer Stimmung habe ich viel weniger „Zombie“-Gefühl und kann wieder besser gut zu mir selbst sein (z.B. einen Spaziergang zu genießen). Und dann geht es nach zwei oder drei Nächten auch wieder besser ohne.
    Die Gefühle sind deswegen nicht verdrängt. Man fühlt sie immer noch, aber sie haben nicht mehr so viel Gewicht, das neben dem Alltag noch getragen werden muss.
    Früher wollte ich auch nie etwas in dieser Richtung nehmen. Aber jetzt merke ich, dass ich nicht nur besser funktioniere, sondern mich auch besser fühle.

  4. Manchmal sind Therapeuten ziemlich gute Mittler zwischen Gefühlen und deren Interpretation. Ich hatte heute auch so eine Sitzung zum Thema Krebs, Sterben, meine Gefühle und mein mich dafür Bewerten.

    Verarbeitung ist ganz schön anstrengend und hat 1000 Gesichter – doch ohne geht es nicht wirklich gut.

    Du kannst dir mal L-Tyrosin angucken, das ist ein Aminosäurenbaustein und ich empfehle auch deine Nährstoffe im Blutbild angucken zu lassen, bevor du Antidepressiva nimmst. Eine gute Heilpraktikerin oder ein ganzheitlich arbeitender Arzt guckt sich das an. Ein Ungleichgewicht in den Bereichen kann ganz schöne Auswirkungen haben.

    Versuch mild mit dir zu sein, liebe Ines.

  5. Mmh – schwierig – hier einen Rat zu erteilen…. Ich habe nach dem Tod meines Papas vom Doc Schlaftabletten verschrieben bekommen, die ich dann auch ganze 2 Tage genommen habe…. Schlafen konnte ich zwar gut, aber tagsüber bin ich wie ferngesteuert durch die Gegend getapst…. Das war dann für mich keine Option und so bin ich dann die folgenden Wochen jede Nacht um 3 Uhr aufgestanden…. Ich habe dann immer mit Papa „gesprochen“ (nach ca. 5 Wochen war ich so sauer, dass ich mit ihm geschimpft habe, er soll mich jetzt bitte mal durchschlafen lassen)… Und ganz allmählich würden die Schlafphasen länger und sind heute wieder im Normalbereich….
    Kopf hoch Ines – es wird besser – zwar in klitzekleinen Schritten – aber es wird besser!!!!

  6. Es wird besser…es wird leichter…ja.Man hört und liest es öfters. Klar es kommen solche Tage. Aber jeder geht mit Trauer anders um.
    Setze dich bitte nicht unter Druck und das mit den Tabletten muss man sich gut überlegen.
    Mir hat mal Tanztherapie geholfen. In Einzelstunden hab ich mit meiner Therapeutin mehr aufgearbeitet als in irgendwelchen Gesprächen. Vielleicht findest du auch sowas ähnliches. Ich würde es dir wünschen.

    LG Kerstin🌟🎈🌟🎈🌟🎈🌟🎈🌟

  7. Liebe Ines , ich kann dich leider so gut verstehen .
    Kunibert nahm mir diese Jahr schon 4 Menschen und vor knapp zwei Jahren meine Mama .
    Du heulst nicht , du weinst !
    Heulen tut man , wenn man an der Situation etwas ändern könnte und es nicht tut . Du weinst , da du es nicht ändern kannst und neue Wege bestreiten musst .
    Fühlt euch gedrückt.

  8. Du liebe, bist so stark deshalb darfst du auch mal weinen das muss auch sein. Ich lese und hab wieder Tränen in den Augen. Fühl dich gedrückt

  9. Dass die Therapeutin zu Medikamenten rät, ist ein Zeichen, dass sie ihren Job gut macht. Wenn man eine schwere depressive Episode diagnostiziert und das nicht tut, dann wäre das genau genommen ein Behandlungsfehler. Die letzte Entscheidung trifft immer der Patient, am besten gemeinsam mit einem Facharzt. Wenn man sich ein Bein bricht und einen Gips bekommt, nimmt man ja die Krücken auch – weil sie es leichter machen. Beschleunigen nicht die Heilung, man muss vllt trotzdem später zur Physio oder was auch immer, aber die Krücken können eine Unterstützung sein. Und mit Medikamenten ist es ebenfalls so. Die ersparen einem nicht die Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Thema, machen den Alltag aber vielleicht leichter…

  10. Liebe Ines,
    ich kann dich so gut verstehen.Auch ich leide unter Depressionen und weiss wie es ist,wenn man sich zu nichts aufraffen kann.
    Das hat nichts damit zu tun das du es nicht auf die Reihe bekommst.
    Vielleicht schaust du Dir mal die Schüssler Salze an.
    Eine bestimmte Kombination kann auch bei Depressionen Linderung verschaffen.
    Lange konnte nicht verstehen warum ich mein Leben nicht mehr so organisiert wie früher hin bekomme und es hat mich genauso wie dich so wahnsinnig geärgert.
    Verlang keine Perfektion oder Höchstleistung von Dir,auch du darfst schwach sein und weinen.
    Ich habe einen kleinen Sohn und bin so froh das ich dadurch „gezwungen“ bin raus zu gehen,das hilft oft.
    Gut wenn du so eine liebe Freundin hast,das hat mich sehr berührt.
    Ich drücke Dich aus der Ferne😘

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