Wie ist das eigentlich wenn mir etwas passiert? Vorsorge für die Heldenkinder

In den letzten vier Wochen, in denen Simon noch zu Hause war, hatte ich immer einen ganz speziellen Zettel in meinem Portemonnaie.  Dieser Zettel war zusammengefaltet, hatte Din A5 Größe und klebte an meinem Personalausweis. Dort drauf stand:

„Ich bin Ines G. Falls Sie diese Zeilen hier lesen, scheint mir etwas passiert zu sein. Zu Hause warten zwei Kinder, ein pflegebedürftiger Mann und zwei Hunde auf mich. Bitte rufen sie Telefonnummer xyz an. Danke!“

Inzwischen klebt immer noch ein Zettel in meiner Brieftasche, allerdings ist der Text angepasst.

Bevor Simon 2012 das erste Mal von Kunibert heimgesucht wurde, sind wir an kinderfreien Tagen oft Motorrad gefahren. Er hatte eine kleine Honda, und das bereits als ich ihn kennengelernt hatte. Mein Held fand es ganz super, dass ich so gern mitgefahren bin. Bald hatte ich meine eigenen Klamotten. Simon war ein vorsichtiger Fahrer, raste nie und fuhr sehr umsichtig. Zumindest wenn ich mit drauf saß. Dann wurde er krank. Plötzlich wurde uns bewusst, wie schnell manche Dinge geschehen können. Als Leo geboren wurde, warteten plötzlich zwei Kinder zu Hause. Simon wollte nicht mehr Motorrad fahren. Es war ihm zu gefährlich. Es war ihm plötzlich verantwortungslos.HoneymoonPictures_Ines&Simon-345

In diesem Zuge sprachen wir das erste Mal darüber, ob es nicht ratsam wäre, irgendwo, irgendwie festzuhalten, was mit unseren Kindern passieren soll, wenn mit uns etwas geschieht. Wir haben uns sogar beraten lassen, wie wir darüber verfügen können, wie wir sichergehen können, dass die Kinder im Falle eines Falles gut versorgt werden.

Wir wussten nun wie es geht. Getan haben wir nichts. Fragt mich nicht warum. Es ist ähnlich wie mit Simons Patientenverfügung, die immer noch unausgefüllt in unserem Schrank liegt. Oder auch diverse Vollmachten. Alles was mit dem Thema Tod und Schicksal zu tun hatte, schoben wir weg. Das meine Lieben ist verantwortungslos, dass muss ich mir leider eingestehen.

Ich erzählte Euch bereits, dass es in einer Beziehung/Ehe durchaus Sinn macht, sich gegenseitige Vollmachten auszustellen. Auch bei völliger Gesundheit, da Ihr nicht wissen könnt, was morgen sein wird. Das sind ungemütliche Themen, auch wir haben sie immer wieder vor uns her geschoben. Ich hatte am Ende eine Generalvollmacht von Simon. Auch gab er mir seine Gesundheitsfürsorge. Eine extra Bankvollmacht hatte ich jedoch nicht. Und das war extrem doof. Alle diese Vollmachten müssen unter 100 prozentiger mentaler Zurechnungsfähigkeit ausgestellt werden. Ein Neurologe musste Simons Geschäftsfähigkeit absegnen, ein Notar die Vollmachten beglaubigen. An den letzten beiden Punkten scheiterte die Bankvollmacht. Aber genug zum Reminder. Denkt mal drüber nach… seid cleverer als wir…img_20180620_194607_4881534611937751207289.jpg

Nun bin ich allein mit den Kids. Vor einer Woche, früh am Morgen, wartete ich zusammen mit den Heldenkindern auf den Bus. Plötzlich knallte es. Ein Auto wollte ausparken, ein anderes Auto übersah dies und sie fuhren ineinander. Dabei rammten sie ein drittes Auto. Ich erschrak mich, die Heldenkinder ebenso. Aus dem einen Auto hörte ich zwei Kinder weinen. Es ist niemandem etwas passiert. Die Fahrer stiegen aus, beschimpften sich alle gegenseitig und die Kinder im Auto beruhigten sich. Es blieb bei einem großen Blechschaden.

Dieser Unfall ging mir nicht aus dem Kopf. Er zeigte, wie schnell Dinge passieren können, auf die man manchmal gar keinen Einfluss hat. Was ist, wenn mir etwas passiert? Was ist, wenn mich ein Auto übersieht? Was passiert dann mit den Kindern?

Der Zettel in meiner Brieftasche würde eventuell dafür sorgen, dass Person x informiert wird und sich die Minihelden nicht wundern, warum sie Niemand aus der Kita abholt oder ich nicht nach Hause komme. Aber was passiert dann? Vermutlich kommt das Jugendamt und nimmt sie in Obhut. Denn beide Kinder haben nur eine sorgeberechtigte Person; Mich. Wenn es mich nicht mehr gibt, was ist dann?img_20180413_072403_4036074119489781408654.jpg

Die Einhornbändigerin hat zwei Papas. Unseren Helden im Himmel und Papa 1. Das Verhältnis zu Papa 1 ist wirklich sehr gut, sie ist jedes zweite Wochenende bei ihm. Auch wir verstehen uns recht gut. Das Sorgerecht habe dennoch nur ich. Nicht weil Papa 1 kein guter Vater ist, die Gründe sind andere. Es sind eher praktische Gründe und von beiden Seiten so gewollt. Trotzdem treffe ich keine Entscheidungen, die Emma betreffen ohne Papa 1. Das mit dem Absprechen bekommen wir gut hin, denke ich.

Dass Leo kein weiteres sorgeberechtigtes Elternteil hat ist selbsterklärend. Wenn mir etwas passieren sollte, würde das Sorgerecht für beide Kinder auf das Jugendamt übergehen. Die Kinder würden zunächst in Obhut des Jugendamts leben, bis geklärt ist, wie es weitergeht. Aufgrund meines Jobs weiß ich, dass das recht lange dauern kann.

Ich glaube nicht, dass diese Situation eintreten wird. Ich hoffe, dass diese Situation nie eintreten wird. Aber wissen kann ich es nicht. Und auch wenn es ein furchtbares Thema ist, möchte ich darüber schreiben. Denn es ist wichtig. Auch für Eure Kinder. Ich brauche dieses sichere Gefühl, das über den Zettel in meiner Tasche hinaus geht.

Gestern habe ich Papa 1 angerufen. Ich habe ihm gesagt, dass ich einen Termin beim Jugendamt für uns machen werde. Dort werde ich unterschreiben, dass wir fortan das gemeinsame Sorgerecht für die Einhornbändigerin haben. Papa 1 war etwas verwirrt glaube ich, ich erzählte ihm von den Gründen. Wir machen das so. Da wir nicht sehr nahe aneinander wohnen, könnte dies den Alltag manchmal etwas komplizierter machen. Dafür aber ist sichergestellt, dass Emma abgesichert ist, wenn mir etwas passiert.38461278_1717628545021270_4845641605824118784_n.jpg

Der kleine Heldensohn…er wird nicht zu Papa 1 gehen. Die zwei kennen sich zwar und mögen sich auch, aber eine richtige Bindung ist nicht da. Außerdem glaube ich, dass Papa 1 (es tut mir Leid) mit zwei Kindern überfordert sein könnte. Es gibt andere liebe Menschen, die ich im Kopf habe, zu denen der kleine Heldensohn einen guten Draht hat. Dort gibt es eine tiefe Bindung und ich hoffe, dass sie ihn im Notfall aufnehmen würden. Ich bin guter Dinge. Wenn ich aufgrund von Emma sowieso schon beim Jugendamt sitze, werde ich mich diesbezüglich nochmal beraten lassen. Ich erinnere mich noch von damals daran, dass es möglich ist, diese Dinge festzuhalten. Es ist ähnlich wie ein Testament, nur geht es dabei nicht um Sachgüter sondern um die Kinder. Wenn alle Beteiligten dieses Schriftstück unterschrieben haben und es von offizieller Seite ebenfalls unterschrieben wird, dann würde die Pflegschaft für das betreffende Kind an Person x übergehen. Leo müsste dann nicht woanders hin. Zeitgleich ist es auch möglich, festzuhalten, dass der Umgang der Geschwister gesichert wird, wie und in welchem Umfang. Das ist alles recht kompliziert, daher gehe ich erneut zur Beratung.

Ich möchte nochmal betonen, dass ich nicht glaube, dass es jemals dazu kommen wird. Aber es fühlt sich einfach sicherer an. Am 6.5.18 stand Simon noch zusammen mit mir auf dem ersten Flohmarkt in diesem Jahr. Zwei Monate später starb er. Als unser Held im Juni in die Klinik ging, redeten wir noch darüber, dass er bestimmt bis zu unserem ersten richtigen Hochzeitstag wieder zu Hause sein wird, dass wir an meinem Geburtstag Essen bestellen wollen, wenn er zu müde für ein Restaurant sein sollte. Drei Wochen später starb Simon.40103487_1105961729554682_5945240039184138240_n

Die Autofahrer, die sich gegenseitig die Schuld für den Unfall gegeben haben, saßen vermutlich nur wenige Minuten zuvor noch am Tisch, tranken ihren ersten Kaffee und schrieben vielleicht eine Einkaufsliste.

Ihr Lieben, sorgt vor! Für Eure Lieblingsmenschen. Klärt lieber zu früh als zu spät, was mit den Kindern geschieht. Erteilt Euch gegenseitig Vollmachten. Seid verantwortungsbewusster als wir. Im Falle eines Falles wird es sonst eventuell sehr unschön und tragisch.

Ihr könnt ja zumindest einmal drüber nachdenken.

6 Gedanken zu „Wie ist das eigentlich wenn mir etwas passiert? Vorsorge für die Heldenkinder

  1. Oh ja, dass ist ein wirklich sehr wichtiges Thema.
    Nachdem mein Mann 2009 einen Schlaganfall hatte, haben wir uns auch sofort darum gekümmert. Ein Testament hatten wir schon viel länger.
    Jetzt im September haben wir alles nochmal überholen lassen. Unseren Sohn mit ins Testament geschrieben, die Vollmachten und Verfügungen an neue Gesetze angepasst, Eigentum an den Sohn überschieben (er ist schon 22) etc. pp..
    Mein Mann ist herzkrank, ich habe Krebs…da muss alles geregelt sein. Ich würde nicht wollen, dass ein Fremder über meinen Mann oder mich bestimmt. Selbst unser Sohn hat schon eine Patientenverfügung gemacht und Vollmachten an uns gegeben.

    Alles Gute dir und den Heldenkindern

  2. Hier ist auch vorgesorgt, gleich nach der ersten Therapie, die ja notfallmäßig eingeleitet werden musste. Testament, Patientenverfügung, mit einem dicken Kloß im Hals und rollenden Tränen. Zum Glück hat unsere Tochter zwei große Brüder. Für die Jungs hatten wir früher eine Verfügung, dass sie bei meiner Freundin aufwachsen sollten. Daran hält sich das Jugendamt nach Prüfung.

  3. Obwohl wir das alles wussten, wir haben es nicht auf die Reihe gekriegt. Die Krankenhauser wurden informiert ueber keine lebensverlaengernden Massnahmen, es gab wenige Aufenthalte dort und mein Schatz konnte zu Hause gepflegt werden und auch hier bei uns einschlafen. Ansonsten hatten wir nichts schriftlich und es hat mich im Nachhinein ueberfordert.
    Auch hatten wir das Thema Leben nach dem Tod ausgeklammert, meine Heldin wollte es so was es natuerlich nicht einfacher gemacht hat. Ich habe es so akzeptiert, fuer mich gab es wichtigeres, die Zeit des gemeinsamen Lebens zum Beispiel und auch die Tatsache, dass ich mich nicht auf das Danach vorbereiten konnte wenn das ueberhaupt moeglich ist.

    Liebe Gruesse aus dem Land der Fjorde!

  4. Liebe Ines, vielen Dank für die eindrucksvolle Erinnerung. Wir haben in der Sache auch noch nichts unternommen, bisher nur darüber geredet, aber es ist wirklich wichtig, dass auch wir endlich vorsorgen. Wir haben zwei kleine Kinder und man weiß nie, was kommt.
    Zufällig hat Julia von Textilsucht kürzlich einen sehr ausführlichen und hilfreichen Artikel zu dem Thema geschrieben, darf ich den hier verlinken? https://www.textilsucht.de/2018/10/sorgerechtsverfuegung-was-passiert-wenn-etwas-passiert/
    Danke dir und liebe Grüße von Dorothee

  5. Liebe Ines,
    ich folge dir schon eine weile, jedoch immer als stumme Mitleserin. Es schmerz, wenn man sich Gedanken bzgl. Vorsorgevollmachten, Patientenverfügungen und Testatementen machen muss, aber es ist so so wichtig.
    Meine Mutter ist letztes Jahr nach langer Krankheit verstorben und meine Eltern hatten kein Testament.
    Kurzfassung: Das Erbe meiner Mutter ging auf meine Geschwister und mich über, was leider zu finanziellen Streitigkeiten geführt hat. Das Highlight: Mein Bruder wollte sein Erbe ausbezahlt haben und mein Vater wusste nicht, wie er die Beerdigung bezahlen sollte.
    Alles sehr unschön. Das wünsche ich niemandem, aber auch aus solchen Gründen muss man an die Vorsorge denken…
    Liebe Grüße
    Jennifer

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