Es ist so kalt geworden, Fahrradfahren geht jetzt nur noch mit Handschuhen. Meine dicke Jacke hab ich auch schon an. Heute hat es sogar gehagelt, ganz dicke, weiße Körner. Leo fragte die ganze Zeit, warum Du so schlechtes Wetter machst. Ich habe versucht ihm zu erklären, dass nicht Du das Wetter machst. Aber ich glaube, so richtig verstanden hat mein Bruder das nicht. Naja.
Letzten Freitag habe ich meine Deutscharbeit geschrieben, hast Du mir die Daumen gedrückt? Noch habe ich sie nicht wiederbekommen, aber ein gutes Gefühl habe ich.
Lieber Papa, ich versuche im Moment Toffee besser zu erziehen. Kunststückchen macht er aber nur, wenn ich Käse in der Hand hab. Sonst guckt er mich nur mit seinen riesigen Augen an. Immerhin klappt das Laufen ohne Leine jetzt wieder besser. Er kann anscheinend doch auf Abruf kommen. Das macht die Gassitouren etwas weniger stressig. Ich muss Dir etwas beichten. Ab und zu gehen die Hunde allein spazieren, nämlich dann wenn Leo oder ich vergessen die Haustür zu schließen. Manchmal merken wir es erst einige Zeit später, letztens klingelte ein Nachbar und sagte, dass Toffee und Apple Jack draußen sind. Mama ist dann manchmal etwas sauer…
Liebster Papa, jeder von uns hat jetzt ein Kuscheltier, dass aus T-Shirts von Dir gemacht ist. Mein kleiner Simon schläft in meinem Bett. Er ist so groß, dass ich viel weniger Platz habe. Fast so, als würdest Du neben mir liegen. Früher haben wir das öfter gemacht, weißt Du noch?
Ich sehe zur Zeit überall so komische Gestecke, Leute im Radio reden über tote Menschen. Ich habe Mama danach gefragt. Sie meinte, dass am Sonntag Totensonntag sei, und alle Menschen an diesem Tag an ihre Verstorbenen denken, die Grabstellen hübsch machen und so. Ich kenne das unter den Namen Ewigkeitssonntag. Aber wir denken doch immer an Dich und Deinen Baum machen wir immer schick, wenn wir zu Dir kommen. Und bis in die Ewigkeit liebhaben tun wir Dich sowieso. Von Deinem Wald kam sogar eine Einladung zu einer speziellen Rede (Andacht) an diesem Tag. Wir haben entschieden, dort nicht hin zu gehen. Erstens können wir dann nicht wie sonst um den Baum springen und Dir Dein Lieblingslied singen und zweitens brauchen wir keinen besonderen Tag. Wir werden am Sonntag trotzdem etwas besonderes machen. Mama hat uns erzählt, dass die Leute in Südamerika anders an ihre Toten denken, als viele Menschen hier bei uns. Dort feiern sie, kochen das Lieblingsessen der Menschen, die nicht mehr am Leben sind und picknicken am Grab. Sie basteln lustige und irgendwie gruselige Masken. Sie feiern das Leben, anstatt weinend ein Gesteck auf ein Grab zu legen. Leo und ich finden das toll.
So etwas ähnliches werden wir am Sonntag auch machen. Wir werden Deine Lieblingsmusik hören, Nudeln mit irgendwas Fleischigem essen. Mama sucht sich dann eine Alternative denk ich. Wir werden für Dich singen, für Dich basteln und all das tun, was Du gern getan hast. Ein Lego Star Wars Set steht hier noch. Du hast es nicht mehr geschafft, es aufzubauen. Vielleicht tun wir das für Dich am Sonntag.
Weißt Du mein lieber Papa, wir vermissen Dich wirklich sehr und sind oft traurig deswegen. Aber ich hab gesehen, wie schlecht es Dir ging. Ich konnte oft nicht schlafen, weil ich Angst hatte, dass Du stirbst. Ich hatte immer Angst. Ich hab gesehen, dass Du Schmerzen hattest, ich habe gehört wie schwer krank Du bist und ich wusste, dass Du nie wieder gesund wirst. Ich vermisse Dich, aber ich glaube, dass Du das, was Du zum Schluß hattest, nicht mochtest. Ich glaube, dass Du keine Kraft mehr hattest. Und ich glaube auch, dass es Dir jetzt besser geht dort oben. Ich habe vor einiger Zeit mit Mama darüber geredet und in der Trauerbegleitung. Alle sagen, dass es okay ist so zu fühlen. Es ist auch okay zu lachen und zu feiern. Die in Südamerika machen es doch auch.
Im Radio habe ich heute morgen gehört, dass irgendein bekannter Mann in Mallorca gestorben ist. Der hat auch Kinder, ich glaube mehr als zwei. Ständig wurde von dem erzählt und davon, dass er Kinder hatte und eine Frau. Und dass die alle Angst haben. Lieber Papa, ist der andere Papa schon oben bei Dir angekommen? Vielleicht hilfst Du ihm ein bisschen, dass er sich nicht so alleine fühlt. Ich glaube ja, dass Du immer bei uns bist, wir Dich nur nicht sehen können. Vielleicht zeigst Du dem anderem Papa, wie das funktioniert, damit er auch auf seine Kinder aufpassen kann?
Bald ist Weihnachten. Wir wollen bald die Deko aus dem Keller holen. Letztes Jahr hast Du einiges neues dazu gekauft. Vorher hatten wir kaum Deko, ich glaube, ihr mögt das nicht so. Aber letztes Jahr leuchtete unser ganzes Haus. Als hättest Du gewusst, dass es unser letztes gemeinsames Weihnachten ist. Guck mal hier, das war der erste Weihnachtsbaum, den wir zusammen geschmückt haben. Damals haben Mama und ich noch allein gewohnt, da war ich erst ein Jahr alt glaub ich. Darunter stand auch eine Krippe, die ihr aus Playmobilfiguren nachgebaut habt. Ich erinnere mich gar nicht mehr daran, aber die Fotos sind klasse. Du hast uns oft besucht oder wir Dich. Ich hatte auch mein eigenes Bett in Deiner Wohnung und einen Babystuhl und eine Spielzeugkiste. Kurz nach diesem Weihnachten haben wir unsere ersten Familienfotos gemacht. erinnerst Du Dich? Da waren Deine Haare noch so lang ich kann mich kaum noch daran erinnern.
Dieses Weihnachten bin ich mit Papa 1 bei der Oma in Bayern. Ich war doch immer abwechselnd bei Euch oder bei Papa 1. Ich habe Mama gefragt ob ich dieses Jahr auch wieder dort hin darf. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen deswegen, weil Leo und Mama dann ganz allein an Weihnachten sind. Mama hat gesagt, dass ich das nicht haben brauche. Und ich fahren darf, wenn ich es denn möchte. Und ich möchte. Denn in Bayern gibt es ja nicht nur Oma, sondern auch meine ganzen anderen Verwandten. Du kennst die ja auch. Es sind ganz viele. Das ganze Dorf da kennt mich. Außerdem liegt da fast immer Schnee, es gibt viel Platz und Omas leckeres Tiramisu. Ich hab Mama und Leo doll lieb, die anderen aber auch. Das ist manchmal gar nicht so einfach, weil ich Niemanden kränken möchte. Mama sagte, dass ich nicht soviel darüber nachdenken soll, dass ich ein Kind bin und nicht auf Erwachsene aufpassen brauche. Das wäre Mamas Job nicht meiner.
Letztes Jahr habt ihr besprochen vielleicht dieses Jahr über Weihnachten weg zu fahren. Das klappt jetzt nicht so. Ich weiß noch gar nicht was Leo und Mama machen werden. Aber ich denke, sie werden auch Spaß haben. Silvester feiern wir alle zusammen. Und einen Tag vor Silvester hast Du Geburtstag. Da kommen wir zu Dir in den Wald, mit extra dicken Klamotten. Wir bringen Kaffee und Tee mit. Wir bringen Mohnkuchen mit Äpfeln und Dominosteine mit. Wir werden Luftschlangen vor Deinem Baum pusten, Happy Birthday singen und zusammen Essen. Das wird bestimmt ganz toll. Achja, an Musik denken wir natürlich auch. Hast Du besondere Wünsche? Wir nehmen einfach die CD mit, die noch im CD-Player liegt, die hast Du im Sommer als letztes gehört. Seit dem hat sie Niemand da raus genommen.
Lieber Papa, danke dass Du mein zweiter Papa bist. Ich hatte wirklich Glück mit Dir. Aber Du musst zugeben; Du hattest auch Glück mit mir oder? Ich finde ja, dass wir ein tolles Team gewesen sind, oder was meinst Du?
Lieber Momo Papa ich drück Dich ganz fest. Grüß die anderen Schutzengel im Himmel von mir. Sag denen, dass sie gut auf uns aufpassen sollen. Mama, Leo und ich haben nämlich abgemacht, dass jetzt Niemand mehr so schnell stirbt. Hilfst Du uns dabei?
Ich wünsche Dir ganz viel Sonne im Himmel.
Ich hab Dich so dolle lieb.
Deine Emma
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Meine Tränen kullern vom ersten bis zum letzten Satz liebe Ines. Eure Worte treffen mich mitten ins Herz ❤ das werden schwere Tage, ich denk an Euch und drück euch ganz lieb
Liebe Emma .du bist so toll und so vernünftig .Du kannst richtig stolz auf dich sein ( ich hoffe das du das auch bist )
LG von der Ostsee