Ich erzählte Euch am Wochenende bereits von dem Wutanfall des kleinen Batman. Heute werde ich etwas näher darauf eingehen und auch sagen, warum ich glaube, dass Kinder manchmal gar nicht anders können als laut los zu brüllen.
Ich holte den kleinen Batman von der Kita ab. Diesmal kam ich zu spät, sonst ist es zu früh oder auch zu spät. Eigentlich ist es egal wann ich komme, mein zeitliches Timing passt dem Heldensohn selten in seinen Tagesplan. Aber gut, Ihr kennt das vielleicht auch.
Wir verabredeten seit 2 Tagen, dass wir am Freitag sein Zimmer aufräumen werden. Leo aber wollte nach der Kita zu seinem Babycousin gehen. Als ich ihn an sein Zimmer erinnerte, gab es kein Halten mehr. Er schrie, bockte, warf sich auf den Boden und beleidigte mich. Wutanfälle kenne ich, das kann der kleine Heldensohn hin und wieder ganz toll. Beleidigungen allerdings waren neu. Teilweise machten sie mich sprachlos, weil sie Schuldzuweisungen enthielten, mit denen ich erst einmal kämpfen musste.
Während Leo sich weigerte, seine Schuhe anzuziehen und auf den Boden trampelte, teilte mir eine Erzieherin mit, dass der Nachmittag bereits recht schwierig gewesen war. Leo weinte und erzählte von Papa. Ich wusste bereits zuvor, dass der eigentliche Auslöser für diesen Wutanfall nicht das Zimmer war, sondern einen anderen Grund hatte. Beleidigungen an mich gehen dennoch nicht. Ich setzte mich auf einen Minikitastuhl und wartete zunächst ab. Ich versuchte mit meinen Gefühlen zu kämpfen und redete mir immer wieder ein, dass der kleine Batman seine Worte nicht ernst meint. Nachdem immer mehr Eltern unser Szenario mit angesehen hatten und ich auch irgendwann einmal nach Hause wollte, wurde ich kurz sehr deutlich und meinte, dass ich jetzt gehen möchte. „Du bist an allem Schuld, Du bist unfair, ich will ausziehen, Du bist Schuld, dass Papa tot ist“. Nach dieser verbalen Ohrfeige versuchte ich Leo kurz mitzuteilen, dass ich verstehe, dass er sauer ist, dass ich verstehe, dass er wütend ist, dass es mich aber traurig macht, dass er diese Dinge sagt und dass das nicht okay ist. Der kleine Heldensohn aber hatte seine Scheuklappen aufgesetzt und schrie immer weiter.
Es gibt Kindern, denen es hilft, in diesen Momenten in den Arm genommen zu werden. Es gibt Kinder, wie auch Leo eines ist, denen es mehr hilft, seiner Wut freien Lauf zu lassen. Ich zog mich zurück, blieb aber in Sichtweite. Es dauerte nicht lange und der Heldensohn folgte mir, immer noch laut schimpfend, aber er folgte mir.
Wir verließen die Kita. Nach einigen Schritten setzte ich mich auf eine niedrige Mauer und versuchte noch einmal, mit dem Heldensohn zu sprechen. „Ich verstehe, dass Du wütend bist, aber das was Du gerade machst, geht trotzdem nicht.“ Ich hockte mich hin, um unserem Sohn in die Augen sehen zu können. „Lass uns hier warten, bis Du Dich etwas beruhigt hast“. Der kleine Batman hüpfte, stampfte und schrie, dass er nach Hause will und ich schuld sei, wenn er morgen krank ist. Ich wollte auch nach Hause, das sagte ich ihm auch. Aber solange er weiterhin diverse Vorwürfe an mich in den Raum stellt und rumbrüllt würde ich keinen Bus mit ihm betreten. Leo gab mir erneut die Schuld für Simons Tod und sagte, dass Papa wieder „runter“ kommen soll und ich in den Himmel muss. Bähm, die nächste Ohrfeige. Innerlich zählte ich bis 10. „Das ist nicht fair und auch nicht nett, wenn Du so etwas sagst“, reagierte ich recht deutlich.
Dieses Szenario dauerte etwa weitere 30 Minuten. Ich musste mich mehrfach sammeln, um mich nicht auf dieses „Gespräch“ einzulassen bzw. es nicht zu sehr an mich heran zu lassen. Ich sagte ihm, erneut recht deutlich, dass wir gern darüber reden könnten, wenn er sich etwas beruhigt hat. Irgendwann schwiegen wir beide. Die Situation machte sprachlos, mich, ihn und alle, die an uns vorbei gingen.
Als Emma zwei Jahre alt war, hatte sie regelmäßig Trotzanfälle. Ohne Beleidigungen oder Schuldzuweisungen; dafür aber mit einer lauten Stimme, die ich so noch nie gehört hatte. Gerne auch im Winter. Dann lag sie, sich im Kreis drehend, vor einer Bäckerei. Im Matsch. Weil ich keinen Donut gekauft hatte. Auch hier war ich mir fast immer sicher, dass der eigentliche Grund ein anderer war. Vielleicht wurde sie zuvor in der Kita geärgert oder war wegen etwas wütend, dass sie so noch nicht äußern konnte. Entladen hat es sich bei mir, wegen einem Donut.
Auch Leo lässt seinen Frust oft bei mir. Ich bin mir sicher, dass Eure Kinder ähnliches bei Euch tun. Frust ablassen. Dabei spielt das Alter des Kindes kaum eine Rolle.
Kinder tun dies nicht, um zu verletzen. Ich bin mir auch sicher, dass Leo dies nicht tun wollte. Kinder tun dies, weil sie in diesem einen Moment so gefühlsgeladen sind, dass sie es kaum aushalten. Es überflutet sie förmlich und quillt aus jeder Pore ihres Körpers. Besonders kleinere Kinder in der Trotzphase können sich oft noch nicht ausreichend verbal äußern. Was bleibt ihnen also anderes übrig, als auszuflippen, wenn nicht verstanden wird, wie wichtig dieser Donut genau jetzt ist. Und wie traurig sie darüber sind, ihn nicht zu bekommen. Und der Tag vorher war auch schon anstrengend. Wie sollen sie es sagen, wenn Worte fehlen? Ich möchte nicht sagen, dass daher immer Rücksicht genommen werden soll. Auch ein Nein müssen Kinder lernen. Ich bin ausgezeichnet gut im Nein sagen… Auch habe ich meinen Trotzanfallkindern immer gesagt, dass ihr Verhalten nicht förderlich für die Situation ist, dass wir andere Wege finden sollten, mit Wut umzugehen. Ein Satz, der immer gut funktionierte ist: „Ich verstehe dass,…. aber….“ Ich denke, dass es wichtig ist dem Kind mit Verständnis zu begegnen und gleichzeitig aber mitzuteilen, dass das so nicht geht.
Leo kann sich sprachlich äußern. Er kann theoretisch sagen, wenn es ihm nicht gut geht. Aber auch nur in der Theorie. In der Praxis können auch 6 Jährige nicht immer ihre Gefühle einordnen. Plötzlich ist da etwas, dass sie traurig macht. Dieses Gefühl ist schwer, es fühlt sich wie ein Sack voller Steine im Bauch an. Es ist so schwer, dass manchmal die Beine dieses Gewicht nicht mehr tragen können. Die Steine müssen also raus. Aber wie? Auch wenn Kinder sprechen können, sind sie oft mit Gefühlswellen, die über sie rollen, überfordert. Manchmal können sie dies gar nicht einordnen. Und dann ist zumindest der kleine Batman wie eine tickende Zeitbombe. Irgendwann knallt es, heftig, laut und ohne Vorwarnung. Das gilt es auszuhalten. Der kleine Batman muss es aushalten. Und in diesem Beispiel auch ich. Ich versuchte körperlich auf Augenhöhe zu unserem Sohn zu gehen, sagte ihm, dass ich seine Wut verstehe und mich seine Worte dennoch verletzen und ich es nicht in Ordnung finde. Ich bleibe dabei auch nicht immer ruhig und spreche mit einer „alles ist schön rosa“ Stimme. Ich rede deutlich, manchmal sehr deutlich. Ich versuche nicht zu schreien, weil das genau das Gegenteil bewirkt. Ich versuche es. Immer. Klappen tut es nicht immer und das tut mir leid.
Werden aus Kindern Teenager, dann brüllen sie auch gern. Oft auch wegen Dingen, die wir als Kleinigkeiten wahrnehmen. Für die Kids aber ist es keine Kleinigkeit, und das gilt es ernst zu nehmen. Ernst nehmen heißt übrigens nicht, es hin zu nehmen oder zu akzeptieren. Das sind zwei unterschiedliche paar Schuhe.
Was wir Erwachsene im Optimalfall gelernt haben, ist eine Art Selbstregulation. Und selbst bei uns „Großen“ klappt die nicht immer; sonst gäbe es keine brüllenden Eltern, Partner oder sonst was. Selbstregulation ist wichtig, damit aus dem Schreien nicht Schlagen wird.
Selbstregulation muss gelernt werden, und das klappt am besten mit einem guten Trainingspartner an der Seite. Einem Partner, der Ernst nimmt und trotzdem zurechtweist. Einem Partner, der zuhört und versucht, zu verstehen. Einem Partner, der Gefühle wahrnimmt und eigene äußert. Einem Partner, der dennoch Schutz bietet und nicht loslässt. Einen Partner, der Grenzen wahrnimmt und auch aufzeigt. Einem Partner, der versucht, hinter die Fassade zu sehen, um herauszufinden, was der tatsächliche Grund für diesen Gefühlsausbruch ist.
Für Kinder sollten die Eltern bzw. die pflegenden Erwachsenen diese Partner sein.
Der kleine Batman und ich sind am Freitag irgendwann zu Hause angekommen. Der kleine Heldensohn beruhigte sich. Er suchte meine Nähe, hielt ständig meine Hand, als hätte er Angst dass ich gehen könnte. Wir gingen zum Boxsack, er schlug darauf ein, ich hielt ihn fest. Wir bauten eine Höhle und hörten laut Musik. Sein Zimmer musste er trotzdem aufräumen. Die Tatsache, dass er nicht mit seinen Freunden spielen durfte, solange das Zimmer nicht aufgeräumt ist, galt weiterhin.
Am Samstagvormittag redeten wir über diesen „Vorfall“. Der kleine Heldensohn meinte, dass er einfach so sauer war „wegen Papa, wegen dem Zimmer, wegen Weihnachten ohne Papa, wegen allem“.
Ich bin mir sicher, dass es nicht der letzte Wutanfall gewesen sein wird.
Manchmal hilft es mir und den Kindern wenn wir dieses Buch zur Hand nehmen. Es besteht nur aus Bildern und Illustrationen, die Gefühle darstellen. Aufgrund der Farben und des Ausdrucks kann auch der kleine Heldensohn diese gut zuordnen. Wenn Worte fehlen, kann dieses kleine Buch helfen.
Wenn ihr auch ab und zu „das Wutmonster“ zu Besuch habt und eigentlich gar nicht richtig wisst warum, probiert es einmal aus. Uns hilft es wirklich sehr.
Versucht Streitereien nicht zu sehr an Euch ranzulassen. Legt nicht jedes Wort auf die Goldwaage, bleibt aber trotzdem authentisch und sagt, wenn Euch etwas nicht gefällt oder Ihr es unangemessen findet. Lasst der Wut Zeit und Raum. Aber lasst sie Euch nicht vereinnahmen. Manchmal hilft es auch, genauer hin zu sehen, wo genau der Grund für diese „Attacke“ ist. Denn nicht immer ist es das Offensichtliche.
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Puh 🙊🙉🙈harte Nuss….Aber du hast soo Recht….wie sollen Kinder mit Gefühlen umgehen mit der sich auch die meisten Erwachsenen sehr schwer tun 😢
Du bleibst souverän und vermeintlich stark obwohl es dir wahrscheinlich auch den Boden weg reißt wenn du dein Kind so sehen musst und ihm nicht helfen kannst ❤und dir Vorwürfe macht die er gar nicht so meint,die aber raus müssen weil er sonst wahrscheinlich dran „erstickt“ 🤷♀️Ines ..du machst das so toll 👍ich bin mir ganz sicher ❗Ihr werdet auch diese Wutausbrüche immer wieder meistern auf Eure Art und Weise❤mit ganz viel Liebe am Ende des Tages ❤❤❤❤❤❤❤🎈🎈🎈🎈🎈🎈🎈
Ich kenn das – nur zu gut. Meine Tochter (6) ist auch voller Emotionen. Die Gründe sind vielfältig: zu wenig Schlaf, das Alter, die Einschulung (welche wirklich fordernd ist), die Mama, die früher oft auch sehr emotional (in die falsche Richtung) reagiert hat, und sicher noch einiges andere – unter anderem ist sie einfach so. Als sie in den terrible three war, war mein Mann in der Diagnose und in Behandlung. Und ich rückblickend einfach psychiscch total angeknackst. Da hat es zwischen ihr und mir des öfteren heftigst gekracht. Begonnen hat das aber schon früher, die kleine Maus hat den Bruder gebissen (ok Geschwisterneid), die Mama, die Kinder in der Krippe (immer noch „ok“, sowas gibt es, obwohl sie mit größter Freude in die Krippe ging). Dann kam die Kita (und die Diagnose/THerapie) meines Mannes und ihre Wut verlagerte sich auf mich, manchmal auf die Familie. Sie ist ein Engel, der manchmal unter Starkstrom steht. Dann gibt es bei uns auch großes Schreien, Weinen, Beschimfungen (und auch Schläge – also sie schlägt mich). Seit ich wieder emotional etwas gefestigter bin und gleichzeitig meiner Tochter diesen Charakterzug (große Wut im Bauch) in gewissem Rahmen einfach zugestehe wird es besser (gerade diese große Wut hat mich manchmal überfordert, weil ich eigentlich so nicht bin). Und klar, sie wird auch älter. Deine Antworten auf Eure Gewitter sind meiner Meinung nach genau richtig. Augenhöhe, Verständnis, Wut erlauben, Rahmen setzen. Es ist manchmal sehr schwer, den Grund zu finden. Manchmal muss man das auch nicht, weil man ihn eh nicht ändern kann oder das Kind das einfach gerade nicht packt, den Grund zu besprechen, dem Problem ins Auge zu sehen. Seit einiger Zeit schaffen wir es wenigstens ohne Beschimpfungen, ohne Schlagen und mit abschließenden in den Arm nehmen, gemeinsamen Trösten. Welch eine Erleichterung. Stray strong! LG