Lebenslänglich

Als wir letztes Jahr im Juni geheiratet haben, hörten wir manch clevere Stimmen, die gerne witzig sein wollten. Sie meinten, dass wir nun lebenslänglich haben. Sie meinten es nicht böse, der Humor war einfach nur schlecht. Als wir geheiratet haben, fragte uns unsere freie Rednerin vor der Trauung, ob sie den Satz „Bis das der Tod Euch scheidet“ sagen darf. Sie durfte. Weil das unser Plan war. Dieser Satz fällt häufig bei Hochzeiten, auch wenn beide Partner absolut gesund sind. In Berlin werden aktuell etwa 50% der Ehen geschieden. Das Wort „Lebenslänglich“ trifft es also nicht ganz. Immerhin hat man die Option der Scheidung. Die Option einer vorzeitigen „Haftentlassung“.

Jetzt bin ich nicht mehr verheiratet. Irgendwie schon. Irgendwie nicht. Ich weiß nicht genau. Und jetzt habe ich tatsächlich das Gefühl, zu „lebenslänglich“ verurteilt zu sein. Ja, ich bin noch nicht uralt. Ja, ich weiß nicht, was da noch kommt. Und ja tralala. Da kann noch viel passieren. Lebenslänglich haben die Heldenkinder und ich trotzdem irgendwie. Besonders das letzte Jahr mit Kunibert wird uns immer irgendwie begleiten.img_20180702_064236_0869054903156637287232.jpg

Wir haben keine Chance auf vorzeitige Haftentlassung. Wir haben auch keine Chance auf Begnadigung. Kein Hinterbliebener/ keine Hinterbliebene hat das. Es spielt keine Rolle, wieviel Zeit vergeht, lebenslänglich bleibt lebenslänglich.

Auf Grund dieses Blogs bin ich in Kontakt mit anderen Menschen, die einen Held/eine Heldin im Himmel haben. teilweise schon länger als bei uns. Sie sagen, dass es mit der Zeit besser wird, es wird anders. Manche haben neue Partner, andere nicht. Und trotzdem bleibt dieses Gefühl von lebenslänglich. Weil sie durch eine Zeit gegangen sind, die nicht einfach war. Weil diese Zeit aus ihnen andere Menschen gemacht hat. Weil auch sie immer mal wieder vermissen, trotz eines weiteren Lieblingsmenschen an der Hand.img_20181202_1246156888694291713547466.jpg

Dieses Gefühl von lebenslänglich wird bleiben. Die Heldenkinder und ich haben keine Bank ausgeraubt, keine Handtasche gestohlen oder Steuern hinterzogen. Zumindest die Heldenkinder haben auch niemanden umgebracht. In meinem Fall bin ich mir da nicht ganz sicher, diese Unterschrift, Ihr wisst schon. Wir sitzen nicht hinter Gittern, tragen aber eine Art Fußfessel, die dann am lautesten Alarm schlägt, wenn wir am wenigstens damit rechnen. Diese Fußfessel macht eine Flucht unmöglich, egal wie gut wir klettern können. An den Abenden ist die Fessel besonders eng. Wenn ich lachende Gesichter sehe, die Weihnachtsgeschenke kaufen, ist sie besonders laut.

Ich glaube nicht an Begnadigung. Aber ich glaube an eine Hafterleichterung. Ich glaube und hoffe darauf, dass die Fessel an unseren Füßen wieder etwas weniger eng wird. Ich hoffe, dass mein Brustraum wieder weniger eng wird, dass ich zugänglicher für meine Außenwelt werde. Ich hoffe auf Hafterleichterung, die uns akzeptieren lässt. Ich glaube, dass man sich an ein Leben mit lebenslänglich gewöhnen kann. Aber die Fußfessel bleibt, locker. Vielleicht schlackert sie richtig am Knöchel, aber sie bleibt. Und vermutlich wird sie sich immer Mal wieder zuziehen.img_20180923_135126_5517395136185007622429.jpg

Das Gefühl von Glück wird wieder kommen, sagen die anderen. Das Gefühl von Zufriedenheit auch. Aber irgendwas, tief in einem drin lässt sich nie leugnen. Die Zeit mit Kunibert hat uns geprägt. Der Sieg von Simon ebenso.

Ich glaube daran, was mir manche Menschen sagen. Ich glaube daran, dass unser Frieden zurückkehrt, aber die Fußfessel wird bleiben.

Ihr Lieben, falls Ihr Hinterbliebene im Umfeld habt, dann streicht bitte folgenden Satz:“ Die Zeit heilt alle Wunden“. Die Zeit kann uns nämlich mal. Dieser Satz ist in der Akutphase für uns genauso absurd wie die Tatsache, dass in 20 Tagen Weihnachten ist und alle feiern. Was feiern die denn? Für uns sind viele Dinge absurd. Das liegt daran, dass wir selbst absurd sind. Zumindest ich bin es. Ich glaube aber, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, Hinterbliebene zu unterstützen. Möglichkeiten, die die Fußfessel etwas leichter machen. Vielleicht sollte ich dazu mal etwas schreiben..

Der Umgang mit trauernden Menschen ist nicht einfach, dessen bin ich mir bewusst. Er ist nicht einfach, weil er überfordert. Auch das kann ich verstehen. Und trotzdem brauchen wir manchmal Menschen um uns herum, die mutig genug sind. Nur zugeben würden wir das selten.img_20180922_1611435577753376703513244.jpg

5 Gedanken zu „Lebenslänglich

  1. Hallo Ines, einaml lebenslaenglich bitte!

    Es bleibt so und aendert sich nicht. Niemand kann uns sagen dass diejenigen es leichter haben, die jemand Neuen gefunden haben. Ich komme mir vor, als waere ich mit einem Mal auf der Stirn gezeichnet. Komme ich in Kontakt mit einer anderen Frau so der Kommentar, dass ich erstmal mit mir ins Reine kommen sollte, gluecklich sein( vorspielen vieleicht). Auch wenn ich es tun wuerde, ich bin nicht mehr so gluecklich wie zuvor. Es sind auch nicht die Erinnerungen die es so schwer machen, es ist die Einsamkeit. Und alle wissen es natuerlich besser.Warum lassen es die neuen Kandidatinnen der Liebe nicht einfach zu, dass ich mich wieder neu verlieben moechte!

    Liebe Gruesse aus dem Land der Fjorde, das vieleicht nicht mehr mein Land seien wird!. .

    1. Hallo Du da im Land der Fjorde, wie geht es dir denn unterdessen? Wie kommt ma klar, wenn das Alleinsein so furchtbar ist. Das frage I h mich auch seit dem Krebstot meines Mannes.

  2. Liebe Ines, ich kann dir nur zustimmen. Zwar handelt es sich bei mir nicht um den Partnern. , aber um andere Familienmitglieder. Es gibt immer wieder Momente. , wo mich die Trauer wie ein Schlag zu Boden bringt. Das versteht manch einer nicht. Ich frag mich manchmal, ob die einen Knopf haben zum Ausstellen und dann ist gut. Weihnachten ist da angstmachend, weil gerade dann die Gefühle und das Vermissen besonders stark werden. Das Einzige was lindert ist Ablenkung und viel Seelenbalsam.
    Ich wünsche dir viel Kraft und viele schöne Momente mit deinen Heldenkindern und den Hunden .
    GLG Kerstin🌟🎈🌟🎈🌟🎈🌟🎈🌟

  3. Liebe Ines
    Du hast es wie immer richtig ausgedrückt .genauso fühle ich mich .aber bitte denke nicht das du euern Held „umgebracht “ hast du hast ihm nur vielleicht den einfacheren Weg gehen lassen .ich musste und habe diese Entscheidung auch getroffen im April und auch ich zweifele oft aber wir konnten nichts mehr tun ausser den Weg erleichtern .
    Ich bewundere deine Stärke die du hast ,z b . Diesen Blog zuschreiben .
    Du hilfst anderen die in einer gleichen oder ähnlichen Situation sind so sehr damit .Ich danke dir von ganzen Herzen dafür . Durch dich weiß ich das es völlig normal ist was ich fühle und auch wir ich oft reagiere .es ist ein gutes Gefühl zu wissen das ich doch nicht so “ unnormal “ bin .
    DANKE

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