Wie ist das eigentlich mit Weihnachten

Keine zwei Wochen mehr und es ist Heiligabend. Da dieser Ta, wie immer auf den 24. fällt, ist es zeitgleich der 18. Hochzeitstag (wir feierten monatlich, weil wir es bis zur 25 schaffen wollten, Ihr wisst schon).

Dieser Dezember ist der Monat des Grauens, zum Glück nur für mich. Es stehen so viele „besondere“ Tage an, dass ich komplett überfordert bin. Heiligabend bzw. Weihnachten gehört dazu. Aber auch die Zeit jetzt verlangt einiges von mir.

An dem Abend, als ich die Adventskalender der Heldenkinder gepackt habe, hatte ich das erste Mal eine Vorahnung davon, wie sich die nächsten Wochen anfühlen werden. Ich saß da auf meinem Sofa, über mir unser Familienfoto. Ich packte die Kalender und heulte eigentlich nur. Die Einsamkeit schlug zu, mit voller Wucht und Boxhandschuhen. In mir zog sich alles zusammen, mir wurde übel und ich fragte mich, wie ich diesen Monat überleben soll. Das allererste Mal packte ich diese Kalender allein, es war niemand da, mit dem ich darüber diskutieren konnte, welche Füllung in welches Türchen kommt. 

Dann flattern seit November diese Supermarktprospekte mit Weihnachtswerbung ins Haus: Lebkuchen, Weihnachtsschoki, besondere Joghurts, Maccarones und Eis. Es sind die gleichen Dinge abgebildet, wie letztes Jahr oder das Jahr zuvor. Es sind Dinge, die unser Held häufig gekauft hat, weil er wusste, dass wir sie gern haben, dass ich sie gern hab. Er überraschte uns damit. Auch wenn die Artikel in den Supermärkten die gleichen wie immer sind, dieses Jahr bringt sie uns niemand mit und ich selbst mag sie nicht kaufen. Die Häuser um uns herum sind genauso geschmückt wie immer. Alles ist wie immer.

Wie kann das alles sein, obwohl doch gar nichts wie immer ist? Simon fehlt, der Satz „ein besinnliches Fest mit den Lieben“, den ich im Moment überall lese, scheint ein blanker Hohn zu sein. 

Sonst fing unser Held jetzt an, darüber nachzudenken, was wir über die Feiertage essen wollen. Irgendwas besonderes, und ich bin häufig ins schwitzen gekommen, weil ich es natürlich kochen sollte. Dieses Jahr sind der kleine Batman und ich allein. Besonderes essen wird es nicht geben, da Leo ein Gewohnheitstier ist und „Besonderes“ generell nicht mag.

Meine Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Schon im November dachte ich mir: Das pack ich nicht.

Aber es hilft ja nichts. Da ich versuchen wollte/ will, dass unsere Kinder dennoch eine schöne und mit Zauber belegte Zeit haben, drücke ich meine Wehwehchen weg und habe mir stattdessen Zettel geschrieben, was wir alles tun sollten. Da ich so gar nicht in Weihnachtstimmung bin, vergesse ich sonst die Hälfte. Plätzchen backen, Schuhe für den Nikolaus putzen, das Haus schmücken, Weihnachtslieder hören, Wichteln, Weihnachtsmarkt, Himmelpfort besuchen…alles steht drauf. 

Die Weihnachtsmärkte in Kita und Schule liegen bereits hinter uns. Ein Besuch auf einem großen Weihnachtsmarkt steht noch aus. Das sind Dinge, die so selbstverständlich sind, mir aber schwer fallen. Besonders schwer ist es für mich, diese ganzen Familien zu sehen, Dinge zu riechen, die ich sonst mit Simon zusammen gerochen habe. Es gibt keinen Weg zurück, Simon kommt nicht zurück. Das muss jetzt alles irgendwie ohne ihn gehen. Morgen wären wir 10 Jahre zusammen. Wir runden das erste Mal, eigentlich wollten wir wegfahren.

Am 30.12 hat Simon Geburtstag, obwohl er für ewig 37 Jahre sein wird. Silvester…Das stell ich mir auch schwer vor. Während wir zu Dritt ins Jahr 2019 rutschen, habe ich das Gefühl, unseren Helden im Jahr 2018 zurückzulassen. Das fühlt sich ähnlich an wie damals, als ich ihn in der Klinik besucht habe und am Nachmittag immer wieder nach Hause gegangen bin. Da musste ich ihn auch zurück lassen.

Während es mich von Tag zu Tag mehr gruselt, freuen sich die Minihelden von Tag zu Tag mehr auf Weihnachten und Silvester. Während ich immer mehr Angst bekomme, habe ich das Gefühl, immer weniger darüber sprechen zu können. Mir fällt es im Moment recht schwer, am Morgen aufzustehen. Mein Körper zeigt mir im Moment auch seine Grenzen auf. Ich versuche gut zu mir zu sein, regelmäßig zu essen, Auszeiten zu nehmen und etwas nur für mich zu tun. Das klingt leicht, ist es aber nicht.

Meine Energie fließt im Augenblick zu den Heldenkindern. Ich will, dass sie es schön haben. Sie finden die Lichter in unserem Haus so gemütlich. Als wir gestern zusammen die selbstgebackenen Plätzchen gegessen haben, meinte die Einhornbändigerin, dass es sich plötzlich ganz warm und schön im Bauch anfühlt. Sie sagte, wie schön das alles ist. Leo fügte hinzu, dass es Papa bestimmt auch gefallen hätte, und dass es uns ganz sicher zusieht, weil unser Held in unserem Herz weiterlebt. Unsere Kinder trauern auch, sie verleugnen die entstandene Lücke nicht. Aber sie finden Wege, über diese Lücken zu springen, und ich versuche nichts mehr, als ihnen dabei zu helfen.

Ich versuche währenddessen, das Atmen nicht zu vergessen. Ich komme mir schon vor wie ein „Jammerlappen“. Draußen lächle ich. Draußen bin ich die, die zurecht kommt.

Immer häufiger blitzen in mir Erinnerungen der letzten Wochen mit Simon hoch. Geschichten, die er mir erzählt hatte, als ihm sein Hirn Streiche gespielt hat. Bilder, wie sehr Simon auf Hilfe angewiesen war. Und auch Erinnerungen daran, dass ich hoffte, dass wir dieses Jahr trotz allem noch zusammen verbringen können. Noch einmal Weihnachten, noch ein Mal seinen Geburtstag feiern. Noch ein Mal unseren monatlichen Hochzeitstag zelebrieren. Noch einmal abends nicht allein in der Stille sitzen und wahnsinnig werden. Ich vermisse seine Hände. Ich vermisse seine Stimme und das genervte Stöhnen, wenn die Hunde wieder Schokolade aus den Nikolausstiefeln gestohlen haben.

Inzwischen ist es fast Mitte Dezember. Ich atme noch. Ich werde auch Ende Dezember noch atmen. Ich will nur, dass dieses Gefühl der Leere endlich weniger wird. Das Gefühl der absoluten Erschöpfung ebenso. Meine Therapeutin nennt es Burn Out und Depression. Ich nenne es Selbstmitleid und „ich hab keine Ahnung was das ist“. Es soll nur weggehen, stattdessen nimmt es in diesem Monat immer mehr zu, weil die Lücke immer spürbarer wird. Das ist doof, ich mag das nicht. Ich vermisse unsere alten Weihnachten

Die Wunschlisten der Kinder werden immer länger. Ihr kennt das sicher. Ich denke, dass ich inzwischen alles beisammen habe. Immerhin früher als sonst. Für das Einpacken fehlte es bisher an der richtigen Motivation, aber etwas Zeit ist ja noch. Das Auspacken finden die Minihelden besonders toll. Möglicherweise schreiben wir noch ein par Weihnachtskarten. Die Kinder lieben bunte Karten, aber das wisst ihr ja. Vielleicht bestellen wir Weihnachten unser Essen irgendwo: Pizza und Pommes vom Lieferservice ist ja auch etwas besonderes, oder? Heiligabend werden wir vermutlich beim Heldenbruder sein. Ob das so gut ist, weiß ich noch nicht. Das liegt nicht am Heldenbruder oder seiner Familie, viel mehr an meiner Grundstimmung. Der Heldengeburtstag, unser 10 jähriges und Silvester…wir werden sehen.

Letztes Jahr hat er mir übrigens diese Tasse geschenkt. Damals fand ich die extrem kitschig. Simon mochte kitschige Dinge, die manchmal etwas merkwürdig erschienen. Jetzt bin ich froh, sie zu haben, denn sie erinnert mich daran, dass ich letztes Jahr tatsächlich geheiratet habe.

Irgendwann ist dieser endlose Monat doch vorüber. Das erste Weihnachten nach Simons Sieg über Kunibert ist vermutlich das unangenehmste. Das nächste wird besser. Dann geht es hoffentlich wieder ohne Memozettel und Rumgejammer.

5 Gedanken zu „Wie ist das eigentlich mit Weihnachten

  1. Ines, ich finde, du bist ganz schön streng mit dir selbst! Das ist doch kein rumjammern. Du trauerst! Und das ist vollkommen normal. Ich trauere noch genauso um meinen Vater der diesen Januar plötzlich und unerwartet starb. Vieles was du schreibst kommt mir sehr bekannt vor! Und bei dir ist das alles noch viel gewichtiger. Jammere doch, du darfst das!

  2. „Jammern“ gehört auch dazu ♥️
    Schreib es dir von der Seele…lass es raus ❣
    Schreib soviele Zettel wie du brauchst 🤝
    Du bist toll und du machst das super ♥️
    Atme ein und aus ………….🎈🎈🎈🎈🎈🎈

  3. Liebe Ines, dein Körper hat jetzt die Notbremse gezogen. Wie auch die anderen schon geschrieben haben, gib dir Zeit und alles was dir jetzt gut tut
    Seit kurzem ist bei meiner Oma auch so eine widerliche Krabbe eingezogen , dass macht mir Angst und ich hoffe das es irgendwann soweit sein wird und ein Wundermittel gegen diese Krankheit gefunden wird.
    🌟🎈🌟🎈🌟🎈🌟🎈🌟
    GlG Kerstin

  4. Liebe Ines, du bist so stark und zu diesem Stark sein gehört das trauern dazu, lass diese Gefühle zu, drück sie nicht weg, dann verlierst du noch mehr Kraft, die du doch nicht mehr hast. Es klingt nach einer guten Idee, dass ihr Weihnachten zu dem Heldenbruder geht, vielleicht findet ihr für alle anstehenden Anlässe einen Platz – und da ist deine Grundstimmung völlig in Ordnung, denk nicht; du müsstest dich dann verstellen, sei ehrlich mit deinen Gefühlen, niemand wird es dir vorwerfen, im Gegenteil. Ich drück dich ganz doll

  5. Liebe Ines, ich bin so froh für dich, dass du deinen Blog hast und hier weiter schreibst. Schreibe ruhig weiter über deine Gefühle und deine Ängste, es ist gut, wenn du das Schreiben als Ventil hast, mal alles rauszulassen, was du sonst lieber für dich behältst. Hab keine Angst vor deinen Gefühlen und wie andere das finden. Wir Eltern bemühen uns so sehr, unseren Kindern zu vermitteln, dass alle ihre Gefühle okay sind, auch wenn wir sie nicht immer verstehen; gestehe dir selbst das gleiche Recht zu! Du darfst so viel trauern, jammern und erschöpft sein, wie du brauchst. Sei nicht so streng mit dir. Wenn irgendjemand Grund zum „Jammern“ hat, dann du. Das Päckchen auf deinen Schultern ist gewaltig und erdrückend, da darfst du so viel jammern wie du willst. Ich schicke dir unbekannterweise eine kräftige Umarmung und wünsche dir, dass du gut über diese schwere Zeit kommst. Alles Liebe!

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