Mein lieber Held, heute vor 6 Jahren warst Du auf Deiner ersten Reha. Du hattest 4 Chemozyklen und eine Hochdosischemo hinter Dir. Alle Deine Haare waren ausgefallen, sogar die Augenbrauen waren weg. Nur Deine unverschämt langen Wimpern blieben erhalten.
Der kleine Batman war etwas mehr als drei Monate alt. Die Einhornbändigerin war vier Jahre und wartete sehnsüchtig auf ihren nächsten Geburtstag. Aber zunächst sollte sie auf ihre Epilepsiemedikamente eingestellt werden. Die Nebenwirkungen ließen nicht lange auf sich warten. Sie war immer müde und hat am Abend Einhörner über ihr Bett springen sehen…erinnerst Du Dich?

Ende Dezember waren wir mit den nötigsten Dingen in unser neues Zuhause gezogen. Eigentlich beinhaltete dies nur das Zimmer der Einhornbändigerin, unser Sofa und unser Bett. Alles andere sollte folgen, wenn Du zurück warst.
Du warst nicht da. Die Reha sollte vier Wochen dauern. Du hattest Dir eine Reha für junge Erwachsene ausgesucht. Dort solltest Du Dich erholen. Du bist auf Gleichgesinnte gestoßen, die soviel mehr verstanden haben als ich zu diesem Zeitpunkt. Ihr habt Ausflüge gemacht, Sport und Gesprächsgruppen.
Ich fragte mich am Anfang inständig, wie ich das alles wuppen soll. Unser Sohn war ein Schreibaby, Unsere Tochter wurde auf Medikamente eingestellt, die sie im ersten Anlauf nicht vertragen hat. Falls sie fit genug für die Kita war, betrug der Weg etwas mehr als eine Stunde. Mit den Öffentlichen und zwei Mal umsteigen versteht sich. Unser Haus war leer, überall hallte es. Das war alles sehr, sehr strange.

Ich weiß nicht mehr wie, aber irgendwie hat das alles geklappt. Allerdings hatten wir beide hohe Erwartungen an den anderen/die andere. Das führte dazu, dass wir uns am Tag Deiner Wiederkehr stritten. So doll, dass Du die erste Nacht woanders verbracht hast. Irgendwie hatte sich alles entladen. In den folgenden Tagen gelang es uns, miteinander zu reden und Frieden zu schließen.
Heute vor 6 Monaten hast Du erneut Frieden geschlossen. Frieden mit Dir selbst. Frieden mit Deinem Leben. Du bist in den Himmel gezogen und wachst nun von dort über uns. Die Gedanken von damals erscheinen mir jetzt fast lächerlich. Damals überforderte mich die Vorstellung von zwei kleinen Kindern und einem halbfertigem Haus. Heute weiß ich, dass das geht.
Mein geliebter Held, so mini sind unsere Kinder nicht mehr. Emma ist 10 und Leo bereits 6. Epilepsiemedikamente braucht niemand mehr, die Zeiten des Schreibabys sind auch vorbei. Du bist nun nicht nur für 4 Wochen weg, sondern für immer. Es gibt immer wieder Momente, an denen ich mir genau das bewusst machen muss. Dann sitze ich am Abend auf dem Sofa und sage zu mir selbst „Simon ist tot, Simon ist tot, Simon ist tot, Simon ist tot“ Denn auch wenn ich das eigentlich begriffen habe, gibt es Situationen, in denen ich darauf warte dass Du gleich zur Tür hinein kommst und sagst, dass es Dir Leid täte, dass Du Dich verspätet hast.

Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, die einzige Erwachsene in unserem Haus zu sein. Mir fehlt Deine Schulter, an die ich meinen Kopf ablegen kann, wenn unsere Heldenkinder sich durchgehend streiten, wenn ich müde bin oder einfach nur Zuspruch brauche.
Heute vor einer Woche hattest Du Geburtstag. Unsere Minihelden und ich haben Dich im Zauberwald besucht. Auf der Wurzel vor Deinem Baum haben wir eine kleine Decke ausgebreitet, Kerzen, Muffins und Kaffee daraufgestellt. Der kleine Batman hat extra große Krümel vor Deinem Baum fallen lassen. Wir haben Dir jeweils eine Rose mitgebracht. Luftschlangen und Ballons hatten wir auch dabei. Die Geburtstagskrone war obligatorisch. (Keine Panik, am Ende habe ich alles wieder mitgenommen)
Unsere Kinder haben Deinen Baum schick gemacht, und wir haben Dir Happy Birthday gesungen. Vermutlich haben wir damit die Einhörner in Deinem Wald verscheucht. Bitte entschuldige! Sind sie später zurückgekommen?
Etwas später waren Deine Eltern, Deine Oma, Dein Bruder samt Familie auch bei Dir im Wald.
Am Abend sind wir alle zusammen Essen gegangen. In Dein Lieblingsrestaurant. Auch wenn ich kaum Hunger hatte, habe ich das gegessen, was Du sonst immer bestellt hattest. Im März 2018 haben wir uns von dort etwas liefern lassen, weil Du nicht mehr fit genug für einen Restaurantbesuch warst.
Am 31.1.18, am letzten Tag des Jahres habe ich mir Dein letztes Foto schicken lassen. Das was N. gemacht hat, weil ich mich nicht getraut habe. 5 Tage nach Deinem Sieg über Kunibert durfte ich mich beim Bestatter noch ein letztes Mal von Dir verabschieden. Ich war fast eine Stunde bei Dir. Dein Bruder und Deine Schwägerin waren kurz vor mir auch dort, um Dir eine gute Reise zu wünschen. Ich traute mich damals nur mit N. zu Dir in den Raum. Sie machte das Foto und sagte, dass sie es mir schicken würde, wenn ich bereit dafür wäre.
An Silvester war es soweit, ich bat sie um das Bild. Da sah ich Dich mein Held. Du hattest Dein „May the Force be with You“ Shirt an, Deine liebste Mütze, eine kuschlige Hose und selbstverständlich Socken. Ich sah auf dieses Bild und nahm erneut wahr, wie friedlich Du in diesem Moment ausgesehen hast. So frei von Schmerzen und Angst. Fast schon hast Du gelächelt.
Mein geliebter Simon, heute bist Du 6 Monate fort. Obwohl so richtig fort bist Du gar nicht. Du bist immer noch da, nur dass wir Dich nicht sehen können. Sonst hätten wir Deinen Geburtstag nicht gefeiert mein Held.

Geliebter Schatz, in nicht mal mehr vier Wochen ist die Premiere von Deinem Buch. Unglaublich oder? Das Buch, von dem Du bestimmt schon 2 Jahre geredet hast. Nun ist es soweit. Ein Buch mit Deinem Foto auf dem Cover. Ein Buch mit Deiner Geschichte. Ein Buch das erzählt, was für ein Held Du bist, dass Du Leben gerettet hast und unaufhörlich versuchst hast, mehr Aufmerksamkeit für Deine Krabbe zu schaffen. Eine Geschichte, die erzählt, welch grandioser Vater Du gewesen bist und dass Du niemals aufgegeben hast.
Lieber Simon, sei stolz auf Dich. Wir sind es. Mach Dir keine Sorgen. Du hast Dir Deinen Frieden verdient, und wir werden unseren auch finden. Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg dorthin sind.
Rock den Himmel mein Held, wir lieben Dich!