Seltsam im Nebel zu wandern

Kennt ihr dieses eine Gedicht von Hermann Hesse? Ich musste es vor einer gefühlten Ewigkeit in der Schule lernen und eine Analyse dazu schreiben. Zufällig hielt ich es gestern wieder in der Hand und habe es einige Male gelesen. Für alle unter Euch, die es nicht kennen, ich schreib es Euch kurz auf, okay?

Im Nebel

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den anderen,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allem ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

Als Simon 2012 krank wurde und ich zeitgleich mit dem kleinem Batman schwanger war, fühlte es sich ein bissel so an. Wie im dicken Nebel, ich konnte weder den Weg vor mir sehen und fühlte mich unendlich einsam, obwohl dem damals gar nicht so war.

Als sich Simons Zustand Ende 2017 plötzlich sehr drastisch verschlimmerte, fühlte es sich wieder so an. Plötzlich standen wir da, wahnsinnig überfordert und von einer Nebelwand eingehüllt. Den Minihelden ging es ähnlich. Plötzlich, ganz plötzlich war da kaum noch jemand. Am Anfang verzweifelte ich fast daran. Unser Held ebenso und die Heldenkinder konnten das alles sowieso nicht verstehen. Simon wurde pflegebedürftig und ich kümmerte mich. Ich brachte die Kinder zur Kita und Schule, war auf Festen und hab Muffins für Basare gebacken. Nebenher machte ich Termine mit diversen medizinischen Diensten, um Simons Pflegegrad anzupassen und um an diverse Hilfsmittel ranzukommen. Ich telefonierte mich wund, um die Genehmigung für medizinisches Cannabis für unseren Helden zu bekommen. Die Genehmigung kam eine Woche nach seinem Tod. Zwischenzeitlich haben wir uns dann anders beholfen.

Nachts stand ich auf Dauerabruf, weil es unser Held nicht mehr allein aufs Klo schaffte. Simon kam in die Klinik und diese Dauerpendelei ging los. In dieser Zeit war kaum jemand da, selbst beste Freunde von mir sah ich kaum. Weil ich keine Zeit hatte. weil es nichts anderes zu geben schien.

Ich war in diesem Nebel gefangen, es war als würde ich in meiner eigenen Haut ertrinken, ohne jemandem davon erzählen zu können. Und dennoch glaube ich, dass diese Nebelwolke durchaus auch von mir verursacht worden ist.

Jetzt ist er nicht mehr da und ich merke, dass dieser Nebel immer noch hin und wieder stark da ist. Meine Therapeutin nennt es Depression oder ausgebrannt sein. Ich bleibe beim Wort Nebel. Es macht mich manchmal antriebsloser und erschöpfter. Es sorgt dafür, dass ich Medikamente nehme, aber auch dafür, dass ich immer weiter gehe, weil ich glaube, dass auch die dickste Nebelwelle irgendwo ein Ende haben muss.

Ich habe mich in den letzten 1,5 Jahren von einigen Menschen bewusst verabschiedet, weil ich bemerkt habe, auf wen ich zählen kann und auf wen nicht. Dazu aber hatte ich das Glück, einige neue und wirklich tolle Menschen kennenzulernen. Menschen, die mich in schwierigen Situationen erst richtig kennengelernt haben und trotzdem geblieben sind.

Ich merke, dass ich sehr, sehr misstrauisch geworden bin. Die Tatsache, dass es jetzt ein Buch von uns gibt, macht es nicht einfacher. Lerne ich jetzt neue Menschen kennen, hinterfrage ich viel mehr. Ich hinterfrage deren Intentionen, deren Absichten und eigentlich alles. Manchmal fällt es mir schwer, zu unterscheiden, ob mein Gegenüber mich nett findet oder das, was ich getan habe bzw. immer noch mache. Dann ist sie wieder da, diese Nebelwolke. Mir fällt es schwer, den Durchblick zu behalten und daran zu glauben, dass es Vertrauen wirklich gibt. Außerdem befürchte ich, dass ich, je mehr Leute ich in mein Leben lasse, desto verletzbarer ich mich erneut mache. Ich mag das nicht.

Es gibt Dinge, die möchte ich nicht nochmal erleben. Ich möchte keine Beerdigung mehr organisieren müssen, einen geliebten Menschen im Sarg liegen sehen oder eine Unterschrift setzen, die überhaupt erst dazu geführt hat. Ich möchte auch nicht nochmal feststellen müssen, dass es in schwierigen Situationen egal zu sein scheint, ob ich Freunde habe oder nicht.

Das was ich in der Vergangenheit tat war nicht heldenhaft oder tapfer. Es war das, was jeder andere auch getan hätte. Allerdings waren wir am Ende nahezu auf uns gestellt, da blieb nur ich um das zu rocken. Zumindest habe ich mir das immer eingeredet. Eventuell hat der Nebel aber auch meine Sicht verblendet und mich nicht erkennen lassen, wer vielleicht doch noch dagewesen ist. Ich weiß nicht genau und ich versuche genau diesen Gedanken in der letzten Zeit zu ordnen.

So erschöpft, stressempfänglich und „Mimimimi-einsam“ kenne ich mich nicht. Auch dieses elende Misstrauen war früher nicht so ausgeprägt, obwohl ich noch nie der umgänglichste Mensch der Welt gewesen bin. So wie ich jetzt bin, erkenne ich mich manchmal nicht wieder. Das tut mir leid, für meine Umwelt.

Im Moment arbeitete ich daran, den Bezug zu mir selbst 100% wieder zu finden. Ich versuche zu akzeptieren, dass die Vergangenheit mich zwar stark gemacht, aber auch geprägt hat.

Das ist manchmal gar nicht so einfach.

2 Gedanken zu „Seltsam im Nebel zu wandern

  1. Ja, der Nebel. Ich habe es damals Käseglocke getauft gepaart mit dem Funktionsmodus, ohne den man das Ganze gar nicht überstehen könnte. Man würde handlungsunfähig nur noch heulend in der Ecke sitzen, aber damit ist ja den Liebsten nicht geholfen. Also funktioniert man unter seiner Käseglocke oder auch im Nebel. Und natürlich ist man nach so einer langen Krankenzeit in der man alles gegeben hat ausgebrannt. Der Nebel wird sich nach und nach auflösen und irgendwann ist man wieder im hier und jetzt. Bei mir hat das Ganze gut 1,5 Jahre gedauert bis ich gesagt habe, das ich halbwegs wieder meinen Platz im Leben gefunden habe. Gib Dir die Zeit, so was darf und muss dauern. Einen ICE gibt es da leider nicht.

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