Mein lieber Simon,
heute ist es schon wieder soweit, unser kleiner Hochzeitstag. 23 Monate der gleiche Nachname. Seltsam oder? Heute vor einem Jahr feierten wir unseren letzten kleinen Hochzeitstag zu Hause.
Den 12. kleinen und gleichzeitig auch den ersten Richtigen hast Du auf der Intensivstation gelegen. Mit einer Sauerstoffbrille im Gesicht, EKG Knöpfen auf der Brust und einer riesigen Thoraxdrainage im Brustkorb. Ich hab Dich damals besucht, erinnerst Du Dich? Als Du mich gesehen hast, hast Du nervös auf Deinem Telefon rumgetippt. Deine Finger wollten Dir nicht immer gehorchen. Du hast mir gesagt, dass Du grade Deine Frau anrufen wolltest und nun das Handy nicht mehr ausgeht. Ich hab Dir geholfen es auszuschalten, Du hast Dich entspannt und bist kurz eingeschlafen.
Als Du wieder aufgewacht bist, wusstest Du, dass ich Ines bin. Dass wir unseren ersten richtigen Hochzeitstag hatten, aber nicht. Ich glaube auch, dass Dir gar nicht mehr bewusst war, dass wir überhaupt verheiratet waren.

Und weißt Du was, eigentlich war ich ganz froh darüber. Denn sonst hättest Du ein schlechtes Gewissen gehabt, dass wir nicht in Prag oder Hamburg waren, so wie wir es mal geplant hatten. Daher mach Dir bitte keine Gedanken, es ist okay, wirklich okay. Ich war einfach nur dankbar, dass wir diesen Tag noch zusammen erleben konnten. Zwei Wochen später sprach ich ein letztes Mal mit Dir. Bitte entschuldige, dass meine letzten Worte an Dich eine Lüge waren. Die Ärzte hatten mich in der Nacht angerufen, um mir zu sagen, dass Du ins künstliche Koma gelegt werden musst, wohlwissend dass du daraus nicht mehr erwachen würdest. Du wolltest mit mir sprechen.
Mein lieber Schatz, Du hast so viel vergessen, aber in diesem Moment wusstest Du, wer ich bin und hast mich anrufen lassen. Ich wusste dafür, dass ich das letzte mal Deine stimme hören werde, ich wusste, dass ich Dir das letzte Mal die aller besten Träume wünschen konnte. Ich wollte Dir ein letztes Mal die Angst nehmen, nur noch dieses eine Mal. Ich hab Dir gesagt, dass die Ärzte die helfen werden, dass es Dir Morgen besser gehen wird und Du keine Schmerzen mehr hast. Ich sagte Dir, dass ab Morgen alles besser ist, so viel besser als die letzten Monate. Du hast mir geglaubt, gesagt dass Du mich liebst und Dich darauf freust, mich morgen wiederzusehen.
Ich wusste, dass ich nie wieder Deine Stimme hören werde. 12 Stunden später entschied ich, dass Du fliegen darfst. Über den Regenbogen. Dorthin, wo es keine Schmerzen gibt, sondern nur butterweiche Wolken. Keine unbequemen Kissen, sondern ein dickes Wolkenbett aus Zuckerwatte.

Leo meinte gestern, dass die Seele eines Menschen ganz tief im Herzen versteckt ist. Und wenn der Mensch stirbt, dann stirbt das Herz und lässt die Seele frei. Du bist frei mein Schatz. So frei wie in den letzten Jahren nie. Bitte verzeih mir, dass ich Dich angelogen hab, okay? Es war nicht bös gemeint.
Ich hoffe, dass ich irgendwann von diesen Gedanken frei bin. Die Gedanken, dass meine letzten Worte eine Lüge waren. Die Gedanken, dass ich Dich umgebracht habe.
Ich arbeite daran, okay?
Mein lieber Simon, schon ganz bald sind wir 2 Jahre verheiratet. Schon bald sind wir 25 Monate verheiratet, unsere Silberhochzeit. Kunibert hat uns nicht gebrochen. Wir sind nicht in tausende Scherben zerfallen. Die Krabbe hat uns vor eine Aufgabe gestellt, die wir angenommen haben, weil wir sie nicht hätten ändern können. Ich habe immer geglaubt, dass wir das alles schaffen werden. Und was meinst Du? Ich denke, dass ich Recht behalten habe.

Manchmal war und ist es nicht leicht, aber geschafft haben wir es trotzdem. Erinnere Dich nur daran, was wir alles erleben durften. Wie sehr wir gelebt haben. Trotz Kunibert und vielleicht auch wegen ihm. Sieh Dir an, was Du immer noch schaffst. Siehst Du die vielen Menschen, die Du durch Deine Geschichte berührt hast? Siehst Du die vielen Menschen, die ihre Art zu leben überdenken? Siehst Du diese 12 Patienten, denen Du geholfen hast, ihren genetischen Zwilling zu finden?
Wir haben uns nicht in die Knie zwingen lassen, auch jetzt nicht. Nie. Wir haben das angenommen, was uns gegeben wurde. Wir versuchten immer, dies in eine produktive Richtung zu lenken und dabei das schöne nicht zu vergessen. Das ist bis heute so geblieben, unsere Trauer ist nicht schwarz, sie glitzert.

Ich vermisse Dich mein Held. Aber ich bin so, so dankbar, Dich kennen zu dürfen. Ich bin so dankbar, dass Du Dich an meinen vielen Ecken und Kanten nie lebensbedrohlich verletzt hast. Ich bin so dankbar, dass Du mutig genug gewesen bist, mich zu heiraten. Ich danke Dir, dass Du mir gezeigt hast, was das Wort „Leben“ eigentlich bedeutet.
Rock den Himmel mein Held, Du wunderbarer Mann.
May The Force Be With You

Guten Morgen, ich kommentiere hier ja nur sehr vereinzelt, lese aber oft und heute ist es mir ein Bedürfnis, dir den Rücken zu stärken für deine Entscheidung, Simon gehen zu lassen.
Ich glaube so sehr, wie grässlich die Gedanken um diesen Entschluss gewesen sind/ immer noch sind/ lange nachwirken werden – und dass niemand sie dir abnehmen kann.
Ich wünsche dir, dass du einen Weg aus diesem Emotionschaos findest und ich zumindest (bin mir sicher, dass ich nicht die einzige Leserin hier bin, die das so sieht) verstehe deine Beweggründe gut und würde wahrscheinlich (hoffentlich muss ich das nie) ähnlich entscheiden.
Alles alles Gute für dich und die Kinder und liebe Grüße,
Britta
Liebe Ines,
an dieser Stelle möchte ich auch noch einige Gedanken los werden.
Die Entscheidung, die Du getroffen hast, war schon die richtige Entscheidung.
Du hast nicht Deinen Mann umgebracht, das hat Kunibert erledigt.
Du hast aber Kunibert mit Deiner Entscheidung den letzten Triumph genommen und damit Deinem Mann die letzte Würde bewahrt.
Kunibert hat ihm durch die Wesensveränderungen schon viel Würde genommen. Simon wäre in den darauf folgenden Tagen ganz elendig verstorben.
Das hast Du ihm erspart. Er konnte in Frieden einschlafen und damit hast Du ihm viel Leid erspart.
Hab keine schlechten Gedanken. Du hast das Einzig Richtige getan.
Alles Liebe und Gute für Dich und Deine Kids.
Ulla