11 Monate

Geliebter Held,

Heute vor 11 Monaten saß ich fassungslos auf dem Sofa, starrte die Wand an. Die Nacht hatte ich bei Dir in der Klinik verbracht, um Dir beim Flügel ausbreiten zuzusehen. Heute vor 11 Monaten hat sich die Welt plötzlich zu schnell für dich gedreht, so sehr dass Du ausgestiegen bist.

Lieber Simon ich war hin und wieder sauer auf Dich. Nicht erst seit dem Du in den Himmel gezogen bist. Sondern schon viel früher. Ich war sauer, weil ich mich im Oktober 2008 in Dich verliebt habe. Ich war sauer, dass Du das geschafft hast. Ich war sauer, dass Du nur 3,5 Jahre später plötzlich krank geworden bist obwohl ich doch mit unserem Sohn schwanger gewesen war. ich war sauer, dass Du so komplexe Gewebemerkmale hast und wir dadurch keinen passenden Stammzellspender für Dich finden konnten. Ich war sauer, dass Kunibert irgendwann überhand genommen hat und wir mehr Patient und Krankenschwester waren, als ein Ehepaar. Ich war sauer, dass Du Deine Patientenverfügung nicht fertig gemacht hast, mir aber ohne mein Wissen Deine Gesundheitsfürsorge übertragen hast. Plötzlich war ich die, die Entscheidungen treffen musste. Ob Du erneut operiert werden sollst oder nicht. Ob Du sterben darfst oder leben musst. Ich war sauer weil Du uns alleingelassen hast und ich immer noch nicht die geringste Ahnung davon habe wie man eine Schraube in die Wand bohrt oder ein Auto fährt.

Es tut mir Leid, dass ich noch hin und wieder sauer bin. Aber es half lange Zeit dabei nicht im Selbstmitleid zu versinken.

Weißt Du, geliebt habe ich Dich dennoch immer und ich bereue nach wie vor keine Sekunde von unseren knapp 10 Jahren. Unglaublich wie alt ich in dieser Zeit geworden bin, findest Du nicht

Ich soll Dir ein ganz großes Danke vom kleinem Batman ausrichten. Er freut sich jeden Tag darüber welch tolles Wetter Du uns „schenkst“. Entweder so schön warm, dass wir nun den Pool wieder aufgestellt haben oder aber auch für den schönen Sommerregen am Abend. „Der kribbelte so schön auf der Haut“

Heute Morgen habe ich mir nach langer Zeit das letzte Foto von Dir angesehen. 5 Tage nach Deinem Tod. du liegst in einem Sarg, zugedeckt mit einer weißen Spitzendecke. Du trägst Dein Lieblingscap, dass durch die viele Sonne der vergangenen Jahre schön völlig ausgeblichen war. Dazu Dein Lieblingsshirt mit „May the Force be with you“. Deine Lieblingsshort und weiße Sneakersocken hattest Du an. Deine Augen waren geschlossen, dein einer Mundwinkel war leicht nach oben gezogen, fast so als würdest Du zufrieden Lächeln. Ich hoffe das Du zufrieden bist, glücklich und ganz leicht. Wo auch immer Du jetzt bist.

Deine Armbanduhr liegt noch in Deinem Fach im Schrank. Jeden Tag um 11 piept sie, weil Du da immer irgendwelche Medikamente nehmen musstest.

11 Monate mein Held. 11 Monate ohne Dich an der Hand. Vor einiger Zeit war ich das erste Mal seit Kunibert wieder in einer Klinik. In der, in der Du auch schon gewesen bist. Aber immer nur dann, wenn Du nicht transportfähig für weitere Wege gewesen bist. zwei Superhelden und ich unterstützen dort eine DKMS Aktion für ein kleines Mädchen. Einen Tag zuvor besuchten wir sie, ungeplant ging es auf die Kinderonkologie. Da sah ich sie wieder, lichtgeschützte Infusionen, Tropfständer. Die Station stank nach Kunibert, so sehr dass ich kaum atmen konnte. Aber ich war dort. Ich habe überlebt.

Die Heldenkinder und ich haben Kunibert überlebt.

Lieber Simon, bald ist das erste Jahr rum. In 9 Tagen werde ich erneut sehr an Dich denken. Denn letztes Jahr am 15 Juni bist Du ein letztes Mal in die Klinik gekommen. Am 24. Juni sind wir zwei Jahre verheiratet. Am 6. Juli feierst Du Deinen ersten Jahrestag im Himmel und am 23.7, an meinem Geburtstag, um 14 Uhr ist es ein Jahr her, dass Du im Krematorium angekommen bist. So viele Jahrestage in dieser kurzen Zeit.

Ich weiß noch ganz genau, dass ich Silvana, Deiner Bestatterin, die letzte Frau an Deiner Seite immer gesagt habe, dass sie vorsichtig fahren soll, wenn sie mit Dir im Auto unterwegs gewesen ist. Du weißt ja, ich war immer leicht besorgt wenn Du mit dem Auto gefahren bist. Das änderte sich auch nach Deinem Sieg über Kunibert nicht.

Immerhin muss ich mir diese Sorgen nun nicht mehr machen. Eigentlich müssen wir uns nun gar keine Sorgen mehr machen, weil wir ganz fest daran glauben, dass es Dir gut geht.

Rock den Himmel mein Held, ich denk an Dich.

May The Force Be With You

4 Gedanken zu „11 Monate

  1. Oh schon so lange, und doch so kurz…. ich denke oft an Euch… Das mit dem Auto hat mir trotzdem ein Lächeln auf mein Gesicht gezaubert. Als meine Tochter ihren verunglückten Papa in die Heimat überführen ließ, musste sie unbedingt beim Bestatter das Auto sehen, weil es unbedingt ein Mercedes sein musste. Sein Lieblingsauto und wie er immer sagte: Sicher….

  2. Manchmal halte ich die Luft an, wenn ich deine Worte lese. Es ist für mich nicht zu begreifen, was ein Mensch ertragen und aushalten kann, und es muss, ohne daran zu zerbrechen. Und damit meine ich nicht nur den jenigen der eine Krankheit hat, sondern auch die, die den jenigen Umsorgen. Du darfst wütend sein, und du darfst auch mal im Selbstmitleid zerfließen. Dazu hast Du jedes Recht!
    Ich ziehe wirklich meinen Hut vor Dir!
    Ich hab eine liebe Freundin, sie liegt seit Samstag auf der Palliativstation. Mitte 40, Multiples Myelom, kämpft seit 6 Jahren gegen ihren Kunibert, fünf Kinder ein Enkelkind. Ein Lebensbejahender Mensch, dessen Zeit trotz zuende geht. .

    Dagegen stürzt sich die Mutti meiner Nachbarin, sechs Tage vor dem 1. Geburtstag des Enkelkindes, mit dem sie unter einem Dach lebte, von einem 50 m hohen Felsen und die eigene Tochter findet sie….
    Die einen wollen Leben und dürfen nicht mehr und die anderen dürfen leben und wollen nicht mehr 😔

    Ich begreife es nicht. Warum ich Dir das Schreibe weiss ich auch nicht. Vielleicht das ich meinem Gedankengulasch mal ablassen kann. Weil ich es irgendwie nicht in meinem Kopf zusammen bekomme.
    Ich habe Hochachtung vor den Menschen wie Dir, die unmittelbar betroffen sind, die ihren liebsten Teil gehen lassen mussten und trotzdem kämpfen.

    Ich schick Dir gute Gedanken und Kraft.
    Katrin

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