Ich hatte schon immer ein Chaotisches Naturell. Sowohl im Alltag als auch in meinem Kopf. Gradlinig Ich? Leider nicht.
Krebspatienten während einer Chemotherapie oder auch Bestrahlung haben oft auch einige Löcher im Hirn, sie vergessen einiges, das Kurzzeitgedächtnis ist nicht das Beste. Oft wird das unter den Patienten und deren Angehörigen liebevoll Chemobrain genannt. Mein Hirn funktionierte in der Zeit gefühlt doppelt so gut wie sonst. Als es sich Krabbe Kunibert nach und nach im Heldenhirn gemütlich gemacht hatte, glich das mein Kopf noch mal mehr aus. Sämtliche Termine von Simon, den Kindern und auch von mir waren abgespeichert. Logistisch planen, an alles mögliche Denken; kein Problem.
Dann aber zog Simon in den Himmel und nahm gefühlt mein Gehirn gleich mit. Plötzlich herrschte eine absolute Leere in meinem Kopf, so wirklich klappen wollte nichts mehr. der Notstrom war eingeschaltet und sicherte immerhin alle überlebenswichtigen Funktionen. Für mehr hat es nicht gereicht.
Angehörige bzw. Hinterbliebene funktionieren nach Außen zwar immer noch, weil man uns das fehlende Denk und Fühlorgan nicht ansieht. Wir tragen keinen Gips am Arm oder einen Verband am Fuß. Wir haben in der Regel keinen Port oder ein blaues Auge. Verwundet und oft auch traumatisiert sind wir dennoch. Es gibt viele Hinterbliebene, die daran zerbrechen.

Dazu kommen so unendlich viele bürokratische Dinge, die plötzlich erledigt werden wollen. Und das obwohl unser Hirn abgeschaltet hat. Von Jetzt auf gleich liegen da Aktenberge vor einem obwohl wir gar nicht wissen, was wir nun überhaupt zuerst tun sollen. Sterben kann für den Patienten eine Erlösung sein. Für dessen Familie im Grunde auch. Aber….Sterben ist ein bürokratischer Akt, der seines Gleichen sucht. Sterben ist teuer und das Geld dafür muss irgendwie generiert werden. Sterben kostet Kraft, weil es nach dem Tod des Lieblingsmenschen für die Angehörigen erst richtig los geht.
Ich habe noch nie zuvor so viele Anträge ausfüllen müssen. Bis Heute ist nicht alles abgeschlossen. Ich habe eine Freundin. Ich nenne sie „mein Hirn“, weil sie jetzt der Mensch ist, der für mich mitdenkt. weil sie mich zwingt, trotz meines Dauergemeckers meinen Popo hoch zu bekommen um den nächsten Schritt zu gehen.
Erst gestern war das so. Ich musste/wollte zur Bank. Das will ich schon seit geraumer Zeit, weil Simons Konto und diverse andere Dinge noch immer nicht gelöst sind. Trotz aller eingereichten Unterlagen und gestelltem Antrag im letzten Herbst.
Naja, entweder habe ich einen Brief Übersehen, vermutlich sogar. Ich musste eine Haftungserklärung unterschreiben und danach zum Familiengericht um nachzuweisen, dass ich die Mutter des zweiten Erben, also Leo bin. Die Geburtsurkunde und co liegen zwar seit ewig vor…ach lassen wir das. Meine Laune sank ins Bodenlose, ich will das endlich alles abgeschlossen haben. Ich nörgelte vor mich hin, verfluchte alle, innerlich vor allem mich. Aber… Ich wurde begleitet. P., mein Hirn schleppte mich tapfer zum Familiengericht. Ohne sie hätte ich das vertagt. Auf irgendwann. Vielleicht. (Anbei liebe Grüße an die andere Bankmitarbeiterin, die mich auf unser Buch angesprochen hat und extra vorbei gekommen ist)

Wir haben ganz viel Chaos im Kopf, manchmal so viel das Wichtige Dinge aufgeschoben werden. Wir haben ein Chaos von Gefühlen im Kopf. Ich bin hin und wieder wütend, auf mich, auf Krabbe Kunibert und auch auf Simon. Ich bin traurig und fühle mich ab und an einsam. Manchmal bin ich überfordert und an anderen Tagen fühle ich, dass die elende Angst, die uns Jahrelang begleitet hat nicht mehr da ist. Das befreit irgendwie. Manchmal denke ich, dass ich nicht genug bin, an anderen Tage finde ich, dass das schon ganz okay ist, was ich so mache.ES sind so viele Emotionen auf einmal, die ich nicht immer einordnen kann. Um mich von dem Wusel in meinem Kopf habe ich eines Nachts spontan das Haus gestrichen, ein Buch geschrieben… Merkwürdig? Finde ich auch. aber es hat geholfen.
Mit der Zeit ordnet sich dieses Chaos. Im Handeln und auch das im Kopf. Ich bin immer noch dabei, weiß also nicht wie lange das dauert.
Ihr Lieben. Wir Angehörigen sind nicht plötzlich doof und langsam. Unser Hirn hat eine Schutzmauer aufgebaut, die dafür sorgt, dass wir hin und wieder total chaotisch sind. In dem was wir tun. in dem was wir sagen oder denken. Für Außenstehende wirkt es oft merkwürdig. Ich verstehe das, ehrlich. Aber ausgesucht habe ich mir das auch nicht.

Das hast du gut ausgedrückt. Ich denk auch, ich krieg das alles nicht auf die Reihe. Seelisch und organisatorisch.
❤
Oh Ines, endlich hat jemand mal das, wie es so ist, in Worte fassen können. Mein Chaos wurde durch eine eigene Krebserkrankung, eine eher gewaltvolle Ehe mit Morddrohung und einigem mehr ausgelöst….Es ist nun fast 11 Jahre her aber fühlt sich an wie gestern. Immer denkt man, man schafft es schon. Ignoriert die Signale und schiebt es vor sich hin. Selbst wenn man erkennt das man „komisch“ ist…glaubt man ja doch daran, es allein zu schaffen. Pustekuchen…what the f****….früher hat man doch alles geschafft, gemeistert und alles war easy. Heute versucht man termine zu behalten, die konzentration auf EINE Sache zu lenken und Verabredungen einzuhalten ….🙄 Problem…man wi3d nirgends ernst genommen.