Das Angehörigen ABC; D wie Durchhalten

Auch wenn man es uns oft nicht ansieht, auch wenn wir es selbst oft nicht sehen. Auch wenn vieles nicht mehr funktioniert. durchhalten können wir. Und wenn es nur das Durchhalten von den uns selbst auferlegten Wegen ist.

Die nächsten Angehörigen von schwerst kranken Patienten haben in der Regel zwei Möglichkeiten. Bleiben, das eigene Leben bis ins Ultimum zurückschrauben, eventuell auch pflegen oder sie gehen. Besonders Angehörige, die den letzten schritt gehen, werden Öffentlich oft deformiert. „Wie kann sie das nur machen“, „Warum bleibt er nicht bei ihr“, „Ich würde das ja anders machen“, Er/Sie liebt den Partner/die Partnerin nicht richtig“ sind Sätze, die oft fallen. Auch wenn ich mich für einen anderen Weg entschieden habe, finde ich besagte Äußerungen völlig unangemessen und meist kommen diese auch von Menschen, die nicht die geringste Ahnung haben wovon sie da reden. Selbst wenn es selbst Freunde oder Angehörige des Patienten sind, sie wohnen nicht im gleichem Haus, sie kennen den Alltag nicht und haben nicht die geringste Ahnung welche unmenschliche Verantwortung es da plötzlich zu schultern gibt.

Einmal war ich in einer Angehörigengruppe, dort traf ich Angehörige, die gegangen sind. Nicht weil sie nicht liebten. Nicht weil sie keine Lust hatten. Sondern weil sie es nicht konnten, weil sie Angst hatten selbst den Bach runter zu gehen und weil sie merkten, dass sämtlich Verantwortung auf ihnen lastet und sich nahezu Jeder darauf verlässt, dass sie es schon richten werden. Die Entscheidung zu gehen war niemals leicht gefällt und erfordert meiner Meinung nach jede Menge Mut und die großartige Fähigkeit sich selbst reflektieren zu können.

Unterstützung aus dem sozialem Sektor gibt es kaum. weder für die, die Bleiben und schon gar nicht für die, die gehen.

Aber wir halten durch. Alle. Wir halten unsere Gefühle aus, die Belastungen im Alltag, die wir uns nicht ausgesucht haben. Wenn Kinder im Spiel sind, halten wir auch durch diese so gut es uns möglich ist, weiterhin Kind sein zu lassen.

Ich wollte oft gehen. Wirklich. Und glaubt mir, ich habe geliebt. Sehr. Ich habe mich oft überfordert und entsetzlich einsam gefühlt. Weil sich Jeder auf mich verlassen hatte. Ich war das Auskunftsrohr für Viele, als es Simon besonders schlecht ging. Nachdem er starb, meldete sich dann plötzlich kaum mehr Niemand. Es gab ja auch nichts mehr zu berichten. Dieses ständige Pendeln zwischen Kindern, hilflosen, krankem Mann und dem üblichen Gedöns lies kaum Luft für Anderes. Aber ich war ja da. Das wussten alle.

Durchhalten können ist eines der stärksten Eigenschaften, die wir Angehörige haben. Auch die, die gegangen sind tun das. Jeden Tag. Sie halten ihren Alltag aus, ohne den Lieblingsmenschen an der Seite. Sie halten ihre Gewissensbisse und die ständigen „Was wäre wenn“ Fragen aus. Sie halten durch, stehen jeden Morgen auf und wissen ganz genau, dass sich da einige Menschen „das Maul“ darüber zerreißen. Auch das ist sicher nicht einfach.

Eine Beziehung zu einem totkranken Patienten beinhaltet oft auch Streit. Sie beinhaltet Frust, wenig bis gar kein Beziehungsleben. Es beinhaltet Angst, Furcht und Wut gleichermaßen. Wenn dann die Pflege dazukommt, ist es oft mehr eine Arzt-Patientenbeziehung. Das alles lässt viele Beziehungen zerbrechen. Nicht weil man nicht liebt, sondern weil es irgendwann zu viel wird. Wir hatten Glück, dass uns das nicht passiert ist. Gestritten haben wir trotzdem.

Ist der Lieblingsmensch plötzlich nicht mehr da. Ist er verstorben. Auch dann halten wir inzwischen hinterbliebenen durch. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich mich aufgeben wollte. als Simon krank war, als er fort war. Es war oft und ab und zu blitzten Fragen in meinen Kopf, in denen ich mich gefragt hatte, was eigentlich wäre wenn ich auch nicht mehr da bin. Das Soziale Netzwerk war bei fast Null angekommen. Und so geht es den meisten Angehörigen, wir sind da keine Ausnahme. Ich fragte mich, was das alles überhaupt soll und wem jetzt überhaupt auffallen würde, wenn ich auch weg sein würde. Mein Hirn schalltete sich zwischen, unsere Heldenkinder wäre verloren und ich holte mir Hilfe.

Durchgehalten habe ich dennoch. Jeden Tag aufs Neue tue ich das. Ich stehe auf, bin in der Lage meine Kids zu lieben und dafür zu sorgen, dass es ihnen trotz Allem möglich ist, weiterhin Kinder zu bleiben. Unsere Heldenkinder haben im letzten Jahr, trotz einiger Tiefschläge deutliche Fortschritte gemacht, dass zumindest zeigt mir, dass ich nicht alles falsch mache. Ich halte ihre Trauer aus und bin zeitgleich mehr als dankbar dass sie im Moment nicht wissen, das sich bestimmte Dinge grade ständig jähren. Sie sind frech, vorlaut, wild, klettern auf Bäume, kümmern sich um verletzte Tiere und sie sind unglaublich emphatisch. Es sind Kinder. Noch immer.

Wir lachen und streiten. Wir leben zu Dritt und die Welt um uns herum dreht sich zum Glück immer weiter.

Wir Angehörigen halten das sich weiter drehen aus. Weil wir tief in uns wissen, dass es sich lohnt.

Auch wenn es oft nicht so wirkt, wir verzweifelt und kraftlos aussehen, bzw. es auch sind. Wir halten durch. Immer. Und dabei ist es auch völlig nebensächlich für welchen Weg wir Angehörige/Hinterbliebene uns entscheiden. Laut meiner Therapeutin macht es übrigens einen Unterschied, ob Wir pflegende Angehörige sind oder die, die wissen dass es Jemand anderes tut. Die pflegenden Angehörigen sind nach dem Tot oft traumatisiert. Burn out, PTBS oder Depressionen sind keine Seltenheit und sind zusätzlich zu der Trauer ein Anhängsel. Darum dauert es oft länger bis wir uns rehabilitiert haben. Und dennoch….wir sind keine „besseren“ Angehörigen, nur weil wir Popos abgewischt und Spritzen gesetzt haben. Nur diese Bilder im Kopf liegen oft nur in unserem Hirn verschlossen. Aber durchhalten tun wir alle. Egal ob wir gepflegt haben oder nicht.

Ich habe einen Riesigen Respekt vor den Heldeneltern und dem Heldenbruder. Gepflegt haben sie nicht. Weil ich das tat. Weil unser Held sich das so gewünscht hat. Dennoch, sie haben ihren Sohn, ihren Bruder, ihren Schwager und Onkel verloren. Sie kannten Simon deutlich länger als ich das tat. Sie halten durch, jeden Tag. Sie halten traurige Gefühle und den Verlust aus, genauso wie ich es tue. Und eigentlich bin ich ganz dankbar dafür, dass sie Simon so in Erinnerung behalten können, wie sie ihn kannten. Allein der Gedanke, dass eines meiner Kinder vor mir stirbt, zieht mir den Boden weg. Es gibt Dinge, die nicht sein sollten. Und trotzdem atmet Simons Familie. Jeden Tag, auch wenn die Brust dabei manchmal schwer wird.

Ich habe in den letzten Jahren mit unserem Helden so viele Fehler gemacht. Sowohl gegenüber ihm selbst, als auch den Menschen um uns herum. Das was ich tat bzw. Tue ist alles andere als perfekt. So gar nicht.

Wir halten durch. Alle Angehörigen tun das. Unabhängig davon ob sie geblieben oder gegangen sind. Unabhängig davon ob sie gepflegt haben oder nicht.

Und manchmal, ganz vielleicht wünschen wir uns Jemanden an der Seite, der zusammen mit uns durchhält. Der da ist, auch wenn wir einmal nicht sagen „das passt schon“ oder „ich komme zurecht“ Dieses Durchhalten kann nämlich ganz schön anstrengend sein.

2 Gedanken zu „Das Angehörigen ABC; D wie Durchhalten

  1. Das ist ja der berührendste Text, den ich seit langem gelesen habe. Selber in der Situation seit einem Monat mit meinem Mann, der metastasierenden Darmkrebs hat. Ich funktioniere einfach…
    Danke für deine Gedanken, sie sind, wie immer, sehr treffend und realitätsbah. Take care!

  2. Natürlich gelangt man an psychische und physische Grenzen, wenn man seinen Partner so leiden sieht und ihn pflegen muss/ soll/ will.. Der Wunsch, seinem Selbsterhaltungstrieb zu folgen und zu gehen ist sicher nachvollziehbar. Ich bezweifele aber, dass man sich das später verzeihen kann. Natürlich steht es keinem Außenstehenden zu, solch eine Entscheidung zu bewerten.
    Bei mir ist es inzwischen schon fast 11 Jahre her, dass ich meine Frau auf ihrem Weg begleitet habe und es war wirklich hart. Aber ich bin glücklich, dass ich das ausgehalten habe.

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