Gleich und Gleich gesellt sich gern; meine Tage auf dem NHL Kongress

Ich hatte Euch doch erzählt, dass ich am Wochenende auf dem NHL Patienten Kongress in Kassel gewesen bin.

Ich war mir zunächst nicht wirklich sicher, ob ich dort hinfahren sollte, weil das Thema nicht besonders einfach sein wird, zumal ich mich im Moment in dieser „Heute vor einem Jahr Schleife“ befinde. Man könnte auch meinen, dass ich doch endlich aufhören sollte, mich immer wieder mit Krabbe Kunibert zu beschäftigen und nach vorn schauen.

Ich schaue nach vorn. Und genau darum will ich verstehen. Verstehen, was da eigentlich in den letzten Jahren alles geschehen ist. Ich muss erst Dinge verstehen, bevor ich sie final abschließen kann. Alles andere ist meiner Meinung nach verdrängen. Außerdem hatte ich mir erhofft, auf Menschen zu treffen, denen es ähnlich geht. Menschen, die auch ein multiples Myelom haben und deren Angehörige, die es ja auch irgendwie geben muss.

Am Freitag kam ich dort an, es war heiß. Es war schwül. Aber gleich zu Beginn habe ich ein mir bekanntes Gesicht getroffen. Die DKMS war auch vor Ort und hatte mich gefragt ob ich mitkommen mag. Es waren Mitarbeiter aus Köln und Tübingen dort. Eine Person kannte ich, Hallo an die Social Media der DKMS.

Am Freitag holte ich mir noch mein Namenskärtchen für den Kongress ab. Ich bin unter der DKMS mitgelaufen, daher sieht das Schildchen auch so wichtig aus. Die Tatsache, dass ich in den Folgetagen immer mal wieder mit den DKMS Menschen zusammen gesessen habe führte unter anderem auch dazu, dass ich mehr oder weniger einen Blick hinter die Kulissen bekommen habe. Teilweise ganz witzig irgendwie.

Am Samstag waren einige Vorträge, unter anderem zu neuen Diagnosen und Behandlungsmethoden von Blutkrebserkrankungen. Und auch zu dieser T-Zell- und Immuntherapie. Besonders das war das erste Schwierige, denn diese T- Zell Geschichte machte unser Held zu Studienzwecken auch mit. Das war in unserem Fall übrigens die schlimmste Therapie mit den heftigsten Nebenwirkungen. Anderen Patienten aber hat sie geholfen. Immerhin.

Ich war auch in einem Vortrag über das multiple Myelom, also Krabbe Kunibert. In diesem Raum war ich die Jüngste, da diese Erkrankung eher 60 Plus auftritt. Allerdings hörte ich nichts Neues, erschreckend, wie gut ich selbst bereits informiert bin. Der Arzt, der diesen Vortrag hielt, sprach davon, dass der jüngste Patient, den er mit einem Multiplen Myelom behandelt hatte, 32 Jahre alt war. Simon war bei Diagnose übrigens 31….

Am Nachmittag war ich in einer Angehörigengesprächsgruppe. Besonders hier fühlte ich mich gut. Viele Menschen, die so genau wussten, wovon ich da rede, auch wenn sie zum Teil ganz andere Ansichten hatten und die meisten der Lieblingsmenschen noch am Leben waren. Diese Runde aber hat mich dazu veranlasst, selbst einen Blogpost zu dem Thema „Wie gehe ich als Angehörige mit der Diagnose um, was würde ich jetzt anders machen“ zu schreiben. Denn besonders die Kommunikation mit Drittmenschen, Freunden und so weiter, wurde eine ganze Zeit lang besprochen.

Am Abend habe ich noch lange mit einer Patientin, die ebenfalls ein Multiples Myelom hat, und deren Mann zusammengesessen. Für mich ist es jedes Mal so erleichternd und gleichzeitig auch merkwürdig, wenn Worte wie Velcade, Bortizimib, autolog und ähnliches keine Fremdwörter sind. Außerdem wurden diese Zwei von den gleichen Gedanken begleitet. Ich konnte ich sein und musste mich für nichts rechtfertigen. Ihr Mann hatte mich nach der Angehörigengruppe angesprochen „Waren Sie mal im Fernsehen?“ Dem Vorstand der NHL wurde ich postwendend auch gleich vorgestellt. Dieser Mann hat sich für mein Buch bedankt…

Auch habe ich mich mit jemandem getroffen, der seine Frau vor zwei Jahren an Blutkrebs verloren hat. So wie er von seiner Frau, von der Mutter seiner Tochter erzählt hat, bin ich mir so, so sicher, dass Simon im Himmel eine gute Freundin gefunden haben wird. Viele unserer „Eckdaten“ ähnelten sich, Teile unserer Geschichte mit Kunibert waren erschreckend ähnlich. Auch er hatte unser Buch gelesen.

An diesem Wochenende wurde ich häufiger angesprochen. Auf Simon, auf unser Buch und wie wundervoll es ist. Ich konnte damit kaum umgehen, weil ich in keinster Weise damit rechnete, „erkannt“ zu werden. Warum auch? Aber ich wurde angesprochen. Oft. Viele Patienten und Angehörige haben Simons Buch gelesen. Sie fanden es trotz des tragischen Verlaufes Mut machend und schön. Weil es am Ende doch eine Ode an das Leben war. Ich fühlte mich verstanden. Ich fühlte mich verstanden, dass die Aussagen „das Leben ist schön“ und „das Leben ist manchmal wirklich, wirklich schwierig“ keine Widersprüche sind. Diese Form der Kommunikation war ich gar nicht gewohnt.

In Berlin war ich ab und an in Selbsthilfegruppen. Aber entweder ging es rein um medizinische Themen oder um Selbstmitleidbekundungen. Die Jüngste war ich in der Norm auch überall. Aber in Kassel war das anders. Die Jüngste schien ich auch oft zu sein. Aber die Gefühlsebene war eine sndere. Wie gerne hätte ich sowas auch in Berlin. Gerne auch ohne diesen „ich kenne Dich“ Bonus.

Gestern bin ich zurück nach Hause gefahren. Im Gepäck eine dicke Mittelohrentzündung und jede Menge Eindrücke. Ich habe in den letzten 48 Stunden so viele Gespräche geführt, dass ist schon fast unglaublich. Dieser Kongress war auch wie eine Art Kontaktbörse für Betroffene. Ich habe einige Telefonnummern mehr in meinem Telefon. Einige Namen mehr in meinem Kopf. Und das Wissen im Herzen, dass ich nicht alleine bin. Dass es auch andere Menschen gibt, die genauso fühlen wie ich. Und treffen durfte ich sie auch. Das war mein persönliches Rockkonzert des Jahres.

Ich glaube, dass unserem Helden ein Treffen dieser Art auch ganz gut getan hätte. Und es tut mir wahnsinnig leid, dass er nicht die Möglichkeit dazu hatte.

Danke, dass ich dabei sein durfte.

2 Gedanken zu „Gleich und Gleich gesellt sich gern; meine Tage auf dem NHL Kongress

  1. Ich finde es sehr gut, dass du dich auch weiter mit der Thematik beschäftigst und auf solchen Kongressen aktiv bist. Es tut oftmals gut, mit Menschen mit ähnlichen (wenn auch nicht gleichen) Erfahrungen zu sprechen. Durch die Zeilen habe ich rausgelesen, dass du trotz deiner anfänglichen Skepsis „Spaß“ hattest. Das freut mich für dich.

    Außerdem stirbt die Erinnerung nie. Ich wünsche dir und deinem Kind viel Kraft.

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