Heute ist Donnerstag der 4. Juni 2018. Ein Donnerstag an dem ich beim Arzt gewesen bin, um ein neues Rezept für meine Zaubermedizin abzuholen. Zaubern kann die leider nicht, aber es hört sich einfach netter an. Die Einhornbändigerin ist mit Papa 1 bei der Bayernoma, der kleine Batman und ich waren heute ein Eis essen.
Letztes Jahr am 4. Juni war ich bei Dir in der Klinik. Nach endlosen Fragen von mir an Dich hast Du auch endlich Deine Eltern zu Dir gelassen. Ich weiß noch wie froh ich war, dass Du kurz richtig da gewesen bist. Dass das kleine Stück Simon, welches noch dagewesen ist sich gezeigt hatte. Du hast Deinen Eltern gesagt, dass Du sie lieb hast und wie anstrengend grade alles ist.
Auf Deinem Gesicht lag eine Sauerstoffdruckmaske, der Monitor neben Dir piepte immer Mal wieder. In diesem klaren Moment hast Du mir gesagt, dass wir uns versprochen haben keine Angst zu haben, erinnerst Du Dich? Du hast für einen kurzen Moment verstanden, das Kunibert kurz davor ist endgültig überhand zu nehmen.

Dein Hirn schaltete wieder aus. Du hast wieder von unserer Hochzeit gesprochen. Du wolltest mich heiraten, wenn Du das Krankenhaus verlassen hast. Du hast nach meinem gestohlenem Ferrari gesprochen. Und ich war froh, dass Du wieder weit weg warst und wenig mitbekommst.
Die Luft in Deinem Zimmer war eine Andere an diesem Tag und ich wusste ganz genau, dass dieser Tag nicht gut enden wird. Trotzdem musste ich gehen, die Heldenkinder warteten zu Hause.
Gegen 20 Uhr hast Du mich anrufen lassen. Du warst Außer Dir, weil Du nicht verstanden hast was mit Die passiert. Du hast eine besondere, stärkere Atemmaske bekommen. Du musstest erneut auf die Intensivstation verlegt werden und wolltest von mir hören, dass Dir keiner etwas Böses wollte. Ich versuchte Dich zu beruhigen.
Um 22.56 Uhr hat mich die Klinik erneut angerufen. es war ein Arzt dran, der von mir die Einwilligung wollte, dass Du intubiert und ins künstliche Koma gelegt werden musst. Aufgrund vorheriger Gespräche wusste ich, dass dies bedeutet, dass Du nicht wieder von der Atemmaschine getrennt werden kannst. Deine Heldenlunge hatte versagt. Du hast darauf bestanden mich sprechen, obwohl Du bei jedem Wort um Luft ringen musstest. Du wusstest nicht was passiert. Du hattest Angst und ich wollte sie Dir ein letztes Mal nehmen. Ich sagte Dir, dass Du jetzt etwas zum schlafen bekommst, dass es Morgen alles besser sein wird. Ich sagte, dass ich Dich liebe und Dir wundervolle Träume wünsche. Morgen hättest Du keine Atemprobleme mehr und ich würde Dich wieder besuchen kommen. Es sei Zeit sich auszuruhen, meinte ich. Du hast mir geglaubt, mir gesagt dass Du mich liebst. Wir legten auf und ich wusste dass ich soeben ein letztes Mal mit Dir gesprochen hatte.

Geliebter Held bis Heute tut es mir so, so Leid, dass meine letzten Worte an Dich ein Lüge waren. Ich habe gelogen obwohl ich genau wusste wie sehr Du das hasst. Dieses schlechte Gewissen will auch nach einem Jahr nicht weichen. Heute vor Einem Jahr hörte ich das letzte Mal Deine Stimme.
Lieber Simon, inzwischen ist Freitag der 5. Juni 2019. Gestern habe ich einfach aufgehört Dir zu Schreiben und mich auf die Terrasse gesetzt. Um 22.56 sah ich auf mein Telefon, als würde es wie letztes Jahr klingeln. Es blieb still. Genauso wie die letzte Nacht.
Heute ist der 5. Juni. Heute vor einem Jahr habe ich mechanisch den Heldensohn in die Kita gebracht. Die Einhornbändigerin verweilte bei Papa 1. Dann machte ich mich auf den weg zu Dir. Ich wusste was mich erwarten wird. Aber bitte verzeih, dass ich nicht sofort zu Dir konnte. Es ging nicht. Noch nie sah ich einen vollbeatmeten Menschen, Du solltest nun der Erste für mich sein.

Auf der Intensivstation angekommen, wartete bereits ein Ärzteteam samt dieser anstrengenden Psychoonkologin auf mich. Sie hielten ein Aufklärungsbogen für eine OP in der Hand, sagten aber ganz klar, dass Du nie wieder von der Beatmungsmaschine loskommen wirst. vermutlich würdest Du mit der OP, die für ein Dauerhaftes Drainagesystem in deinem Brustkorb sorgen sollte, ein paar Monate länger leben können. Auf der Intensivstation, in einem niedrigschwelligem Koma. Du hättest Schmerzen, Stress und Angst empfinden können, ohne die Chance dies äußern zu können. Deine Muskeln waren nämlich lahm gelegt. Deine Lunge hatte versagt. Nichts ging mehr. Kunibert schien uns auszulassen.
Mein geliebter Simon, eine Patientenverfügung gab es nicht. Die wolltest Du nie machen. Dafür aber hattest Du mir vor wenigen Wochen diese Gesundheitsfürsorge übertragen. Genau in diesem Moment, vor dem Arzt sitzend verstand ich gänzlich warum. Ich entschied mich gegen diese Op. Ich rief die Heldenschwägerin an und sagte ihr dass ich glaube, Dich grade umzubringen. Ich legte auf und unterschrieb zwei Mal dass Du nun den palliativen Weg gehen wirst. Mit anderen Worten ließ ich die Behandlung einstellen. Es wurde fortan nicht mehr in den Verlauf der Erkrankung eingegriffen. eine künstliche Beatmung gehörte auch dazu. Es war der 5. Juni, es war kurz nach 11 Uhr Mittags. Damit Du weniger Stress haben musst, hast Du mehr Schlafmittel bekommen. Die Sauerstoffzufuhr wurde nach und nach verringert.

Irgendwann saß ich in Deinem Zimmer. Zusammen mit einigen Deiner Lieblingsmenschen. Mein Lieber Mann, ich hoffe dass wir Niemanden vergessen hatten. Alle sprachen mit Dir, berührten Dich. Ich glaube, dass Du gemerkt hast, dass Du zu keiner Sekunde alleine warst.
Alle berührten Dich, streichelten Deine Hand oder über Deinen Kopf. Ich tat das nicht. Ich saß an Deinem Fußende, starrte Dich an und fragte mich ob das die richtige Entscheidung gewesen war. Alle berührten Dich, ich habe nur unterschrieben dass die Behandlung eingestellt werden soll. Alle streichelten Dich und ich habe immer noch das Gefühl der Henker gewesen zu sein.
Es tut mir so, so Leid, dass ich dich erst angefasst habe, als Du schon fast im Himmel angekommen warst. Ich befürchte dass Du nicht gemerkt hast, dass ich dagewesen bin. Weil ich schwieg. weil ich Dich nicht berühren konnte. Weil ich an Deinem Fußende gesessen hatte. Ich weiß nicht was Du gemerkt hast und was nicht.
Am 6.Juni 2018 hast Du um 0.02 Uhr Deinen letzten Atemzug getan. Morgen ist auch dies ein Jahr her. Wir werden Dich im Zauberwald besuchen, vielleicht wird Dein Baum wieder so schön von der Sonne angestrahlt.
Lass es Dir gut gehen mein Schatz. Rock den Himmel mein Held. Ich lieb Dich.

Ach Ines….ich wünsche mir so sehr für dich dass du dein schlechtes Gewissen verlierst .
Du hast unendlich geliebt und für deinen Helden die einzig richtige Entscheidung getroffen. Und er wird dich dafür geliebt haben.
Er wusste du würdest die richtige Entscheidung treffen als er entschied dir die Gesundheitsfürsorge zu übertragen.
Du nahmst ihm die Angst mit deinen letzten Worten…nur das zählt!!!
Ich fühle mit dir…auch unser Verlust ist fast genau 1 Jahr her…..
Fühl dich umarmt ❤❤❤❤❤
🎈🎈🎈🎈🎈🎈🎈🎈
Liebe Ines, Du hast alles richtig gemacht. Fast jeden Tag, wenn ich deinen Blog lese, wundere ich mich, warum mir die Augen „plötzlich brennen“ und dann ist auch dieses warme Gefühl. Ein Gefühl, das mir sagt, dass Du sehr viele Entscheidungen hast treffen müssen die du immer noch in Frage stellst. Mir ginge es wahrscheinlich ähnlich. Ich fühle mit Dir und hoffe, dass die schönen Erinnerungen mit deinem Helden immer etwas stärker sind als deine Zweifel. Mario
Wie fast immer weine ich, wenn ich deine Zeilen lese. Du hast das richtige getan für deinen Helden und er wusste, dass du bei ihm bist, da bin ich mir ganz sicher. Und er wusste auch, dass du in seinem Sinne entscheiden würdest. Quäl dich bitte nicht mit schlechtem Gewissen. Eine Entscheidung für die OP wäre egoistisch gewesen. Dein Held hätte nichts davon gehabt. Ich kann nur erahnen, wie schwer dir das gefallen sein muss.
Fühl dich ganz fest umarmt!
Liebe Grüße
Tanja
Liebe Ines, oft bekommen Trauernde zu hören: „Du mußt aber jetzt mal loslassen“. Dabei haben wir Trauernde bereits losgessen, wir haben Simon, Gerlind und all die anderen ungenannten gehen lassen. In dem du Simon mit deinem Beistand und Mut Entscheidungen zu treffen, es Simon erleichtert hast die Hand seines Schutzengels zu nehmen. Simon muss dich so sehr lieben, denn mit jedem deiner Worte merkt man, das er an deiner Seite steht und seine Hand auf deine Schulter legt.
Ich kann deine Traurigkeit gerade nachvollziehen. Es tut weh, mir auch. Ich drücke deine Hand…
Und ich weine wegen euch, wegen meines geliebten Mannes und wegen mir.
Deine Worte waren zu keiner Zeit eine Lüge.
Du wolltest ihm die Angst nehmen und das hast du auch getan. Wie schwer muss dir das gefallen sein – so ruhig zu bleiben und doch zu wissen, dass du Simon das letzte Mal hören wirst.
Du bist eine Heldin! 💖
Ich fühle mit dir 😢
Liebe Ines,
In deinen Zeilen liest man so viel Liebe. Du hast nicht gelogen du hast aus Liebe nicht alles gesagt. Du bist eine wunderbare Frau und Mama.
Liebe Ines, Du hast nicht gelogen. Du hast nichts falsch gemacht. Und ich bin überzeugt, Simon hat deine Anwesenheit deutlich gespürt.
Das ist ein sehr trauriger aber wahrscheinlich notwendiger Blog. Danke für die Ehrlichkeit.