Okay, ich gebe zu, bzw. wisst Ihr es eigentlich auch schon. Ich war noch nie der einfachste Mensch, schon immer eher etwas anders, sonderbar und skeptisch. Man könnte dies nun auf meine Vergangenheit im Teeniealter schieben. Ich aber glaube, dass das eher ein Charakterding ist. Wer weiß.
Allerdings konnte ich das toppen, als unser Held krank geworden ist. 2012 kam die Diagnose, 3 Monate vor der Geburt des kleinen Batman. Für uns riss der Boden unter unseren Füßen auf. Ich dachte damals öfter daran, dass ich mir mein Leben so ganz anders vorgestellt hatte. Mit Familie, offenen Zahnpastatuben und ähnlichem. Ich dachte, angekommen zu sein.
Ich glaube, dass ich ab diesem Zeitpunkt noch sonderbarer wurde, weil ich unser Schicksal zunächst mehrfach in Frage stellte. Ich hatte Angst zu verlieren und zeitgleich war unsere Beziehung immer noch einen von denen, in der sich gern gestritten wurde. Über Kleinigkeiten und über Grundsätzliches. Unser Held rannte gern vor Problemen weg, ich wollte sie totdiskutieren. Blöde Kombi. Und auch wenn wir uns regelmäßig gegenseitig den Kopf hätten abreißen wollen, klappte es. Mal mehr, mal weniger gut.
Ich war schon immer der Freak von uns beiden. Aber das war okay so. Schwächen hatten wir beide. Meine waren bzw. sind offensichtlicher. Als die Erstdiagnose kam, kamen auch diese Schwächen von mir immer mehr zum Vorschein. Weil meine Welt ins Wanken kam, weil ich vieles in Frage gestellt habe. Ich habe mich damals das erste Mal von der Außenwelt weitesgehend abgekapselt, weil ich das Risiko vermindern wollte, dass ich bei einer anderen, mir lieben Person auch etwas ähnliches erleben muss. Für manche ist das total bescheuert, für mich war das Selbstschutz.

Das änderte sich auch in den Jahren danach nicht. Auch als es Simon besser ging. Ich war vorsichtiger denn je. ich hatte und habe Freunde, die es auch nicht immer einfach mit mir hatten/haben. Weil ich Ansprüche habe, die zum Teil gar nicht zu erfüllen sind. Ich steckte sie so hoch, damit der Kreis möglichst gering bleibt, damit ich nicht Gefahr laufe, erneut Angst vor einem Verlust zu haben.
Wenn ich mich mit Freunden getroffen habe und gerade mit unserem Helden zerstritten war, nörgelte ich rum. Über für mich wichtige Dinge. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass Simon dies auch tat. Streiten konnten wir wirklich gut, uns vertragen aber auch. In Summe glaube ich dennoch, dass unsere Beziehung recht ausgewogen und vor allem lebendig war.
Ende 2016 kam Kunibert mit aller Macht zurück und wollte nicht mehr gehen. Er war wieder da, plötzlich, unverhofft und unerwartet. Ich erinnere mich noch daran, dass Simon Angst hatte, dass ich gehe und ihn mit seiner Krabbe zurücklassen werde. Das tat ich nicht, stattdessen ließ ich erneut ein Stück von mir zurück. Ein Stück Selbstbewusstsein und Mut. Ich hatte oft das Gefühl, nicht genug zu sein. Nicht genug für ihn, nicht genug für unsere Kinder und schon gar nicht genug für mein soziales Umfeld.
2017 die DKMS Aktion um einen Stammzellspender für unseren Helden zu finden. Die Hilfe war gigantisch, die Hoffnung groß und dennoch fokussierte ich mich hauptsächlich auf unseren Helden und die Kinder. Ich sah die Hilfe, ich sah die vielen Menschen und ich sah auch diejenigen, die uns bei der Aktion unterstützt hatten. Und dennoch igelte ich mich ein, weil der eine drohende Verlust schon kaum auszuhalten war. Vertrauen war nicht meins. Der Freak in mir wuchs.

2018 spitzte sich alles weiter zu. Simons Hirn schaltete irgendwann ab und ich wurde zur reinsten Freakshow. Mal abgesehen von der Tatsache, dass ich für jeden Schritt eine Ewigkeit brauchte, hielt ich mir andere Menschen vom Hals. Aber auch hier gab es wenige Ausnahmen. Menschen, die ich nach wie vor mit in meine ganz persönliche Freakshow gelassen hatte.
Wir Angehörigen leben manchmal in unserer eigenen, ganz kleinen Welt. Einige von uns, so wie auch ich, entwickeln Verlustängste und stellen dabei Ansprüche an sich und an die Umwelt, die kaum einzuhalten sind. Das machen wir, weil wir manchmal wie kleine Freaks sind. weil wir nicht noch mehr verlassen werden wollen. Manchmal fühlte ich mich wie ein Alien, der die Wesen auf der Erde nicht verstehen kann/will.
Heute bin ich immer noch ein Freak und vermutlich werde ich immer einer sein, weil ich einfach schon immer einer war. Simon war der alltagstauglichere von uns. Das ist nicht schlimm und bedarf keinem Mitleid. Aus Gesprächen aber weiß ich, dass viele Angehörige irgendwann den kleinen Freak in sich entdecken und gern abgestempelt werden. Ich verstehe das, aber einfach ist das dennoch nicht. Ich habe Freunde, die um mich herum sind. Nicht weil sie ein Helfersyndrom haben, sondern weil wir uns mögen. Ich habe Freundschaften, die nicht nur aus Hilfeleistungen bestehen, sondern auf gegenseitiger Fürsorge, Hilfsbereitschaft und Ähnlichem. Denn auch wenn man es nicht glauben mag, auch wenn es nicht einfach ist: Freundschaften können auch Freaks führen.

Wir Angehörigen sind anders, wir haben oft Verlustängste und sind auch sonst etwas sonderbar. Je länger der Lieblingsmensch krank ist, desto sonderbarer können wir sein. Ansprüche stellen wir nicht, weil wir wahnsinnig egoistisch sind, sondern weil wir uns schützen wollen.
Im Nachhinein tun mir viele Dinge Leid. Mein Umgang mit Freunden, mit Situationen und auch diese vielen, zum Teil unnötigen Streitereien mit Simon. Aber am Ende haben wir alle etwas gemeinsam. wir sind Menschen, wir machen nicht alles richtig. Wir sind eigentlich ganz nette Wesen, auch wenn wir ein Freak sind.