Wenn Du ein Angehöriger bist, bist Du manchmal nicht mehr Du selbst. Mal abgesehen von den äußerlichen Veränderungen, tiefen Falten und dunklen Schatten unter den Augen. Als pflegender Angehöriger wird das manchmal noch etwas seltsamer.
Im Haus sammeln sich plötzlich Berge von Medikamenten, die kindersicher weggeschlossen werden müssen; Morphin und medizinisches Cannabis waren da die Favoriten. Es lagen zich Spritzen, Verbände, Mundschutzdinger und medizinische Hilfsmittel. Plötzlich ist die Farbe der Wand uninteressant, viel mehr zählt ob ein Badewannenlift her muss oder es ohne geht.
Das Haus gleicht irgendwann mehr einer kleinen Praxis, als dem Zu Hause. Die Luft riecht nicht mehr nach Waschmittel oder Stinkefüßen, sondern nach Desinfektionsmittel und Gummihandschuhen. Das Babyphone wurde zum Inesruf umfunktioniert.Das alles mit dem Gefühl, dass dieser Zustand auf Zeit sein wird, wie lange kann nur keiner sagen.
Wir hatten sogar einen Safe im Kühlschrank, für die Medikamente, die kühl aufbewahrt werden mussten. Ich bin ein absoluter Drogengegner und hatte plötzliche abhängigmachende Medikamente im Haus. Ich hasse Drogen und setzte dennoch alle Hebel in Bewegung an medizinisches Cannabis zu gelangen. Das war deutlich schwieriger als gedacht, erforderte viel Rennerei und noch mehr Telefonate. Eigentlich telefonierte ich nur noch und am Ende fühlte ich mich wie ein Dealer, als ich das Zeug für den Helden, nennen wir es mal zubereitet habe.

Es gab Tage, an denen ich mich gefragt hatte wo unser Zuhause geblieben ist. Der Ort, der doch eigentlich Sicherheit versprühen soll. An diesen Tagen war ich mehr Gast in unserem Haus als Bewohner. Es roch fremd. Simon roch anders. Ich hatte ständig das Gefühl, dass all unsere Klamotten wie Desinfektionsmittel gestunken haben. Ich konnte nicht mehr in unserem Bett schlafen und verbrachte die Hälfte des Tages damit sämtliche Türgriffe zu desinfizieren.
Es gab Tage da hasste ich dieses „zu Gast sein“ Gefühl. Weil ich doch eigentlich gar kein Gast war. Noch mehr aber hasste ich das Gefühl, ein Gast in meinem Leben zu ein. Es war hin und wieder so, dass ich von oben auf uns sah und merkte, dass das grade alles ganz doll schief läuft. Also nicht schief, aber richtig auch nicht. zumal ich immer wusste das dass alles nur auf Zeit so sein wird. Es würde eine Zeit kommen in der mein Zuhause nicht mehr nach Gummihandschuhen riecht, sondern wieder nach Waschmittel und Stinkefüßen. Allerdings wusste ich auch, dass diese Zeit erst kommen wird, wenn Simon nicht mehr da ist. Und das wollte ich natürlich auch nicht.
Das Leben als Gast im eigenem Leben war daher immer zwiespältig. Es war schwierig, weil die Sicherheit fehlte. Es war aber auch aufregend, weil wir eine Zeit lang so lebten, als hätten wir nichts zu verlieren, als gäbe es keinen Morgen. Es war ein Ritt in eine Zeit, die wir mit Kunibert geteilt hatten. Besonders die letzten Zwei Jahre. Es war ein Ritt in dem wir mehr lebten, als jemals zuvor und ich mich immer fragte, warum wir manche Dinge nicht viel früher getan hatten.

Es war eine Zeit, die mich hat manchmal gefühlt in einer Arztpraxis hat leben lassen. Eine Zeit, die von Sehnsucht, Angst aber auch ganz viel Lebensmut gekennzeichnet war. Ein Gast aber war ich trotzdem. In unserem Zuhause. In meinem Leben. Es war wie ein Abenteuer mit einem unfassbaren Ende.
Jetzt bin ich kein Gast mehr. Ich versuche unser Zuhause zu verändern. Der kleine Batman und ich werden die Zimmer tauschen. Ich streiche die Wände oder wir bauen den Keller um. Einige Altlasten fliegen heraus. Ich bin kein Gast mehr, das alte zuhause ist es aber auch nicht. Unser Zuhause im Leben 2.0 ist ein anderes. Das soll auch so. Das ist gut so.

Ich bin wirklich froh darüber zu lesen, wie jemand mit dieser schlimmen Situation umgehen kann. Es ist bei mir anders, ich bin viel älter, habe Enkel, bin aber zu Hause letztlich allein. Das ist etwas, das ich nie so wollte, nun aber mit allen nun passierten Beschränkungen da durch muss. Du machst mir Mut. Bin in Gedanken bei dir.
Viel Spaß beim Räumen und Renovieren. Wieder ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung!
wieviel kraft und Energie du gehabt haben musst, und wohl immer noch hast. die umbauten im haus werden sicher dazu beitragen, in ein Leben 2.0 zu starten bzw. daran weiter zu arbeiten. liebe grüsse m.