Das Angehörigen ABC; J wie japsen

Der folgende Text galt für mich als Angehörige als auch für mich als Hinterbliebene eines Helden im Himmel.

Als wir 2012 die Diagnose bekommen haben und ich mit meinem dicken Babybauch neben Simon in diesem Ärztezimmer gesessen hatte blieb mir die Luft weg. Ich erinnere mich daran, dass ich die Luft angehalten habe, möglicherweise weil ich hoffte, dass dann auch die Welt stehen blieb damit ich aussteigen konnte. Ich hielt die Luft an bis mir schwindelig wurde.

Als ich die ersten Male neben Simons Bett gesessen hatte tat ich das Gleiche. Dort lag mein Mann, schmerzverzehrt und so mit Opiaten vollgepumpt, dass er mich streckenweise nicht erkannt hatte. Ich stolperte über meine eigenen Füße und hielt die Luft an. Irgendwann musste ich nach Luft japsen um nicht in Ohnmacht zu fallen.

Das Gefühl der Schwere auf der Brust wurde mit der Zeit weniger, weil Krabbe Kunibert zu einem Bestandteil unserer Familie wurde und wir die Diagnose zu akzeptieren lernten.

Aber immer wenn ein neuer Tiefschlag kam, Simon mit 0,5 Leukos auf unserem Sofa lag (Ich frag mich bis heute wieso eigentlich, denn mit 0,5 Leukos liegt das Immunsystem brach und er sollte eigentlich in einem Isozimmer liegen) musste ich nach Luft japsen. zumindest dann, wenn ich nicht grade mit desinfizieren sämtlicher Türgriffe beschäftigt war.

Als es ab Ende 2017 kontinuierlich bergab ging, na ihr wisst schon. Nachts stellte ich mich oft nach draußen um mehr Sauerstoff in meine Lunge pressen zu können. Ich lief mit einem Dauer-Schwindel-Gefühl durch die Welt, immer versuchend das Atmen nicht zu vergessen.

Als Simon seiner ersten mentalen Aussetzer hatte wurde mir vor lauter Sauerstoffmangel schlecht. Nach einigen Tagen nicht mehr. Im nachhinein war es schon spannend, wie schnell mein Körper und mein Hirn in der Lage waren sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Anstatt die Luft anzuhalten, spielte ich in Simons ganz eigener welt einfach mit. Dadurch entwickelten sich sehr skurrile aber wirklich schöne und leichte Gespräche.

In dem Moment dieser bekannten Unterschrift von mir und der Sekunde in der Simon in den Himmel geflogen ist hielt ich wieder die Luft an. Das war alles so surreal, dass das gar nicht sein konnte. Der Sauerstoffmangel in meinem Hirn sorgte für Sternchen um mich herum, bis ich wieder nach Luft japste. Die ersten Monate nach seinem Tod liefen Ähnlich. Dieses Luft anhalten und nach Luft japsen sorgte auf der anderen Seite aber auch dafür, dass meine ersten Atemzüge besonders tief gewesen waren und ich deutlich spürte wie jede Ecke meiner Lunge mit Sauerstoff gefüllt wurde. Ich spürte mich und die Tatsache, dass ich noch da war. Simon starb am Ende durch das Versagen seiner Lunge, diese war mehrfach entzündet, von Metastasen zerfressen und am Brustkorb festgewachsen. Sie kollabierte mehrfach, bis sie schließlich aufgegeben hatte.

Und was tat ich? Ich hielt immer mal wieder die Luft an um mich danach selbst besser spüren zu können. Oder weil ich gefühlte 20 Kg Steine auf meiner Brust zu legen hatte.

Inzwischen ist etwas mehr als ein Jahr vergangen. Ich atme und japse kaum noch. Dieses automatisierte Luftanhalten ist fast verschwunden, weil ich zumindest bezogen auf unseren Helden keine Hiobsbotschaften mehr zu erwarten habe.. Mein Mann ist nicht mehr da. das wovor ich 6 Jahr lang immer Angst hatte ist nun schon 13 Monate unser Leben. Meine Atemfrequenz hat sich angepasst, ich bekomme wieder Luft.

Manchmal habe ich immer noch das Bedürfnis mich mehr spüren zu wollen. Dann mache ich Sport, boxe gegen den Sandsack oder geh kalt duschen. Das alles sorgt dafür, dass ich keine Sternchen sehen muss, sondern bei mir bleiben kann.

Ich glaube dass diese vorübergehende Atemnot auch andere Angehörige und Hinterbliebene kennen. Genauso wie den Wunsch, dass die Welt kurz stehen bleibt, damit wir aussteigen können. Auch wenn es sich absolut suspekt anhört, sucht Euch Dinge, die beim Atmen helfen. Die Welt bleibt nicht stehen, auch nicht wenn ihr die Luft anhaltet. Und ganz ehrlich…das ist auch ganz gut so. Wäre ich ausgestiegen hätte ich viel zu viele Dinge verpasst, die ich nicht missen möchte. Atmen hilft nicht nur beim überleben. Atmen hilft auch dabei, dass das HIrn andere Eindrücke wahrnehmen kann, als die die grade so schwierig erscheinen.

Ein Gedanke zu „Das Angehörigen ABC; J wie japsen

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.