Es ist Dienstagabend, der kleine Batman liegt im Bett und die Einhornbändigerin ist bei der Oma in Bayern. Weißt Du, es sind Herbstferien, die allerersten Ferien für unseren Sohn. Du kannst Dir gar nicht vorstellen wie stolz er ist. Beim Friseur war unser Heldensohn inzwischen auch. Sein Frisurwunsch war etwas ungewöhnlich, inzwischen aber finde ich, dass es ihm wahnsinnig gut steht. Findest Du nicht?

Heute waren wir mit deinen Eltern, deiner Oma und deinem Bruder samt Family essen. Leo ist noch immer ganz verliebt in seinen Babycousin, wenn Du nur sehen könntest wie lieb er mit ihm umgeht. Der Babycousin ist inzwischen 1,5 Jahre alt und Du kennst ihn nur als kleines Baby. Zweieinhalb Monate nach der Geburt Deines Neffen bist Du in den Himmel gezogen. Und weil es Dir schon nicht mehr so gut ging, hast Du ihn nicht oft sehen können. Als der kleine Batman in diesem Alter war, warst du mit der ersten Therapierunde komplett durch, warst schon etwas erholt und bist sogar wieder arbeiten gegangen. Erinnerst Du Dich?
Heute waren wir mit Deinem „Familienzweig“ essen weil Deine Oma Geburtstag hatte. Wir haben Deiner Oma und Deiner Mama ein Daumendrücken für ein schönes, nächstes Jahr geschenkt. Es war schön Heute und dennoch fühle ich mich manchmal so, als würde ich nicht dazugehören. Es sind alle nett und trotzdem fühlt es sich so an. weil Du fehlst. weil Du das Verbindungsglied gewesen bist.
In den letzten Wochen ist mir übrigens immer öfter aufgefallen, dass ich nach wie vor ein Unbehagen in meinem Bauch fühle, wenn ich mit einem Auto mitfahre. Dabei spielt es auch keine Rolle wer am Steuer sitzt. Bei jeder Bremsung zuckt es durch meinen Körper. Bei jedem Überholen sowieso. Du kennst mich ja. Bei Dir war das am Anfang auch so. Aber irgendwann fühlte ich mich sicher. Wenn Du der Fahrer warst wusste ich, dass alles gut gehen wird. Wenn ich Dich jetzt sehen würde, könnte ich wetten dass Du Deine linke Augenbraue hochziehst und lächeln müsstest. Ich vermisse diese Sicherheit weißt Du.

Ansonsten ist bei uns grade alles im Veränderungsmodus, so ähnlich wie wir Zwei es den Kindern vor langer Zeit versprochen hatten. Ich hoffe, dass Du zufrieden mit dem Ergebnis sein wirst. Ich hoffe dass wir zufrieden sein werden. Leos altes Zimmer ist mein neues Schlafzimmer. Nicht unser Schlafzimmer sondern meins. Kurz bevor ich die grünen Wände weiß gestrichen habe, zog ich diverse Schrauben aus der Wand, die dort befestigst hast. Einige blieben drin. Ich hab zwar keine Ahnung was da ran soll und zugegeben liege einige von denen ziemlich ungünstig aber dann ist zumindest ein Teil von dem, was Du getan hast noch da.
Ich kann mich kaum noch an Deine Stimme erinnern, weiß aber noch ganz genau wie sich Deine Hand in meiner anfühlte. Dein Geruch geht langsam verloren, die Erinnerung an Deine Augen aber nicht. Du wirst ein Stück weit durchsichtiger und ein Schleier liegt über Dir. Trotzdem oder vielleicht grade deswegen liegt an manchen Tagen ein riesiger Stein auf meiner Brust. Es gibt Tage, die ich kaum aushalten kann. Völlig ungeachtet der Tatsache, dass um mich herum trotzdem schöne Dinge geschehen.
Vor ein paar Tagen habe ich Dir eine Whats App Nachricht geschickt, wohlwissend dass diese niemals ankommen wird. Ja, ich weiß selbst dass das etwas dämlich ist.

Ich gehe jeden Tag Schritte nach vorn Und dann auch wieder zurück. Mach dir keine Gedanken, wenn du mich von Deiner Wolke aus beobachtest. Manchmal schlägst Du Dir bestimmt die Hände über dem Kopf zusammen und fragst Dich was ich da eigentlich anstelle. Ich verspreche Dir, dass ich gut auf mich aufpassen werde um dann selbst gut auf die Heldenkinder aufpassen zu können. Manchmal wirkt es nur einfach so, als würde ich auf der Stelle laufen. Ich mag das nicht. Manchmal mag ich mich deswegen auch selbst nicht. Ich verstehe auch gar nicht, warum es im Moment wieder so schwierig ist. Abschiednehmen ist nicht Meins. Es war auch noch nie Meins. Als Du gestorben bist. in dieser besagten Nacht. Nachdem alle außer mir das Zimmer verlassen hatten, starrte ich Dich an. Küsste Deine Stirn und fragte Dich immer wieder, wie zur Hölle ich das jetzt alles schaffen soll. Dass der Tod schon lange nicht mehr unser Gegner, sondern vielmehr unser Mitbewohner war ignorierte ich gekonnt. Seit langer Zeit war abzusehen, dass dieser Tag kommen wird. Bald. Viel zu bald. Aber als es soweit war, stand ich neben Dir, küsste Deine Stirn und fragte Dich wie ich das nun machen soll. Wie gesagt, Abschiednehmen ist nicht Meins.
Mein ganzes Leben hatte ich immer Respekt davor, irgendwann die zu sein, die übrig bleibt. Ich weiß gar nicht warum, aber es war wie eine Urangst, tief in mir drin. schon lange bevor ich Dich kannte. Vor Einem Jahr, drei Monaten und 2 Tagen geschah es dann tatsächlich. Mein Urangst wurde zur Realität. Jetzt leben wir damit. Wir haben überlebt. Du nicht. Mein geliebter Held, das so wahnsinnig falsch, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Auf der anderen Seite kann jetzt kaum noch etwas eintreten, was das noch toppen kann. Und auch wenn ich schon immer so wahnsinnige Angst vor einem Verlust dieser Art hatte, habe ich überlebt. Und das ist für mich eine riesen große Sache weißt Du. Da fällt mir ein, ich vermisse Dein „Weißt Du…“

Mein lieber, wunderschöner Mann, meine Augen sind wieder offen. Manchmal sehr verheult, aber sie sind offen. Meine Ohren können wieder hören, manchmal auch Deprimusik, wenn ich kurz in Selbstmitleid baden will. Aber sie können hören. Auch wenn Dein Geruch nicht mehr in meiner Nase ist, Deine Hand spüre ich noch immer. Meine Sinne funktionieren. Mein Herz auch. Ich kann fühlen, mit allen Sinnen.
Wir beide mussten in unseren Jahren genau das erst lernen. Gefühle zulassen und Emotionen zeigen können. Ich glaube ja, dass wir gegenseitig unsere besten Lehrer waren, oder was meinst Du? Nie und Nimmer könnte ich das vergessen. Nie und Nimmer könnte ich Dich ersetzen und will es auch gar nicht.
Liebster Simon, hier ändert sich so wahnsinnig viel. Unser Haus. Das drumherum. Und ich hoffe dass Du weißt, dass es gar nicht darum geht unser Leben mit zu streichen oder zu ersetzen. Vielmehr braucht es Veränderung um weiter vorwärts zu kommen, um weiter Atmen zu können. Die Heldenkinder und ich ersetzen unser Leben nicht durch ein Neues. Wir ergänzen und verändern. Verstehst Du wie ich das meine? Du hast deine „neue Welt“ über den Wolken gefunden. An einem Ort, an dem es weder Schmerzen noch Krankenhäuser gibt. Wir hingegen sind noch hier. Wir sind die, die nun übrig sind. Und bis wir uns irgendwann wiedersehen mein Held, möchte ich nicht nur überleben. Ich möchte leben um all die Facetten wahrnehmen zu können, die das Leben zu bieten hat. Im Moment ist das gar nicht so einfach, weil dieses Bewusste Verändern wirklich, wirklich weh tut. Weil ich Angst habe und nicht den geringsten Schimmer davon, wie unsere Zukunft aussehen wird.
Auch wenn es da diesen Schleier gibt, der langsam über Dich schwebt, vermisse ich Dich.

Liebe Ines, aus jedem Deiner Gedanken spricht die innere Verbundenheit zu „Deinem Simon“. Ganz ehrlich sprichst Du sie aus, bist dir nicht zu schade, dich auch zu vermeintlich „schwachen Momenten“ zu bekennen. Aber glaub`mir, in Wirklichkeit bist Du in meinen Augen gerade dann „ganz stark“! Und genau deshalb bist Du so liebenswert❤
Ich wünschte, ich könnte auf mein Leben 2.0 ebenso schauen. 🙋♂️