Wenn ein Lieblingsmensch akut krank ist, verschwimmen schöne Dinge die erlebt werden mit weniger schönen Gedanken. Ich habe Euch schon oft gesagt, dass wir in dem letztem Jahr mit Simon so viel gelebt haben, wie nie zu vor. Wir wollten Erinnerungen sammeln, positiv bleiben und den Kopf nicht in den Sand stecken. Wir haben so unfassbar viel erlebt, dass es mich fast ärgert dass wir zuvor nicht einfach mal etwas gemacht haben worauf wir List hatten. Ich glaube auch, dass wir im letzten Jahr mit unserem Helden so wenig fremdbestimmt waren, wie sonst nie. Und dennoch…
Mein Unterbewusstsein hatte nie vergessen warum wir das Tempo in unserem Leben plötzlich etwas anschubsten. Im Juni 2017 haben wir nach 6 Wochen Planung via Nothochzeitstermin geheiratet. Es war so toll, Wir hatten unendliches Glück, dass das zu der Party unseres Lebens wurde. Wir hatten Glück dass es Simon so gut ging und das die Feier noch so viel besser war, als wir uns das erhofft hatten. Es war grandios und trotzdem war ich an diesem Tag oft überfordert, weil ich wusste dass wir unbedingt jetzt heirateten wollten. Ja, wir liebten uns, aber ich wusste dass diese Hochzeit so schnell sein sollte, weil wir nicht wussten, ob wir es ein Jahr später noch hätten tun können. Inzwischen weiß ich, das hätten wir nicht. 12 Monate und zwei Wochen später starb mein Mann.

Wir waren im Sommer 2017 zwei Mal an der Ostsee. Wir waren sogar im Disneyland. Simon und die Kinder wollten da schon immer mal hin. Plötzlich standen wir neben Mickey Maus. Je nach Gesundheitslage vom Helden, haben wir medizinisches Fachpersonal mitgenommen und Reisen zum Teil auch gegen den Willen der Ärzte gemacht. Wir haben die Reste unserer Rücklagen benutzt und es fühlte sich gut an. Jede Sekunde an fremden Orten sogen wir auf. Die Kinder lachten viel und erinnern sich bis heute gern daran zurück. Diese Erinnerungen kann uns Niemand nehmen. Aber auch hier, als wir vor dem Schloss im Disneyland standen war das nicht nur absolut surreal sondern auch beängstigend. Die Kinder sagten oft, dass sie dort unbedingt wieder hinwollen. Ich aber wusste, dass dies in dieser Konstellation so nicht passieren würde. Heute wollen sie unbedingt nochmal zu Mickey und co, weil wir nicht alles sehen konnten.

Als Krabbe Kunibert immer mehr die Macht übernahm schlossen Simon und ich Wetten ab, wie hoch gewisse Blutwerte denn sein würden. Ob eine Transfusion nötig ist, weil die Thrombozyten jenseits von gut und böse waren. Wir klatschten ab, ach wenn der Wert unterirdisch war. War der „Kunibertwert“ gewachsen, taten wir das Gleiche, je nach dem wer von uns die Wette gewonnen hatte. Wir wurden bitter böse Sarkastisch und rechneten irgendwann gar nicht mehr mit einer Besserung. Wenn die Leukozyten so stabil blieben, dass er immerhin nicht in die Isolation musste, freuten wir uns und stießen mit Malzbier an. Das taten wir um nicht von Kuniberts Zog mitgerissen zu werden. Auf der anderen Seite hatte ich trotzdem jedes Mal einen dicken Klos im Hals.
Als wir unseren ersten richtigen Hochzeitstag feierten, also unseren 12. kleinen war das auf der Einen Seite wirklich schön, auch wenn Simon gar nicht mehr wusste dass er verheiratet war. Wir waren nicht zu Hause oder hatten ein Date im Kino. Wir waren in der Klinik, Simon war so verwirrt, dass er vergessen hatte, dass er Kinder hatte. Trotzdem war es schön, weil er noch da war. Zeitgleich durchkroch mich das Gefühl, dass es keinen weiteren Hochzeitstag geben würde.

Ich liebte meinen Mann. wir zwei versuchten wirklich alles um das Leben lebenswert bleiben zu lassen. Ich wollte ihn so lange es geht an unserer Seite wissen. Im Hintergrund aber war ich müde und ging jeden Abend mit dem Wissen ins Bett, dass er schon lange nicht mehr er selbst war. Ich fühlte, dass unsere Beziehung sich verändert hatte. Ich liebte nicht weniger, aber unsere Beziehung glich weniger einer Ehe, vielmehr war es etwas zwischen Patient und Krankenschwester. Wisst ihr was ich meine?
Wir erlebten viele Dinge, sehr viele lebendige Dinge. Ich bin mir bewusst welches Glück wir hatten all das noch machen zu können. Ich bin dankbar, bis Heute. Wirklich. Aber es gab nahezu fast immer diesen Gedanken „Vermutlich ist dass das letzte Mal“. Darüber gesprochen habe ich nicht. Und wenn doch hieß es oft, „bleib doch im hier und jetzt“ oder auch „es geht ihm doch gut“. Es ging ihm seit Ende 2016 nicht gut. Es gab mal bessere Phasen aber gut ging es ihm nicht. nie. Den Kindern und mir auch nicht. Tolle Dinge erleben konnten wir trotzdem. Spaß hatten wir auch. Dass diese Dinge zusammenpassen verstehen nur die Wenigsten. Ich glaube, dass es auch kaum Verständlich ist, wenn man es nicht selbst erlebt hat.

Auch wenn es viele Dinge gab, die trotz der Umstände so schön gewesen waren, der Nachgeschmack war immer da. Der Gedanke, dass wir nur so schnell rennen müssen, weil der Zeit unser größter Gegner war.
Oh ja, sehr wahre Worte! Der Moment den man erlebt ist schön, aber das Wissen, dass es das letzte mal sein kann/wird, hängt wie ein Schleier darüber. Und so schön der Moment ist, dieser Schleier kostet Kraft und ermüdet.
Fühl Dich gedrückt. Es ist gut dass Du das so klar benennen kannst!