Das Angehörigen ABC; O wie Orientierung

Als Angehörige fühlte ich mich oft Orientierungslos; ähnlich wie in einer Wüste auf der Suche nach einer Oase. Ich konnte viele Dinge nicht verstehen, sowohl medizinische als auch zwischenmenschliche. Das ist zum Teil bis Heute so geblieben.

Je nach Krankheitsgrad geraten auch Angehörige von einem Tag auf den Anderen in einen großen Strudel. Nichts ist mehr so, wie es mal war. Der Tagesablauf ist plötzlich ein Anderer. Statt Alltag herrscht Panik. Und zicj Fragen rasen durch den Kopf.

Ich weiß gar nicht mehr wieviele Nächte ich am Computer gesessen hatte um Informationen zu sammeln. Immer und immer wieder. Oder um die Arztbriefe zu übersetzen, die ich am Anfang nicht verstanden habe. Auch suchte ich nach anderen Menschen, die in einer ähnlichen Situation waren wie ich. Besonders das gestaltete sich schwierig. Ich wollte wissen was da auf uns, auf mich zukommen würde um mich vorzubereiten. Ich wollte auf all den Irrsinn vorbereitet sein, der uns erwarten würde.

Ich suchte nach Orientierung. Immer und überall. Für mich. Für Simon und für unsere Kinder. Die Ärzte hielten sich oft bedeckt, besonders im letztem Jahr mit Kunibert. Nachdem klar wurde, dass der passende Stammzellspender nicht gefunden wurde und unser Held inzwischen sehr instabil war, wurden nicht nur die Worte der der Ärzte weniger, sondern auch die Anwesenheit von Freunden. Als wir es am meisten gebraucht hatten, wurde Beides immer weniger. Von Orientierung war keine Spur. Stattdessen wurde der Strudel immer größer. (Ich weiß, dass hier viele Menschen von Simons „Seite“ mitlesen, seid gegrüßt! Bevor hier aber vorschnelle Beurteilungen bzgl. meines Verhaltens, in welche Richtung auch immer fallen, möchte ich Euch fragen, wann ihr ihn eigentlich das letzte Mal gesehen habt? Oder wie oft? Oder woher ihr wisst was ich wann mit ihm besprochen hatte. Meinungen hat man schnell, was dahinter steckt sollte bei Unwissen vielleicht hinterfragt werden. Ihr wisst schon. Danke)

Diese permanente Suche nach etwas Greifbaren machte uns Beide irgendwann mürbe. Arztbriefe konnte ich irgendwann ohne Probleme lesen und verstehen. Blutwerte sowieso. Medikamentenzettel kannte ich auswendig und das Frisubin Cappuccino besser schmeckte als Fortimel wusste ich irgendwann auch. Ich wusste das Mandelmus wahres Zauberzeug ist und das medizinisches Cannabis in Brownies besonders stinkt. Der Port von Simon wurde zu meinem besten Freund und wie das Ding angestochen werden musste war schon längst kein Geheimnis mehr. Wir hatten einen anderen Alltag. Nicht unbedingt schlechter, da zwischen allen diesen Dingen durch aus auch das normale Chaos herrschte. Auch in dieser Zeit gab es unerzogene Hunde, nicht aufgeräumte Kinderzimmer und angebrannte Kuchen. Das war unsere Orientierung. Alltag im Irrsinn. Wir wussten dass sich die Welt weiterdreht. Wir konnten das nicht verhindern und wollten es auch gar nicht. Wir lebten soviel Alltag wie möglich und bauten die neuen Aufgaben irgendwie mit ein. Das klappte mal besser, mal weniger.

Unser Leben lief. und irgendwie diente es auch als Fixpunkt zur Orientierung. Und dennoch, ich wusste nie wie es Morgen sein wird. Ich sah die Veränderungen an Simon, ich spürte Krabbe Kunibert in jeder Minute. Das Krabbentier veränderte meinen Mann. Optisch. Mental. In jeder Hinsicht. Und jeden Tag ein Stückchen mehr. Das war scheiße, Orientierung brachte es trotzdem. Die Einsicht, dass es jetzt keine weg zurück gibt. Die Richtung war vorgegeben.

Ihr Liebem, solltet ihr Angehörige von schwer kranken Menschen in Euerm Umfeld haben, seht genau hin. Auch wenn alles relativ „harmlos“ aussieht, der Alltag zu laufen scheint und alles rund wirkt….Oft ist es das nicht. oft suchen sie nach einer Orientierung. Für das Leben und für die Zeit, die vor ihnen liegt. Alleine ist man kaum in der Lage eine bestialische Erkrankung auszuhalten. Allein gerät ein Mensch schnell in den strudel der Orientierungslosigkeit. Oft wissen „wir“ nicht wo oben oder unten ist. Die Grenzen verschwimmen und es Bedarf guter Freunde, die unterstützend zur Seite stehen. Dieser Strudel, die Suche nach etwas Fassbaren ist einfacher auszuhalten, wenn es Menschen gibt, die sich mit auf die Suche nach einem Wegweiser machen. Es gibt sie, die Oasen. Auch in der Krebswüste. Nur fällt es uns Angehörigen und den Patienten selbst, manchmal schwer diese allein auch wahrzunehmen. Oder zu finden. Oder Beides.

Ein Gedanke zu „Das Angehörigen ABC; O wie Orientierung

  1. Liebe Ines, du sprichst mir mal wieder aus der Seele. Ich habe auch immer gewartet, daß Matthias Besuch bekommt. Er selbst hatte nicht danach gefragt. Ich sah aber, wie er sich freute, wenn doch jemand kam. Und wenn es wegen eines Chemotiefs dann doch gar nicht ging, dann war das auch ok. Leider haben immer noch zu viele Angst vor dem Tod, ihm ins Angesicht zu schauen. Viele wollten ihn so in Erinnerung behalten, wie er war. Das ist hart für einen Sterbenden. Zum Glück aber gab es auch die, die kamen. Und mit denen er noch schöne Gespräche führen konnte.

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