Mein lieber Held, sag mir, wie geht es Dir? Ist es im Himmel auch so kalt geworden? Und grau? Oder scheint dort immer die Sonne.
In zwei Wochen bin ich dem Himmel ganz nah. Ich werde in einem Flugzeug sitzen und mit ganz vielen Menschen über Dich reden. Du wirst da sein, ich bin mir sicher. Auch wenn ich Dich nicht sehen kann. Weißt Du, im Moment geht es mir nicht so gut. Ich weiß gar nicht genau woran das liegt. Ich merke dass ich wieder deutlich vergesslicher geworden bin, viele Dinge aufschiebe um etwas mehr Anlauf holen zu können.
Der kleine Batman hat gesagt, dass er sich ein Telefon zu Weihnachten wünscht. Das würde er Dir dann in den Himmel schicken, damit wir telefonieren können. Die Einhornbändigerin aber meinte, dass es dort keinen Empfang gibt und es daher vermutlich nicht klappen wird. Das war okay für unseren Sohn, nun wünscht er sich Wolkenlücken und er möchte Seinem und Deinem Lieblingssänger einen Brief „schreiben“ und ihn darum bitten, dass er Dir zu Deinem Geburtstag ein Geburtstagslied singt. Wir werden sehen.
Geliebter Held, Du hast in dieser Woche wieder Jemanden in den Himmel bekommen, bitte begrüße Sie mit einer dicken Umarmung. Okay?
Irgendwie habe ich das Gefühl das ständig Jemand sterben muss. Oft auch aufgrund einer Krabbe, die in einem müden Körper wütete. Oft lese ich dann auch Dinge wie „Es war zu früh“ oder „xy Jahre sind kein Alter“. Mein lieber, wunderbarer Mann, ich verstehe diese Aussagen, ich dachte doch selbst so. noch immer kämpfe ich mit der Tatsache dass Du gegangen bist, dass Du nicht bei der Einschulung von Leo dabei sein konntest und dass Du niemals 40 Jahre alt sein wirst. In 2,5 Jahren werde ich älter sein als Du. Das ist nicht richtig. So gar nicht.

Aber mein Schatz, trotzdem will ich Dir sagen, dass ich nicht denke dass der Tod zu früh zu Dir gekommen ist. Irgendwann trifft es jeden von uns. Das ist ein Fakt, auch wenn Niemand gern darüber redet. Wichtig ist doch eher wie erfüllt das Leben vorher war, findest Du nicht? Als uns Deine Diagnose 2012 getroffen hast, haben wir Worte wie sterben, Tot, Lebenserwartung von wenigen Jahren zwar gehört aber nicht ernst genommen. Nach Deinem Rezidiv im Dezember 2016 sah unsere Einstellung doch plötzlich ganz anders aus. Überleg Dir, was wir alles tolles erleben durften. Als uns die Endlichkeit des Seins ins Gesicht geschlagen wurde, wachten wir auf. endlich. Wir lebten. Wir lebten so, so wunderbar. Kunibert war da, wir bauten ihn in unser Leben ein. Er begleitete uns und auch wenn wir wussten, dass diese Krabbe Dich uns wegnehmen würde, zeigte sie uns auch wie schön das Leben sein kann.
Wir haben geheiratet, spontan innerhalb von 6 Wochen planten wir die Party unseres Lebens. Wir fuhren in den Urlaub, ins Disney Land, an die Ostsee. Zur Not mit medizinischem Fachpersonal. Wir fuhren an Emmas 10. Geburtstag zusammen mit einer riesigen Limousine, Zum Frühstück gab es manchmal Eis. Wir feierten unseren Hochzeitstag jeden Monat, dateten uns und liebten. Jeden Tag. Wir stritten. Wir haben uns wieder vertragen. Das Vertrauen, was da besonders in den letzten zwei Jahren gewachsen war, war kaum zu beschreiben. Trotz der Tatsache, dass wir nichts besser konnten als uns gegenseitig exzessiv in den Wahnsinn zu treiben, wir lebten mehr als je zuvor.
Du bist gestorben mit dem Bewusstsein, wie schön das Leben sein kann. Vieles konntest und durftest Du nicht mehr erleben. Viele unserer Pläne können wir nicht mehr umsetzen. Unsere Bucketlist schafften wir nicht, versprachen uns aber dass ich sie weiterführen werde. Und Dir bei dem „Haken dran“ einen Luftballon schicken werde, Ich arbeite daran mein Schatz. Oder Seifenblasen.

Du bist gestorben, nachdem es Dir seit einiger Zeit wirklich wahnsinnig schlecht ging. Körperlich. Mental. Du fühltest Dich oft allein. Am Ende schaltete Dein Hirn ab und Aus meinem Mann wurde eine Hülle, die Kunibert in sich trug. Du bist in einem Moment gestorben, indem Du nicht mehr Du selbst gewesen warst. Du bist gestorben, als es nicht mehr auszuhalten war. Auch wenn Du nahezu alles vergessen hattest, glaube ich, dass Du bis zu Deinen letzten Atemzügen wusstest, wie schön das Leben ist. Trotz Kunibert. Meine letzten Worte an Dich waren „Schlaf gut, ich lieb Dich mein Held. Ruh Dich aus“ und genau das tust Du jetzt; Dich ausruhen. Du darfst das. Du sollst das.
Du hast nicht verloren mein Held. du hast gewonnen. Wir haben gewonnen. Ganz viel lebendige Zeit vor Deiner letzten Reise. Du bist gegangen. Krabbe Kunibert aber auch. Es war ein Befreiungsschlag, kein Aufgeben.
Mein geliebter Mann, heute fragte mich der kleine Batman wie eine Seele wohl aussieht.Die Seele ist dass, was einen Mensch ausmacht, oder? Demnach müsste Deine Seele glitzern, so stark sein, dass sie jeder Windböe standhalten kann. Sie hat große Muskeln und gleichzeitig einen weichen Kern (es tut mir Leid, ich weiß, dass Du das Wort weich nicht gern hörst). Deine Seele ist bunt, vielfältig und wird sich nur vor wenigen anderen Seelen entfalten. Sie wird anderen Seelen helfen und daher besonders starke Arme und Schultern haben. Außerdem meinte der kleine Batman heute, dass Du vermutlich zu viele Zwiebeln gegessen hast weil es so stürmisch war… ich weiß ja nicht, was Du so im Himmel treibst, aber Zwiebeln essen? Aber wer weiß das schon.
Liebster Held, heute feiert ein anderer Papaheld seine Abschiedsparty auf dieser Welt. Er hatte einen dicken, hässlichen und leider auch sehr starken Kobold in seinem Kopf. Demnach müsstet ihr heute eine Willkommensparty im Himmel feiern. Lasst es richtig krachen okay, ich glaube er ist ein ganz toller Kerl. Stoßt auf Eure Kinder an, auf Euer Leben und auf die Tatsache, dass ihr beide Sieger seid.

Mein liebster Schatz, ich habe viele Menschen kennengerlernt, die auch eine Krabbe oder eben einen Kobold in sich tragen, kennengelernt. Manche nicht nur online, sondern auch in Echt. Einige von ihnen sind inzwischen zu Dir gezogen. Nun habe ich Kontakt zu Denen, die wie ich zurückgeblieben sind. Das ist manchmal gar nicht so einfach. Auf der anderen Seite aber hilft es es mir und den Anderen zu bemerken, dass wir nicht alleine sind. Fast alle von „uns“ haben nahezu identische Gedankengänge, Fragen oder Gefühle. Es ist ein bisschen so wie verstanden zu werden.
Weißt Du? Mir fehlt Dein „weißt Du“. An manchen Tagen sitze ich auf einem unserer Schaukelstühle, dick eingepackt in meine Winterjacke. Ich starre in die Luft und sage zu mir selbst „Simon ist tot. Er ist richtig tot. Für immer“
Eigentlich weiß ich das. Natürlich weiß ich das. Und dennoch ist es hin und wieder so unfassbar, dass ich mir diese Tatsache immer wieder selbst bewusst machen muss. Ich sehe mir Deine Fotos an und kann es schier nicht glauben.
Ich denke trotzdem nicht, dass Du zu früh gegangen bist. Dir ging es so schlecht, wie noch nie zuvor. Deine Hilflosigkeit war für Dich selbst am schwersten zu ertragen. Du konntest die selbstverständlichsten Dinge nicht mehr selbst tun. Das was noch war, war kein Leben. Es war ein da sein und ich bin dankbar, dass Du es nicht noch weitere Monate oder Jahre hast aushalten müssen. Die letzten Wochen hast Du oft Musik in Deinem Ohr gehört. nur Du, sonst Niemand. Du konntest mir immer genau sagen, was Du grade hörst. Wenn ich bei Dir in der Klinik gewesen bin, oder zuvor zu Hause, wenn wir über all die Dinge redeten, die wir noch machen konnten; dann spielte Dir Dein Ohr immer „Time of my Life “ vor. Ich wünschte mir die ganze Zeit, dass diese Dinge, all die schönen Sachen in Deinem Hirn verankert bleiben. Und ich glaube, dass das tatsächlich geklappt hat. Bis zur letzten Sekunde.

Es war richtig zu gehen mein Held. Das einzig Wahre in diesem Moment. Wenige stunden nach dem Du gestorben bist ging die Sonne auf, es gab kaum eine Wolke am Himmel. Der Sommer war der heißeste seit vielen Jahren. Wahnsinnig viele Wolkenlücken. Du hast uns sehen können, du hast Die Wolken vertrieben.
Mein geliebter Ehemann, 12 Monate und 2 Wochen waren wir verheiratet. Fast 10 Jahre waren wir zusammen. Davon 6 Jahre mit Krabbe Kunibert. Es gab stürmische Zeiten zwischen uns. Aber mindestens genauso viele Stunden mit Sonne und buntem Streuseleis.
Es ist kalt draußen. Heute Morgen lag ein weißer Schleier auf den Wiesen vor unserer Tür. Ich klammere mich an meine Tasse, deren Inhalt mich hoffentlich wach macht. Manchmal ist diese müde Kälte kaum auszuhalten. Ich fühle mich überfordert und stelle so viele Dinge in Frage. Du bist nicht mehr da, ich kann Dich nichts mehr fragen. Ich kann Dir nichts abgeben.
All das sind meine Baustellen, nicht Deine. Für Dich ist der Ort an dem Du jetzt bist, der Bessere. Dir geht es dort besser. Ich konnte Dich nicht schützen. Niemand konnte das. Mit Deinem Einzug in den himmel hast Du Dich selbst geschützt. Ich bin stolz auf Dich. Rock den Himmel, mein Held. Lass es Dir gut gehen.

Ich habe diese Woche auch eine liebe, tapfere Heldin verloren…13 Jahre kämpfte sie mit ihrer ganz eigenen Krabbe und hat nun gewonnen. Es ist immer gefühlt zu jung, nie richtig und mehr als unfair. Aber sie ging, bevor es anfing richtig übel und elendig zu werden. Davor hatte sie sich immer gefürchtet. Das ist für mich ein Trost…Euch Alles Liebe! Alex