Wir haben inzwischen alle Feiertage einmal ohne Simon durch, Meinen und Leos Geburtstag sogar schon zwei mal.
Letztes Jahr hatte ich wenige Wochen nach Simons Tod Geburtstag. Das war der Tag, an dem er zeitgleich ins Krematorium gebracht wurde, erinnert ihr Euch? Der kleine Batman feierte 2 Monate nach Simons Himmelsreise seinen 6. Geburtstag. Darauf folgte bald die Adventszeit und die anderen besonderen Tage im Dezember. Das alles war zwischenzeitlich wirklich schwierig für uns. Aber machbar. Ich wusste dass es schwierig werden würde und stellte mich darauf ein. Es lief alles ein wenig ab wie in einem Film. Plötzlich waren wir zu Dritt. Geschenke und den Adventskalender packte ich allein. Wir haben Plätzchen gebacken und Weihnachtsmärkte besucht. Um uns herrum lief die Welt weiter und am liebsten hätte ich hin und wieder alle angebrüllt, warum sie einfach weitermachen konnten wie früher, wenn doch nichts wie früher war.
Dennoch vergingen diese Tage. gut sogar. Rückblickend betrachtet war die Angst vor diesen ganzen Tagen größer als die Realität am Ende wirklich war. Ich hatte keine Erwartungshaltung, weder an mich noch an diese Tage. Wir spielten die Hauptrolle in unserem eigenem Film und ich wusste, dass der irgendwann zu Ende sein wird.

Dieses Jahr erleben wir viele besondere Tage ein zweites Mal.
Leichter ist es nicht, im Gegenteil. Beim „Ersten Mal“ war alles noch sehr realitätsfern, es war neu, ähnelte einem Film und ich rotierte dass es für die Kinder trotzdem schöne Tage waren. Letztes Jahr an meinem Geburtstag machten wir ein Lagerfeuer. Dieses Jahr war es das erste Mal seit dem ich denken kann, dass ich meinen Geburtstag allein verbracht habe. Letztes Jahr war es klar, dass mein Stiefel am Nikolaus leer bleiben wird. Dieses Jahr wird es auch so sein. Dabei geht es gar nicht um Geschenke, vielmehr um die Leere, die da plötzlich und doch irgendwie völlig unerwartet ist.
Um uns herum sind viele vollzählige Familien. Auf den Weihnachtsfeiern der Kinder zum Beispiel. Oder wenn sich unsere Nachbarn in der Straße treffen um den Advent zu feiern. Alle sind weitesgehend vollzählig, freuen sich auf ein Fest mit ihren Liebsten. Ich verstehe das. Ich gönne es Ihnen von Herzen. Und dennoch ertrage ich dieses „Heile“ grade nicht. Dieses Jahr sind wir nicht mehr in einem Film, es ist zur Realität geworden, die uns zu dieser Zeit mit voller Breitseite ins Gesicht schlägt. Ich weiß dass diese Tage auch bei unseren Kindern triggern werden. Dann wenn sie sehen, dass die Väter der Nachbarskinder noch nicht auf einer Wolke tanzen. Abends werden wir zu Hause sitzen, alte Mailboxnachrichten von Simon abhören und uns wieder in Erinnerung rufen müssen, dass es ihm besser geht dort wo er jetzt ist.
Das zweite Mal ist oft das erste Mal in der Realität. Das war mir vorher in keinster Weise bewusst. So aber scheint es nicht nur mir zu gehen. Ich stehe in Kontakt zu anderen Hinterbliebenen. Fast alle von ihnen erzählen mir von ähnlichen Gefühlen. Die Wahrnehmung im zweiten Jahr ist oft eine Andere. Eine echtere. Eine „das ist jetzt wirklich so und es gibt kein zurück“ – Einstellung. Das ist manchmal nicht so einfach, auch wenn es ein weiterer Schritt in die richtige Richtung zu sein scheint; Trauerbewältigung.

Mich frustrieren Sätze wie „Jetzt ist es aber mal gut“, weil es das nicht ist. Noch weniger als letztes Jahr. Gleichzeitig kann ich mir gut vorstellen, dass Gedankengänge wie meine von Nicht-Betroffenen nur schwer nachzuvollziehen sind. Und eigentlich ist das auch gut so. Denn wenn sie nicht verstehen, warum es noch nicht gut ist, dann hatten sie bisher das Große Glück, etwas in dieser Art noch nicht fühlen zu müssen.
In der Zeit ohne meinen Mann stoße ich immer wieder auf Situationen, mit denen ich vorher nicht gerechnet hatte. Als mir bewusst wurde dass er bald sterben wird, dachte ich, dass wir nur irgendwie das erste Jahr schaffen müssten, danach wird es bestimmt ein Selbstläufer. Ich redete mir ein, dass es ähnlich wie bei einer Trennung sein wird, die unfreiwillig passiert. Wie als wäre der Partner nur gegangen aber noch lebend. Wie eine Art Liebeskummer. Irgendwie stimmt das auch, leider aber nicht ganz. Ich hatte viele Gedanken in meinem Kopf, und wie ich es schon sagte, oft war die Angst vor bestimmten Tagen größer, als es die Realität wirklich war.
Jetzt aber befinden wir uns in einem Monat, in dem wir uns von Tag zu Tag hangeln. Die Adventskalender der Kinder packte ich dieses Jahr das zweite Mal allein. Das ging eigentlich ganz gut. Die Geschenke besorge ich zum zweiten Mal allein. Das ist schon etwas schwieriger.
Ich habe oft das Gefühl nicht genug zu sein in diesen Momenten. So auch an den Geburtstagen der Kinder oder an Leos Einschulung. Ich muss mir vieles tausendmal durchrechnen,vorbereiten, emotional voll da sein und es versuchen so schön wie möglich zu machen.

Bisher habe ich es noch nicht geschafft, aus dieser Druckschleife hinauszukommen, die mir sagt „Du musst das jetzt gut machen“ weil ich an besonderen Tagen oder in einer besonderen Zeit irgendwie zwei Personen bin. Ich und der Teil, der auf einer Wolke sitzt. Letzteres stimmt natürlich nicht. Der Druck aber ist trotzdem da, irgendwie noch mehr als bei den ersten Malen.
Rational ist es kaum zu erklären. Und ich kam mir selbst schon total doof damit vor. Tröstend aber ist, dass es vielen anderen Hinterbliebenen ähnlich geht.
Daher ihr Lieben, aus eigener Erfahrung weiß ich, dass an vielen ersten und besondern Tagen gefragt wird, ob Hilfe benötigt wird. Oder es kommen Zuspruch und Aufbauversuche, Besuche und Ähnliches. Beim zweiten Mal nicht mehr, da stehen wir „Übriggebliebenen“ oft allein mit unseren seltsamen Gefühlen. Falls ihr also Hinterbliebene im 2. oder im 3. oder auch im 10. Jahr kennt, fragt doch vielleicht einfach nach ob sie schon Pläne für „ihre besondern Tage“ haben. Eines nämlich haben wir Alle gemeinsam; wir trauen uns selbst selten diese Gedanken anzusprechen. Weil wir selbst denken, dass es auch mal gut sein müsste. weil wir es selbst nicht verstehen und weil wir wissen dass Jeder von Euch sein eigenes Leben hat. Es ist nicht böse gemeint, wir sind nur überfordert.
. Und manchmal sind es die einfachsten Dinge für die wir auch im zweiten Jahr, auch bei zweiten Malen Dankbar sind; ein kurzer Besuch, ne Tasse Kaffee zu Zweit oder ein gemeinsamer Gang zum Zauberort. Eine Schulter zum anlehnen oder eine Hand, die unsere nimmt. Redet auch über Euch. Erzählt uns von Euch. Von Eurem Leben. Von Euren Problemen. Es gibt nicht nur uns Übriggebliebene. Das wissen wir.
Und trotzdem sind die zweiten Male oft nicht einfacher. Zumindest nicht bei mir. Ich weiß dass es besser wird. Ich weiß dass es mir besser geht als letztes Jahr um diese Zeit. Aber das Bewusstsein für besondere Tage ist stärker. Und das was ich mir am meisten wünsche? Rückhalt.
Ich hab das auch schonmal gehört..langsam müsste es mal gut sein, aber…solange er noch tot ist, ist es auch nicht gut- Basta…Jeder trauert auf seine Weise und niemand darf sich anmaßen, dies zu kritisieren. Ich wünsche Euch trotzdem ein schönes Weihnachtsfest, du machst das wirklich toll🤗
Meine Tochter sagt immer, das Schlimmste ist, Mama, dass es nie mehr gut wird……
Liebe Ines,
ich weiß, was Du meinst.
Das schlimmste war zu realisieren, dass nichts mehr Neues dazu kommt. Beim 1. Trauerjahr sind es wenigstens noch alle ersten Male ohne …
Irgendwann ist alles erinnert, alles bedauert, alles erinnert, alles verziehen, alles gefühlt, nur die Liebe bleibt mit dem Wunsch, es möge anders ausgegangen sein.
Ihr rockt den Laden. Er ist/wäre stolz auf Euch.
LG, Uli