Geliebter Simon

Es ist Dienstagabend. Grade habe ich meinen Koffer zu Ende gepackt. Jetzt steht er im Schlafzimmer neben Deinem. Dein Koffer ist immer noch nicht ausgepackt, aber immerhin steht er inzwischen bei uns. Bis vor einigen Wochen befand sich Dein Klinikkoffer in der Wohnung einer Freundin, ich wollte ihn nicht hier haben. In der Nacht, in der Du gestorben bist, habe ich alle Deine Sachen aus der Klinik mitgenommen. Naja, mitnehmen lassen.

Es war der 6. Juli 2018. Irgendwas nach 3 Uhr Nachts. Vor drei Stunden schlug Dein Herz ein letztes Mal. Zusammen mit meiner Freundin und zwei sehr guten Freunden von Dir stand ich vor dem Eingang des Krankenhauses. Der Ort, an dem nicht immer alle nett zu Dir gewesen sind. Es war streckenweise wirklich furchtbar dort. Nun stand ich da, zusammen mit den drei Menschen, die ebenfalls bei Deinem letzten Atemzug dabeigewesen sind. Ich war so dankbar in dieser Situation nicht alleine stehen zu müssen.

Weißt Du mein Held, als ich entschied, dass Du in den Himmel fliegen darfst habe ich viele Menschen angerufen, hysterisch ins Telefon geheult und ihnen gesagt, dass sie jetzt vorbei kommen sollten, wenn sie sich verabschieden wollen. Jetzt. Morgen würde es vermutlich zu spät sein. Oder schon in einigen Stunden. Viele kamen. Drei blieben sogar mit mir in der Klinik um Dich zu begleiten.

Obwohl in diesem Moment das geschah, was nie geschehen sollte, habe ich die Angst vor dem Tod verloren. Irgendwann wurde es Nachts, die Monitore zeigten, dass Du keine Tage brauchen wirst um Dich zu verabschieden. Dein guter Freund zog los und holte etwas zu Essen und zu trinken für uns. Die Schwestern und Ärzte auf der Intensivstation verhielten sich diskret und doch aufmerksam. Das Licht war gedimmt, damit Deine veränderte Hautfarbe weniger auffällt.

Wir saßen in diesem Krankenzimmer. Zu 5. Deine zwei Freunde, meine Freundin, Du und Ich. Die Situation wurde mit der Zeit entspannter. Wir redeten viel über Dich. Von Früher. von der Zeit ohne Kunibert. Wir spielten Dir Deine Lieblingsmusik vor, haben Dinge gegessen, die Du auch gemocht hattest. Wir haben gelacht und es war fast so, als würden wir uns einfach so treffen. So wie Du es immer gern gehabt hast. Nur dass Du dieses Mal geschlafen hast.

Um kurz nach Mitternacht bist Du in die Glasklare Nacht hinausgeflogen. Wir durften noch etwas bei Dir bleiben. Ein Foto habe ich in diesem Moment nicht mehr von Dir gemacht. Weil dass, was dort im Bett lag nur noch eine Hülle vom dem war, was Dich ein Mal ausgemacht hatte.

Plötzlich stand ich da, in der Nacht vor der Klinik. In der Eingangshalle tanzte Irgendjemand. Dieser Anblick brachte mich zum Schmunzeln. Wir standen dort, Jemand holte Deine Sachen, die ich nicht mitnehmen wollte. Meine Begleiter bat ich nur darum mir Deinen Ehering aus der Tasche zu fischen. Den wollte ich. Mehr nicht.

Am Mittwoch; also Morgen werde ich in einem Flugzeug sitzen. Neben mir der Koffer, der vorher neben Deinem im Schlafzimmer stand. Mein Ring am Finger, Deinen an einer Kette in meiner Hosentasche.

Geliebter Held, ich werde dem Himmel ganz nah sein und doch meilenweit von Dir entfernt. Ich werde Wolken sehen, Deine aber nicht finden.

Im Moment fühle ich mich verloren in mir selbst. Es ist wie ein Ertrinken, obwohl ich schwimmen kann.

Lieber Simon, kurz bevor ich am 6.Juli 2018 die Klinik verlassen habe, fragte ich Dich wie ich das nun alles schaffen soll, So ganz ohne Dich. Auch wenn Krabbe Kunibert Dich schon lange so sehr vereinnahmt hatte, warst Du immer noch da. nicht richtig irgendwie. Aber zumindest konnte ich Dich berühren, mit Dir über die wildesten Dinge philosophieren. Du warst keine 12 Stunden ein Palliativpatient. Im Moment aber komme ich mir wie einer vor. Es gibt Tage, an denen mein Hirn im Nebel liegt. Grau, schwer und nicht durchsichtig. Alles was ich seit über einem Jahr versuche dagegen zu unternehmen scheint nur kurz zu funktionieren. An manchen Tagen bin ich so müde mein Held. Und ich bin absolut ahnungslos, wie ich das alles ohne Dich schaffen soll. Das Heute, das Morgen, das Übermorgen.

Und dann gibt es aber auch die Tage, an denen ich genau weiß, dass das alles klappen wird. Wie; das weiß ich auch dann nicht. Aber ich weiß dass es gut wird. Dieses ambivalente Bla Bla in meinem Kopf strengt mich an und normalerweise würde ich Dich um Rat fragen. Das geht nun nicht. Fragen tue ich Dich trotzdem, eine Antwort bekomme ich nicht.

Für mich ist es im Moment fast unvorstellbar, dass Du seit 17 Monaten nicht mehr da bist. Das ist eine lange Zeit und zwischenzeitlich dachte ich, dass es endlich dauerhaft „okayer“ ist, dass ich zurecht komme. Ich komme zurecht, nur hab ich mir das irgendwie einfacher vorgestellt.

Morgen werde ich im Flugzeug sitzen. Dem Himmel ganz nah. Am Donnerstag werde ich von Dir erzählen. Mit Deinem Ring in meiner Hand und meinen Hochzeitsschuhen an den Füßen.

Drück mir doch die Daumen, dass meine Stimme nicht versagt, okay?

Weißt Du? Ich lieb Dich. Rock den Himmel mein Held.

3 Gedanken zu „Geliebter Simon

  1. Ich habe nicht meinen Mann, aber vor ein paar Jahren meinen neugeborenen Sohn verloren. Meine Chefin meinte damals es ist wie mit großen schwarzen Löchern im Boden. Am Anfang sind sie riesig und man sieht sie nicht kommen und fällt immer hinein. Dann werden die Löcher weniger tief und man komm schneller hinaus. Aber sie sind immer noch oft auf deinem Weg. Später werden die Löcher weniger. Aber weg gehen sie nie wieder. Man sieht sie dann aber immer öfter kommen und kann am Rand stehen bleiben und in die Tiefe sehen. Wenn man möchte.
    Mir hat dieses Bild sehr geholfen mich in die Zukunft zu bewegen. Ich folge euch seit einiger Zeit aber erst kurz vor Simons Befreiung. Ich finde du machst deinen Weg bewundernswert und du gibst den Mensxhen die Hoffnung auf ein „danach“ welche sich trotz aller Umstände lohnt. Nein. Es ist nicht einfach, nicht schön, nicht leicht. So ist der Weg. Aber es gibt Hoffnung.
    Ich danke dir dafür das du uns teilhaben lässt an deinem weg der Trauer. Es hilft anderen zu Hoffen darauf das es ein Leben mit der Trauer gibt. Liebe Grüße

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