Das Angehörigen ABC; P wie psychische Erschöpfung

Liebste Angehörige, die die ihr jeden Morgen aufsteht, unterstützt, pflegt, da seid und unterstützt. Die, die eigentlich selbst auf dem Zahnfleisch gehen, es viel zu selten zugeben oder sich Hilfe holen. Ich verneige mich. Aufrichtig. Ehrlich.

Aus eigener Erfahrung weiß ich wie anstrengend Euer Leben ist. Daran denken tut kaum Jemand, ihr irgendwann auch nicht mehr. Und genau da beginnt ein Strudel, der wahnsinnig gefährlich werden kann. Wird ein naher Angehöriger pflegebedürftig, lebt aber weiterhin zu Hause, seit ihr es, die den Job der Pflege übernehmen. Wir holten uns keinen Pflegedienst ins Haus, weil Simon es nicht wollte. Weil ich irgendwann das Gefühl hatte, dass es gar nicht so anstrengend war und ich es sowieso am Besten können würde. Das hatte nichts mit Arroganz zu tun, viel mehr mit der Tatsache, dass ich mir einbildete unseren Helden am besten zu kennen und das zu tun was er sich wünschte. In ein Hospiz wollte er nicht. Eine Pflegektraft zu Hause ebenso wenig. Ihr kennt das, oder? Die Tatsache, dass Simons Hirn überhaupt nicht mehr dazu in der Lage war diese Situation abzuschätzen kennt ihr sicher auch.

Ich verneige mich vor pflegenden Angehörigen, die es schaffen ihre Grenzen wahrzunehmen. Die, die sich Hilfe holen bevor sie selbst am Ende sind. Ich verneige mich auch vor den Jenigen, die das alles alleine stämmen. Oft Jahrelang. Das ist so unfassbar.

Mein Mann war „nur“ 6 Monate pflegebedürftig zu Hause. Erkrankt war er ziemlich genau 6 Jahre. Allerdings mit vielen Höhen und einigen Tiefen. Die letzten 1,5 Jahre waren die schwierigsten.

Ich wurde zur Krankenschwester. Ich tat Dinge, von denen ich keine Ahnung hatte. Ich wurde eingewiesen in Dinge, von denen ich noch weniger Ahnung hatte. Irgendwann war ich mir halbwegs sicher in dem, was ich da tat. Die Angst aber etwas falsch zu machen war mein ständiger Begleiter.

Liebe Angehörige, wenn euer pflegebedürftiger Lieblingsmensch bereits stark geschwächt ist und sich kaum mehr Jemand zu Euch traut, seid es oft ihr, die den Frust des „Patienten“ abbekommen. Vermutlich geschieht dies nicht das erste Mal. Und nicht erst dann, wenn es zur Pflegebedürftigheit kommt. Und ich weiß ganz genau, dass es egal ist ob Euch Euer Hirn versucht einzureden, dass er/sie es nicht so meint. Ihr nehmt es persönlich. Weil es verletzt. Und einmal mehr fragt ihr Euch ob ihr hättet etwas besser machen können.

Auch wenn es nicht hilft; hättet ihr nicht. Ihr macht alles richtig. Manchmal ist es wie mit Kindern. Diese flippen auch hauptsächlich dort aus, wo sie sich am sichersten fühlen.

Wenn ihr zu Hause pflegt, werdet ihr vermutlich nicht mehr arbeiten gehen. Selbst krankgeschrieben oder gekündigt. Ihr habt oft schlaflose Nächte, weil ihr nicht wisst, wie ihr den Kühlschrank füllen sollt. Möglicherweise kommt ein gelber Brief ins Haus. Über die Argumentation mit dem Pflegegeld und Krankengeld lacht ihr wahrscheinlich genauso laut wie ich. Auch hier ein kleiner Hinweis, es gibt Beratungsstellen, die weiterhelfen können. Soziale Einrichtungen und Krebststiftungen.

Ihr bastelt Fahnen, damit der Rollstuhl nicht ganz so blöd aussieht. Ihr stämmt oft Gewichte, singt wieder Einschlaflieder für einen Erwachsenen oder beantwortet deren Post. Ihr Seid Ansprechpartner für Ärzte, Familie und Freunde. Das alles macht ihr, weil es selbstverständlich erscheint.

Ist es aber nicht. Ich habe Menschen kennengelernt, die diesen „Job“ Jahrelang machen, ohne Aufsicht auf Besserung. Ich habe gesehen und selbst gefühlt wie müde ihr seid. Wie überfordert und abgeklärt was das eigene Leben und die eigene Gesundheit angeht. Selbst wenn etwas an Euerm Körper nicht in Ordnung zu sein scheint, geht ihr entweder oder viel zu spät selbst zum Arzt. Und auch hier kann ich Euch aus eigener Erfahrung sagen, dass war das dämlichste was ich gemacht habe…

Ihr seid Müde, euer Akku ist leer und trotzdem steht ihr jeden Morgen wieder auf. Jeden Tag. Sieben Tage die Woche. Kein Wochenende. Kein Urlaub.

Ihr seid die Helden des Alltags. Immer. Auch dann, wenn ihr Euch selbst eingesteht, dass ihr Unterstützung braucht. Holt Euch Verbündete, Pflegedienste und Ansprechpartner ins Boot. Hört auf Euern Körper. Bleibt bei Euch und vergesst Euch nicht. Es gibt Kurzzeitpflegen, so dass ihr das Haus auch mal über Nacht verlassen könnt. Es gibt gesprächsgruppen für Angehörige, damit ihr wisst, nicht alleine zu sein.

Ich tat das alles nicht. Weil ich von Vielem gar nicht wusste. Weil es Niemanden gab, der von diesen Dingen gesprochen hat. Angehörige sind nicht im Blickfeld, besonders schlimm ist das, wenn es sich um angehörige Kinder handelt.

In den Stunden, in denen meinen Mann verstorben ist wurde ich plötzlich gefragt wie es mir geht. Wie es den Kindern ginge. Und überhaupt, wie anstrengend das eigentlich alles ist. Für mich war es zu spät. Ich war einfach nur noch müde und bin mit gefühlten 200 kmH gegen eine Betonwand gefahren. Die Heldenkinder waren müde, erschöpft von den letzten Monaten bzw. Jahren. Sie sahen Dinge, die sich einige Erwachsene nicht ansehen wollten. Sie fühlten schon lange vor Simons Tod Dinge, die kein Mensch fühlen möchte.

Nicht wenige Angehörige entwickeln im Laufe der Zeit eine schwere Depression, einen Burnout, eine gravierende psychische Erschöpfung oder gar Psychose.

Diese Tatsachen werden nach wie vor unterschätzt. Es gibt kaum Ärzte, die Angehörigen von möglichen Anlaufstellen erzählen. Es gibt logischerweise kaum andere Menschen, die diese Erschöpfung oder andere Folgeerscheinungen verstehen. Erst recht nicht, wenn sich diese auch lange nach dem möglichen Tod des Lieblingsmenschen hinausziehen.

Bisher gab es einen Menschen, der ausgesprochen hat, was vermutlich auch Andere denken. „Du hast mir zu viele Päckchen. Ich schaff das nicht mit Dir“  In diesem Moment zuckte meine Auge, aber das war das erste Mal Ehrlichkeit.

Liebe Angehörige, egal was ihr macht. Ihr seid unfassbar stark. Wenn das andere Menschen nicht aushalten können, sind sie zu schwach, haben Angst oder what Ever. Ihr seid stark, aber bitte versucht nicht unsichtbar zu werden. Werdet laut, denkt an Euch, seht in den Spiegel und sprecht Euch selbst Komplimente zu, wenn es sonst Niemand macht. Seid selbstbewusst, hebt den Kopf und versucht unbedingt den Tarnmantel abzulegen.

Ich durchlebte diesen Pflegewahnsinn nicht so ewig wie viele von Euch. Ihr seid Vorbilder und zeigt der Welt zu was Menschen in der Lage sind. Macht Euct dass nur immer wieder selbst bewusst.

Chapeau liebe pflegenden Angehörigen. Ihr rockt das Ding.

Ein Gedanke zu „Das Angehörigen ABC; P wie psychische Erschöpfung

  1. Liebe Ines, ich danke dir herzlich für deinen Post. Dieser ist nämlich DOPPELT wichtig, weißt du warum? Weil er sich nämlich auch an die ANGEHÖRIGEN der PFLEGENDEN ANGEHÖRIGEN richtet. Also der Aufruf geht auch an die, deren Eltern oder Geschwister in der Pflege eingespannt sind. Und zwar nicht erst, wenn da jemand droht zusammanzubrechen. Sondern bereits dann, solange sich augenscheinlich noch das Kraft-Aufwands-Verhältnis im grünen Bereich befindet. Und so jemand bin ich. Meine Mutter (83) pflegt praktisch im fulltime Job ihre schwerst demenzkranke und pflegebedürftige Schwester (89) . Morgens kommt die Diakonie, nachmittags ab und zu jemand für eine Stunde Abwechslung. Meine Mutter klagt nie, managed alles. Sie scheint nach außen in Top Form. Aber ob da auch der Schein trügen kann? Ich bin zwar 600 km entfernt, mein Bruder Gott sei Dank vor Ort, aber dein Post hat mich sensibilisiert. Ist es nicht auch Fakt, dass gerade auch die Nicht-Klagenden sich vielleicht ständig überfordern bis der Kipp-Punkt erreicht ist? Ich danke dir für deine ehrlich offenen Erfahrungsberichte . Damit bezweckst du, dass Personen – wie ich- die Situation neu hinterfragen, ( sowie auch die Optionen der Unterstützung trotz größerer räumlicher Distanz neu prüfen ) und rechtzeitig für andere die Reißleine ziehen können. LG Barbara

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