Giftblätter

Heute gab es Zeugnisse. Früher nannte ich die immer Giftblätter. Viele nannten die so, zumindest die Jenigen, die wie ich eher im Mittelfeld geschwommen sind. Es war ein ewiges hoffen auf Noten, die vorzeigbar gewesen sind. Meine Versetzung war nie gefährdet, unwohl fühlte ich mich trotzdem jedes Mal. Das allerdings änderte nichts daran, dass sich meine Motivation etwas für die Schule zu lernen in Grenzen hielt.

Meine Schule beendet habe ich nicht in der Kleinstadt aus der ich eigentlich komme. Sondern in Berlin. Hier wohnte ich ohne meine Familie, pubertärer Wahnsinn, ihr versteht schon. Das ich noch weniger tat erklärt sich von selbst. Meine Angst vor den Noten aber blieb . Meine Angst vor den Zeugnissen sowieso. Meine beste Freundin war leistungsstärker als ich. Das setzte mich immer unter Druck. Dieses ewige Vergleichen von mir. Ich machte mich selbst fast irre damit. Das Abi hab ich am Ende dann doch geschafft. Während des Studiums und der Ausbildung danach fiel mir das Lernen leichter, ich war motivierter. Die Noten besser. Ich verglich mich nicht mehr mit Anderen. Je entspannter ich mit mir selbst war, desto mehr stieg mein Leistungsniveau.

Heute gab es nun wieder diese „Giftblätter“, nicht für mich. Aber für die Einhornbändigerin. Der kleine Batman hat ebenfalls sein erstes Schulhalbjahr rum, die Lehrerin ist mehr als zufrieden. Zeugnisse zum Halbjahr aber gibt es in seiner Jahrgangsübergreifenden Klasse erst ab Klasse 3. Zuvor gibt es nur „Giftblätter“ am Ende des Schuljahres. Um den druck von den Kindern zu nehmen. Guter Ansatz. Auch die Tatsache dass es zunächst keine Noten gibt. Aber… Am Ende des Schuljahres bekommen die Erstklässler ein mehrseitiges Zeugnis, alles Mögliche ist einzeln aufgeschlüsselt. Zensuren gibt es nicht, dafür aber viertel-, halb-, dreiviertel- und ganze Kreise. Ihr versteht, so ganz ohne Bewertung geht es wohl doch nicht.

Zurück zur Einhornbändigerin. Bei uns zuhause gibt es keinen Notendruck, auch dann nicht wenn eine Note jenseits von „gut“ dabei ist. Gelernt wird selbstverständlich trotzdem und regelmäßig.  Aufs Lernen bestehe ich auf gute Noten nicht. Gut ist aber auch so relativ. Für das eine Kind kann eine 3 oder 4 wahnsinnig gut sein, für ein anderes wäre das der Weltuntergang.

Die Einhornbändigerin vergleicht sich mit anderen Kindern. Manchmal ist sie die „Stärkere“ andere Male nicht. Warum sollte ich dies noch unterstützen und sie ebenfalls mit irgendwem vergleichen? Oder kontrollieren ob sich ihre Leistungen mit meinen Erwartungen decken? Das macht sie selbst schon viel zu oft.

Trotz dieser Entspannten Einstellung sind die Schulleistungen im letzten Jahr erheblich besser geworden. Die ganze Einstellung des großen Mädchens zur Schule hat sich verändert. Ins Positive. Dementsprechend sieht das aktuelle Zeugnis auch aus. Supergut. Kein Weltuntergang. Ganz im Gegenteil. Ich bin unfassbar stolz.

Und auch bei der Einhornbändigerin scheint es etwas ähnliches zu sein, wie es bei mir früher der Fall gewesen war. Das große Kind vergleicht ihre schulischen Leistungen noch immer mit denen der Anderen. Aber deutlich weniger und qualitativ anders. Sie stellt fest dass es ganz unterschiedliche Kinder in ihrer Klasse gibt. Einige haben gute Noten, andere nicht. Und wieder andere erreichen womöglich das Klassenziel nicht. Aber jedes dieser Kinder hat noch so viel mehr zu erzählen als die Tatsache welchen Notendurchschnitt es hat. Es gibt mehr, was diese Kinder ausmacht.

Seitdem sich meine Tochter selbst den druck etwas rausgenommen hat, seit dem geht sie entspannter in die Schule, beteiligt sich und die Noten wurden besser.

Sogar die Motivation zu Hause etwas für die Schule zu tun ist gestiegen und bedarf aktuell keiner langen Diskussion mehr.

Zusätzlich zum Zeugnis gab es dieses  Jahr übrigens diese Urkunde dazu. Ich denke, das sagt doch schon alles, oder?

Der kleine Batman lernt selbstverständlich auch zu Hause, er übt Lesen. Mittlerweile tut er das oft sebstgesteuert, ich bin nur zum unterstützen da. Straßenschilder, Einkaufszettel und Ähnliches findet er dabei übrigens deutlich besser als Bücher.

Ihr Lieben, egal wie das Zeugnis eurer Kinder ausgesehen hat. Egal wie viel wert ihr auf gute Noten legt. Vergesst nicht, dass hinter diesen Zensuren Euer Kind steht. Ein Kind, dass sich selbst nicht nur durch Schulleistungen definieren sollte. Also tut ihr es am besten auch nicht. Wenn ein Kind eingeschult wird, stehen ihm mehr Schuljahre bevor als dass es auf der Welt ist. Die Schulzeit dauert lange. Die Schule ist ein Ort zum Lernen. Aber es kann ein Ort sein um Freundschaften zu knüpfen, neue Hobbys kennen zulernen und ähnliches. Bildung ist wichtig. Sehr wichtig. Um so wichtiger aber ist die Tatsache, dass nicht schon Grundschülern die Lust auf Bildung, Ausbildung und Lernen madig gemacht wird. Ich glaube dass die ersten Schuljahre prägend sind. Wenn diese Zeit bereits von viel Druck und übermäßige Gedanken an Schulnoten geprägt ist, wird die Lust aufs Lernen vermutlich irgendwann vergehen.

Ein Gedanke zu „Giftblätter

  1. Ja, da gebe ich dir Recht. Die ersten Schuljahre sind prägend. Meine Eltern wollten, dass ich gute Noten habe, aber sie haben nie Druck gemacht. Sie sagten immer nur, du lernst nicht für uns, sondern nur für dich. Und sie hatten Recht. Zusätzlich hatte ich auch eine furchtbar liebe Lehrerin. Sie war streng, aber so förderte mich auch. Ich bin ihr heute noch sehr dankbar dafür. Weil ich weiß, dass es auch in eine ganz andere Richtung hätte laufen können. 🙂

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