Das Angehörigen ABC; R wie Radiergummi

Ich habe Euch bereits erzählt, dass von Außen betrachtet oft gesagt wird, dass eine schwere Erkrankung eines Partners die Beziehung zusammenschweißt. Oder dass es verurteilt wird, wenn der gesunde Part seine Sachen packt und geht. Es scheint fast schon eine romantische Vorstellung von dem zu geben, was eine tödlich verlaufende Erkrankung mit einem Paar machen kann. Es gibt genaue moralische Vorstellungen, die es zu erfüllen gilt.

Ich aber fühlte mich oft überlastet und habe Dinge gesagt, die ich hinterher gern mit einem Radierer wieder gelöscht hätte. Oft hätte ich gern gesagte Worte gelöscht und mit schöneren überschrieben.

Simon und ich waren nicht immer nett zueinander obwohl wir wussten, dass wir immer aufeinander bauen können. Unser gegenseitiges Vertrauen war da und besonders zum Ende so stark, dass wir nie daran zweifelten den falschen Weg zu gehen. Wir unterstützten uns gegenseitig. Auch er mich, obwohl Simon so krank war. Ich ärgere mich, dass diese Unterstützung durch meinen Mann überhaupt nötig war.

Es gab Abende, an denen ich gern einen riesigen Radierer rausgeholt hätte. Weil ich unfair war. Zu Simon. Zu den Kindern. Ich war überlastet und machte Simon ab und an dafür verantwortlich. Ich sagte ihm das nie, bin mir aber sicher, dass es kaum zu ignorieren war. Das sind die Tage, die ich gern gänzlich wegradiert hätte. Besonders dann, wenn ich mir immer wieder ins Bewusstsein rief, dass der einzige Mensch, der für meine Gefühlswelt verantwortlich ist, ich selbst bin. Nicht Simon, nicht der Krebs und die Kinder schon gar nicht.

In den 6 Jahren mit Krabbe Kunibert, dem multiplen Myelom hat sich unsere Beziehung natürlich verändert. Aber nicht weil mein Mann Krebs hatte und wir immer wussten, dass ich ihn überleben werde. Sie hat sich verändert, weil wir an unserer Beziehung gewachsen sind. Und dennoch liebten wir sehr lebendig, streiten konnten wir gut. Vertragen in der Regel aber auch. Und trotzdem gab es in diesen 6 Jahren, in denen ich von der Krebserkrankung meines Mannes wusste immer wieder diese Momente, in denen ich mich fragte was wohl wäre, wenn ich Simon nie kennengelernt hätte. Wie wäre es mir ergangen? Es gab Situation, kurz nach dem der kleine Batman auf die Welt gekommen ist. Er war ein Schreibaby, 16 Stunden weinen stellte kein Problem dar. Bei der Einhornbändigerin wurde zeitgleich Epilepsie diagnostiziert und Simon war zunächst ewig in der Klinik zur Hochdosischemo und danach auf der Reha.

Von der Reha schickte er mir oft Bilder auf mein Handy. Erzählte von Theaterbesuchen und Wassergymnastik, von lustigen Gruppenabenden und gutem Essen. Neben mir lag ein 4 jähriges Mädchen, das Halluzinierte, weil es den ersten Medikamtenversuch nicht vertragen hatte. An meiner Brust nuckelte ein Säugling, der es nicht duldete irgendwo abgelegt zu werden. Ich versuchte mich daran zu erinnern wann ich eigentlich das letzte Mal duschen war.

Ich wurde neidisch. Neidisch auf Simon. Weil er in der Reha war. Und ich hier, allein, mit fettigen Haaren, wunden Brüsten und zwei Kindern die wahnsinnig viel forderten. Die Tatsache, dass mein Mann schwer krank war blendete ich gekonnt aus.

Das sind Dinge über die nicht gesprochen werden. Wenn mein Kopf wieder bei klarem Verstand war, ärgerte ich mich. Mir waren diese Gedanken peinlich und ich hätte sie am liebsten gelöscht. Worauf sollte ich neidisch sein? Da gab es nichts. Mein Hirn wusste das zu jeder Zeit, nur manchmal  schlichen diese Gedanken darin umher.

Einen Radierer gab es nicht. So sehr ich ihn mir auch gewünscht hätte. Ich konnte weder Gedanken, noch Worte oder Taten löschen. Ich konnte nur versuchen es besser zu machen. Was da aus mir sprach war weniger der „echte Neid“, viel mehr war es eine Überforderung, gepaart mit Frusttration und einer geballten Ladung Angst 

Ich war auch nicht immer nett zu meinem Umfeld. Bis Heute nicht. Es gibt Ginge die überfordern mich heute noch. Bevor ich in die Situation komme, Gesagte Worte oder ausgeführte Taten wegradieren zu wollen, nehme ich lieber Abstand.

Ihr Lieben, viele Dinge, die „wir“ Angehörigen sagen. Noch mehr Dinge, die wir tun; viele von diesen Dingen bereuen wir später. Wir würden gern einen riesigen Radierer nehmen und alles löschen. Das geht nicht und vermutlich ist es auch gut so. Aber genau diese Schwierigkeit kann dazu führen, dass ein „Melde Dich, wenn etwas ist“, von Angehörigen nicht angenommen werden. Klare Ansagen wie „ich komme später vorbei, Du musst nicht öffnen wenn Du nicht magst“, klappen besser.

Ich möchte viele Dinge einfach wegradieren. Die Zeit mit Simon allerdings nicht. Weil ich die Zeit mit ihm nicht missen hätte wollen. Und, auch wenn es schwer zu glauben ist, glaube ich, dass mich die Zeit mitt ihm zu einem besseren Menschen gemacht hat, wenn auch mit einigen Kratzern.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.