Ein Komisches Wort oder? Ich finde aber dass es auch auf die Meisten der nahen Angehörigen passt, erst recht wenn sie pflegende Angehörige sind. Das Wort „Saufkumpane! Habe ich irgendwann mal irgendwo gehört. Es beschreibt Menschen, die zusammensitzen, vermutlich ordentlich und wenig zaghaft trinken. Dabei reden sie über alles möglich oder auch nicht. Kann man gut finden, muss man aber nicht. Je mehr Alkohol fließt, desto höher die Warscheinlichkeit , dass über Dinge gesprochen wird, die sonst eher verstummen. Oder aber diese Leute bauen sich für einen kleinen Moment eine kleine, ganz eigene Welt auf bevor sie dezent schwankend nach Hause torkeln um am nächsten Tag mit Kopfweh wieder im richtigen Leben gestrandet zu sein. So in etwa ist meine Interpretation von diesem Wort.
Angehörigen geht es oft ähnlich, allerdings brauchen sie nicht immer Alkohol dazu. Eine schwere Erkrankung, die zur Pflegebedürftigkeit und später zum Tod führt, lässt manche Dinge verschwimmen. Sie werden anders wargenommen oder gar ignoriert. Ein von Außen betrachten ist manchmal nicht mehr möglich.

Auch „wir“ Angehörigen bauen uns zusammen mit dem Erkranktem eine andere Welt auf. Möglicherweise ist die sogar mehr Schein als Sein. Und das ist gut so, weil es die Situation besser ertragen lässt. Weil es die Verzweiflung abwimmelt. Wenigstens für einen kleinen Moment. Die eigene Überforderung wird unterdrückt.
Simon und ich wollten zu unserem ersten Hochzeitstag ein Wochenende nach Prag fahren. Das hatten wir auf unsere Bucketlist geschrieben und zwei Tage in unserer Wunschstadt sogar geschenkt bekommen. Alles war gebucht, wir hielten lange an der Idee fest. Daran änderte sich auch der rapide schlechter werdende Gesundheitszustand des Helden nichts. Wir wollten so gern dort hin, weil wir ahnten, dass unser erster Hochzeitstag (also der erste große, der nach einem Jahr) gleichzeitig auch unser letzter sein wird. Ich organisierte medizinisches Personal. Wir waren guter Dinge. Unser Held bekam Aussetzer, das Hirn versagte immer mehr, ab und an erkannte er unsere Kinder nicht mehr. Simon konnte nicht mehr laufen, kaum stehen und sitzen war auch doof. Aber Prag sollte sein, unsere Bucketlist und so. Kleine Zweifel blendeten wir sofort aus. Wir redeten darüber, was wir alles tun wollten, wenn wir in Prag angekommen sind. Zur Karlsbrücke, die kleinen Gassen ansehen und unbedingt mit einem Schiff fahren.

Es kam anders. Zwei Wochen vor unserem Hochzeitstag ging Simon in die Klinik. Ich sagte alles ab. An unseren Hochzeitstag besuchte ich ihn in der Klinik. Er war inzwischen so verwirrt, dass er nicht mehr wusste dass wir verheiratet waren. Stattdessen machte er mir mehrfach einen Antrag und bastelte mir einen Ring aus dem Trinkröhrchen eines Frisubin Tetrapacks. Wir stoßen mit Cappucino Frisubin auf unsere baldige Hochzeit an. Simon redete von Kindern, dass er gern welche hätte. Er vergaß, dass er bereits Vater war. Also sprachen wir über Kindernahmen. Ich meinte, dass Emma, Leonard und Flora tolle Namen wären. Simon und ich einigten uns darauf. Mein Mann, der mir grade einen Heiratsantrag machte und sagte dass im Hintergrund der Song „Time of my live“ lief (leider hörte nur er diesen Song, aber der Gedanke war wirklich schön) hielt meine Hand und sagte wie sehr er mich liebte. Sein Hirn blendete alles andere aus. Ich mit ihm. Pflegerische Tätigkeiten waren schon längst normal geworden, auch in der Klinik. Simon dachte, dass das eben so ist. Normal und so. Dass das mal anders war, daran erinnerte er sich nicht. Ich war dankbar.

Wir redeten über absurde Dinge. Sein Hirn war abgeschalltet und ich ließ mich von der Welle mitnehmen. Wir konstruierten eine neue Welt und jeden Nachmittag torkelte ich benommen nach Hause in dem Bewusstsein wieder mit der Realität konfrontiert zu sein. Wir wurden zu Saufkumpanen, wir ertränkten uns in schönen Ideen. Für diese Momente war es genau das Richtige. 2 Wochen später starb mein Mann. Ein Körper, der nicht mehr wusste, dass er mein Mann war. Ein Körper, der vergessen hatte, dass er ein Familienvater war.
Wir waren Saufkumpanen, auch schon lange Zeit zuvor zu Hause. Wir redeten über Dinge, die wir vorher nicht thematisierten. Es ging nicht nur um Krankheitsspezifische Dinge, oft um viele andere Sachen. Wir vertrauten uns mehr denn je und jeder wusste dass „sein Gejeimniss“ beim Anderen gut aufgehoben ist. Auch hier bauten wir uns unsere eigene Welt, zu der nur wir vier Zugang hatten. Wir wurden zu Saufkumpanen, weil unsere gegenseitige Ehrlichkeit manchmal so schonongslos war, dass es fast weh tat. Aber so wussten wir immer, dass es Ehrlich gemeint war, was das Gegenüber da so sagte. Immer. Das funktionierte solang, bis das Heldenhirn langsam aufgab, dann rutschten wir immer mehr in den Aufbau der „neuen Welt“ ab. In einer Welt, in der zuerst nur der Held lebte, mich aber nach und nach hineingelassen hatte. Diese „Welt“ war gespickt von dem Irrsinn der Metastasen im Heldenhirn und den Wünschen, die Simon hatte. Ich spielte zunächst mit. Später lebte ich es. Bis zu letzt.
Wir wurden ehrlicher zueinander als sonst, emotionaler. Schöne Dinge, unschöne. Wir heulten nie so viel zusammen, wie in dieser Zeit. Wir wurden aber auch gehässiger zueinander. Keine Emotionen blieb vor dem Anderem/der Anderen verborgen. Wir waren Saufkumpanen.

Unsere Beziehung rutschte in eine andere Ebene, schleichend und doch deutlich spürbar. Wir fühlten uns mehr denn je für einander verantwortlich. Und sorgten gegenseitig dafür, dass das Gegenüber am Abend wieder sicher ins Bett kommt. Wir reichten am nächsten Morgen das Asperin gegen den Realitätskater. Wir wurden festere Verbündete in unserer eigenen, kleinen Welt.
Ich bin mir sicher, dass die (pflegenden) Angehörigen genau wissen wovon ich spreche, oder? Dabei spielt es keine Rolle um welches Monster von Erkrankung es sich handelt. Saufkumpanen sind/ waren „wir“ alle. Die Beziehung zu einem schwerkranken Lieblingsmenschen verändert sich, da muss auch gar nix schön geredet werden. Sie wird anders, nicht schlechter aber so ganz, ganz anders. Und manchmal vermissen „wir“ Angehörigen Jemanden, der das versteht. Der für uns da ist und uns daran erinnert, dass auch der beste Saufkumpane ab und und an eine Art Abstinenz bitter nötig hat. Auch wenn diese nur einige Stunden lang dauert.

Danke❤das ist eine sehr passende Bezeichnung und wieder ein wundervoller Text❤🎈🎈🎈
Danke für diesen wunderbaren Text!