Trauma oder auch; Das Monster, dass sich nicht abschütteln lässt

In den letzten Tagen sehe ich es immer öfter. In den Medien. Auch eine Freundin, die für uns einkaufen war stand damit vor der Tür. Menschen tragen es in der S-Bahn und in Österreich ist sie zum Einkaufen bereits Pflicht.

Der Mundschutz. Von vielen belächelt. Andere halten ihn zurecht für nötig. Zumindest um die Menschen um sich herum zu schützen. Mich aber lähmt dieser Anblick. Ich habe noch keine genäht, obwohl ich es vermutlich könnte. Und da wir im Moment eh nicht in Supermärkten, öffentlichen Verkehrsmitteln oder sonst wo unterwegs sind, hoffe ich dies auch weiterhin vermeiden zu können.

Der Anblick dieser Dinge bereitet mir Bauchschmerzen, sie machen mich sprachlos und manchmal auch Regungsunfähig. Nicht weil ich Angst vor Corona habe, sondern weil ich diese Dinger schon so oft in meinem Leben getragen habe. Selbst die die Kinder erinnern sich bei dem Anblick von Menschen mit Mundschutz daran. „Das ist doch wie früher, da haben wir mit den Masken versucht Papa nicht anzustecken“

Wenn Simon eine schlechte Phase hatte, in der Klinik war oder in der Kita/ meinem Job irgendwas im Umlauf war, trugen wir diese Mundschutzteile. Oder Simon ging woanders hin, wenn wir arg krank waren. Die Kinder erinnern sich daran, es versetzt sie aber nicht in eine Schockstarre, Ich bin stolz darauf.

Ich erinnere mich an viele Tage und zum Schluss auch Nächte in der Klinik. Immer mit diesem Mundschutz. Ich erinnere mich daran immer zu organisieren wer in dieser Zeit die Kinder betreut und ich erinnere mich auch an mein schlechtes Gewissen, dass ich nicht immer zeitgleich überall sein konnte. Mit dem Mundschutz verbinde ich den Tod meines Mannes. Mit diesem Mundschutz verbinde ich die furchtbarste Zeit in unserem Leben, eine Zeit in der ich manchmal keine Kraft mehr zum Aufstehen hatte.

Es sind wie kleine Flashbacks in meinem Hirn, wenn ich plötzlich viele Menschen mit diesen Dingern im Gesicht sehe. Sofort stehe ich gefühlt wieder in einem Krankenhaus und versuche Dinge zu verhindern, die nicht zu verhindern waren. Ich sehe mich auf der Intensivstation sitzen, ich sehe meine letzte Unterschrift für meinen Mann vor mir. Wenn ich dazu noch das Desinfektiktionsspray rieche, steigert es diese Erinnerungen.

Der Geruch von Sterilium und der Anblick dieser Masken bringt mich in eine Zeit zurück, die unser Leben ins Wanken, fast schon zum Einstürzen gebracht hat. Ich sehe mich 2012 mit einem dicken Babybauch das erste Mal auf der Onkologie sitzen. Ich spüre die Angst und das Wissen, dass sich unsere Welt irgendwann zu drehen aufhören wird.

Die Diagnose ist inzwischen fast 8 Jahre her. Das erste Mundschutztragen begang. Heute vor drei Jahren war die Aktion zusammen mit der DKMS in Planung. Um den passenden Stammzellspender für Simon zu finden. Wenn ich nicht mit der Organisation beschäftigt war, kümmerte ich mich um die Kinder, ging arbeiten oder war bei Simon in der Klinik. Meine Hände rochen nach Desinfektionsmittel und in meinem Gesicht klebte der Mundschutz.Heute vor zwei Jahren lag Simon auch in der Klinik. Mit starken Schmerzen, Fieber und dem Versuch einer einer neuen Therapie. Auch hier waren meine ständigen Begleiter das Desinfektionsmittel und die Maske vor dem Gesicht.

Nachdem Simon verstorben war , brachte ich zuerst sämtliche Medikamente, Desinfektionsmittel und Mundschutzdinger weg. Ich wollte so etwas nie wieder im Haus haben. Für mich waren es Relikte aus einer Zeit, in der ich mich fast aufgelöst habe. Eine Zeit, in der ich vor Angst, Wut und Schmerz nicht schlafen konnte.

Jetzt sind sie überall zu sehen. Es ist überall zu riechen. Und ich werde von Flashbacks heimgesucht. Manchmal sind es auch nur ganz kleine Dinge. Wenn ich bis Abends in der Klinik bleiben konnte um bei Simon zu sein, besonders in den letzten Tagen, habe ich ihn oft zum Essen überredet. Wir hatten dann immer einen Deal. Er trinkt seinen Kalorienschake  und ich esse ein paar Gurken von seinem Essenstablet. Diese Gurkenscheib schob ich immer unter meinem Mundschutz durch. Gurken sind nun aber das liebste Gemüse des kleinen Batman, ich schneide hier im Moment ständig welche an. Schon der Geruch löst in mir einen Brechreiz aus. Das Kind bekommt sie natürlich trotzdem.

Es ist wie ein Trauma, dass grade wieder aufzubrechen scheint. Kein Trauma weil mein Mann gestorben war. Sondern ein Trauma, weil alles wie es schien plötzlich nicht mehr da sein sollte. Unsere ganze Welt strauchelte seit der Diagnose. Seit dem starken Rezidiv 2016 noch deutlich mehr. Ein Trauma, weil ich ;ach ich weiß auch nicht.

Ich fühle mich manchmal in eine Zeit zurückgebracht, in der ich die Kontrolle verloren habe. Wir hatten sie verloren. Ich wusste seit dem Rezidiv, dass sich alles, was wir uns bisher geschaffen hatten plötzlich auf der Kippe stand. Dass dieses Gefühl von Angekommen sein von einem Gefühl der Panik abgelöst worden ist.

Mir geht es nicht gut. Ich fühle mich zurückversetzt und kann das weder mit meiner Therapeutin besprechen noch mit Freunden in live. Dieses Gefühl mit dem ganzen Mist allein da zu stehen hat mich wieder, auch wenn es jetzt doch etwas ganz Anderes ist.

6 Gedanken zu „Trauma oder auch; Das Monster, dass sich nicht abschütteln lässt

  1. Posttraumatisches Belastungssyndrom. Wenn einen die Trigger aus der aktuellen in die alte Realität zurückziehen. Das, was Soldaten erleben, nachdem ein Kampf längst beendet ist. Und eben andere Menschen auch. Pass auf Dich auf! Ich hoffe, dass Du Anker im Hier und Jetzt findest, die stärker sind als die Trigger. Ich habe das Antriggern nur zweimal erlebt, aber es war heftig. Wie die Gefühle, die Angst, die Sorgen auf einmal wieder so dominant waren, wie schwierig es war, in das Hier und Jetzt zurück zu finden…

  2. hallo ines,

    ich versteh deine panik, deine ängste, dein trauma.
    aber:
    masken bedeuten auch liebe, verständnis, leben. ja, auch leben. klar, diese dämlichen klinikmasken mit ihrem gestank sind sicherlich nicht das passende, um auch an leben zu denken. ich empfehle dir, selbst masken zu basteln. bastel sie aus t-shirts, aus altem stoff, möglichst bund. den kleinen batman eine batman-maske, der einhornbändigerin eine einhornmaske mit viel glitzer, und dir eine maske, wie sie dir gefällt. diese masken schützen leben.
    ich bin selbst kein grosser masken-fan (und das, obwohl ich zur risikogruppe gehöre). leider hann ich nicht besonders gut nähen, sonst hätte ich mir schon lange eine eigene aus meinem reichhaltigen fun-t-shirt-fundus (ich kaufe im jahr so zwischen 10 und 15, obschon die schränke ziemlich voll sind) genäht. so bleiben mir nur die masken, die ich im geschäft bekomme, aber ich weiss, dass ich damit leben schützen kann, leben erhalten kann. nicht meines (das ist mir relativ egal), sondern das leben der anderen.
    und mal ehrlich: eine batman-maske, oder eine einhornmaske mit viel glitzer wären ja auch ziemlich unique, oder? 🙂

    liebe grüsse aus wien,
    norbert schulz

  3. Hallo unbekannterweise,
    ich bin irgendwie gerade über Twitter hierher gestolpert. Jemand hatte dort auch schon geschrieben, dass die Masken insbesondere Menschen mit Krebserfahrungen triggern – daran hatte ich vorher gar nicht gedacht. Aus welchen Gründen auch immer haben wir sie nicht getragen, als meine Mutter krank war – anderer Krebs, andere Zeiten, wasweißich. Woran ich mich aber noch erinnere: an den Geruch.
    Sie roch so seltsam, und ich weiß nicht, ob es der Krebs ist oder die Chemo, ich habe später immer wieder mal diesen Geruch an Menschen wahrgenommen und mir ist kotzübel geworden. Das wäre heute noch so, ich habs aber Jahre nicht mehr gerochen. Vermutlich die Chemo von damals, das ist jetzt 30 Jahre her.
    Was kann ich Dir als Trost dalassen? Leider wohl gar nichts. Nur das Wissen, dass hier auf der anderen Seite jemand Deine Zeilen gelesen hat und mitgefühlt hat und hofft, dass Du Deinen Weg findest. Dass es Empathie gibt und vielleicht neben den beschissenen Viren und Krebs auch Liebe in der Luft schwirrt, irgendwo. Dich wird sie hoffentlich immer mal wieder einfangen.
    Liebe Grüße aus Berlin
    Inka

Schreibe eine Antwort zu SaWeOhGrAntwort abbrechen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.