Wenn ihr Kinder habt, kennt ihr das vielleicht. Es steht eine unangenehme Untersuchung, eine Impfung oder eine Blutentnahme an. Nachdem dies geschehen ist haben manche Kinderärzte eine Art Zauberglas, Darin sind entweder kleine Figuren, Gummibären oder Salzstangen. Oder es folgen Sätze wie „ich weiß dass es piekst, aber es gibt Schlimmeres“
Während der langen Zeit der Erkrankung meines Mannes, in der Zeit kurz nach seinem Tod fühlte es sich manchmal ähnlich an. Als die Erstdiagnose 2012 genannt worden war, waren alle Anwesenden im Raum Mäuschen still, der Held, ich und auch die drei Ärzte und die Krankenschwester. Irgendwann aber hatte der eine Arzt oder Medizinstudent genug von der Stille und meinte „ja, ich weiß, es ist eine furchtbare Erkrankung. Aber es hätte auch viel schlimmer kommen können. Nach der ersten Röntgenaufnahme vom Torax dachten wir, dass es sich um Lungenkrebs handelt“
Ein anderer Mann in Weiß stieß ihn darauf kurz in die Seite, vermutlich ein Zeichen dafür die Klappe zu halten. Wir sollten also froh sein, dass es sich um eine tödlich verlaufende Form von Blutkrebs handele, die nicht heilbar war anstatt um Lungenkrebs. Zwei schwere Grunderkrankungen miteinander zu vergleich bzw. aufzuwiegen erschien mir fast etwas makaber. Es wirkte fast wie ein Trostversuch, obwohl ich bis heute nicht ganz verstanden haben, wie der funktionieren sollte.

Immerhin schlug der erste Therapiedurchlauf an, die Hochdosischemo hat Simon ebenso gut vertragen. Es folgten ein paar gute Jahre, in den unser Held Symptomfrei blieb.
Ende 2016 ging alles von vorne los, Krabbe Kunibert, das Multiple Myelom war rasant „gewachsen“ immerhin gab es nun kein aufwiegen mit schlimmeren Erkrankungen, denn alle wussten worum es sich handelte. Die Suche nach einem Stammzellspender begann . Diese Zauberzellen sollten Simon nach diversen Chemoblöcken helfen noch ein paar Jahre geschenkt zu bekommen. Immerhin wollte er die Einschulung seines Sohnes noch miterleben. Die Suche scheiterte. „Das wäre die beste Therapie gewesen, auf der anderen Seite gibt es inzwischen viele Alternativen“, sagte ein kleiner, etwas älterer Mann im weißen Kittel. Dieser Satz sollte uns aufbauen, trösten oder was auch immer. Die Stimme des Arztes aber sprach eine andere Sprache als die Worte, die durch seinen Mund geformt wurden.
Es folgten einige Therapieversuche, alle scheiterten. Und jedes Mal „Kein Problem, wir versuchen Plan xyz, das wird schon“ Erst nach dem vorletztem Versuch dümpelte es langsam auch bei den Ärzten,dass das Ende möglicherweise doch anders aussehen wird als erhofft. Inzwischen wurde von Studien gesprochen, von Tablettenchemos die dem inzwischen im Koma liegendem Mann via Magensonde zugeführt werden könnte. Ein OP um eine dauerhaftes Drainagesystem in den Brustkorb zu legen, weil dieser erneut mit Wasser gefüllt war, war auch im Gespräch.

Ich hatte immer öfter das Gefühl, dass aus den „wir überlegen uns einfach etwas anderes“ Vorschlägen, die manches mal wie Trostversuche kommuniziert wurden, eine Art Versuchsreihe geworden war. Mein Mann zum Versuchskanninchen. Oder die Ärzte in Weiß wollten sich irgendwann selbst trösten und hofften auf ein „Überleben um jeden Preis“. Das dieses Überleben aber nur noch mit Hilfe einer Beatmungsmaschine und dicken Schläuchen in der Brust, Bettlägerig und im Koma möglich gewesen wäre,kam erst wahnsinnig spät zur Sprache.und auch erst nach mehrfacher Nachfrage,
Ich lehnte irgendwann alles ab weil ich mir sicher war, dass Simon all diese Versuche und all das was da auf ihn zugekommen wäre nicht gewollt hätte. Den Ausgang kennt ihr. „Aber immerhin war der Magen in Ordnung, den haben wir heut Morgen gespiegelt“ , sagte der Mann im weißen Kittel wenige Stunden bevor mein Mann verstarb. Abgesehen davon, dass ich mich gefragt hatte wer dieser Untersuchung eigentlich zugestimmt hatte, fragte ich mich was mir diese Information sagen sollte. Immerhin wusste ich nun, dass mein Mann, der offensichtilich in wenigen Stunden versterben wird, einen gesunden Magen hatte
Nachdem sein Tod festgestellt worden war, sagte mir der Arzt dass es ihm Leid täte dass er es nicht mehr bis zur Einschulung unseres Sohnes geschafft hätte aber immerhin konnte er trotz der kolossalen Erstdiagnose die Geburt des Kindes vor knapp 6 Jahren miterleben. Ich rechnete damit, dass dieser Mann mir gleich eine Salzstange reicht. Oder ein Glas Wasser. Dann meinte er noch, dass es besser so für meinen Mann wäre, ich richtig entschieden hätte und er nun nicht mehr leiden müsste. Wie gesagt, kurz zuvor waren da vom gleichem Menschen noch ganz andere Worte zu hören.
Wenn ein Lieblingsmensch stirbt ist es scheiße. Auch dann wenn es absehbar war. Auch wenn er schwer krank war. Auch wenn ihr die Behandlung habt einstellen lassen. Auch wenn ihr wisst, „dass es besser so ist“. Es tut trotzdem weh, schrecklich weh. Der Gedanke, dass dieser tote mensch, der da vor Euch liegt nun nicht mehr leiden muss hilft im ersten Moment einfach nicht. Später ja, aber in diesem Moment rauschen diese Worte an Einem vorüber. Mich machten diese Worte wütend. Weil ich es im Grunde selber wusste. Es aber trotzdem nicht wahrhaben wollte.

Mir ist natürlich bewusst, dass sich medizinisches Fachpersonal nach einem missglücktem Therapieversuch etwas anderes überlegen wollen/müssen/sollten. Ich verstehe auch dass sie Dinge sagen in der Hoffnung die Angehörigen oder den Patienten selbst trösten und aufbauen zu können. Und dennoch waren mir manche Vergleiche manchmal zu suspekt, manche wohlwollenden Worte zu skurril, manche Therapieversuche zu viel.
Ihr Lieben, wenn einer euer Lieblingsmenschen schwer erkrankt ist oder gar gestorben ist und ihr während eines Arztgespräches denkt „Was will der eigentlich von mir“ ,weil versucht wird das Schlechte durch Vergleiche oder Alternativen weniger schlecht aussehe zu lassen, ihr das aber ganz anders empfindet…dann traut Euch dies auch auszusprechen.
Als sich Simons Stammzellspender nicht finden hat lassen und ein Plan Be her musste, der deutlich weniger Erfolgschancen hatte und am Ende sowieso nicht funktionierte, hätte ich mir ein „ja, das ist Mist.“ Gewünscht, dass wenigstens ein paar Minuten hätte im Raum stehen bleiben können bevor es um Alternativen ging. Oder anstatt „Plan A hat nicht geklappt , macht nic es gibt ja noch Plan B oder C oder D“ hätte ich ein „es tut mir Leid, dass es nicht geklappt hat. ‚Pause‘ Jetzt wird es Zeit fir Plan B“ oder so. Natürlich wusste ich nach Simons Tod, dass es vermutlich der bessere Weg gewesen war. Immerhin habe ich die Behandlung einstellen lassen. Trotzdem minderte es meinen Schmerz in diesem Moment nicht. So gar nicht. Ich hätte mir ein ehrliches Es tut mir Leid für Sie“ gewünscht.

Sprecht mit Euern Ärzten oder mit dem Pflegepersonal. In Kliniken gibt es oft Psychologen, die auch für die Angehörigen da sind. Insofern sie Zeit haben, aber das ist nochmal ein anderes Problem. Traut Euch ganz klar auszusprechen, dass ihr keinen Trorst braucht. Sondern Wertschätzung für Eure aktuelle Emotionale Achterbahn, für Eure Angst. Es sind kleine Worte, die einem Satz ein ganz anderes Gefühl entlocken können.
Eine Spritze tut weh. Immer. Daran ändert auch das Gummibärchen danach nichts. Über den Schmerz der Spritze kommt man hinweg, auch ohne Salzstangen oder dem wissen dass es Schlimmeres gibt. Darf man aber kurz über diesen Schmerz jammern, bevor man sich für ein Goodie bedanken muss, ja dann fühlt sich ein Mensch vermutlich etwas ernstgenommener.