Trauerphasen; in welcher steckst Du? In welcher stecke ich? Teil 2/4

Im letzten Blogpost zu diesem Thema erzählte ich Euch von der ersten Trauerphase, bzw davon wie Verena Kast diese beschrieben und ich sie an mir selbst wahrgenommen hatte.

Heute erzähle ich Euch von der „zweiten Phase“; Aufbrechende Emotionen.

In dieser Zeit kommt ein wahnsinnig großes Wirr Warr an Gefühlen zum Ausbruch. Schmerz, der sogar körperlich gespürt werden kann. Andere Hinterbliebene haben mir erzählt, dass sie solange weinten, bis sie sich übergeben mussten. Ich hingegen hatte ständig wahnsinnige Kopfschmerzen, Herzrasen und einen Druck auf der Brust. Je nach Persönlichkeit des/ der Hinterblieben können es aber auch Gefühle von Ohnmacht, Wut, Zorn oder Angst sein. Manche verfluchen den Rest der Welt und fragen sich, warum es unbedingt ihnen geschehen musste. Ich war wütend auf mein Umfeld. Irgendwann nämlich drehte sich deren Welt einfach weiter. Supermärkte öffneten wie immer, die Adventszeit kam und alle taten das Gleiche wie jedes Jahr. Ich hätte am liebsten alle angeschrien, ob sie denn gar nicht wüssten was geschehen war und warum sie nun einfach weiter machen konnten.

Ich war auch sauer auf Simon. Dass er überhaupt krank geworden ist, dass er seine f***ing (sorry) Patientenverfügung nicht ausgestellt hatte und ich daher für ihn entscheiden musste. Ich war sauer welch Aktenchaos er mir hinterlassen hatte, obwohl er doch immer sagte, wie strukturiert er war. Ich war sauer auf mich. Weil ich sauer auf Simon war. Weil ich das Gefühl hatte nicht genug gewesen zu sein. Nicht stark genug für ihn. Nicht stark genug um gegen Krabbe Kunibert zu siegen. Ich war sauer auf mich weil ich nicht immer nett zu ihm gewesen bin, weil ich manchmal einfach nicht mehr konnte. Ich war sauer weil ich ihm beim sterben hab zusehen müssen, ohne dass mich Jemand gefragt hatte ob ich das überhaupt will. (natürlich wollte ich bei ihm sein, das aber hielt mich nicht davon ab, trotzdem sauer zu sein) Ich war Neidisch auf Andere, die einfach so komplett geblieben sind und es vermutlich als selbstverständlich ansehen. Ich war sauer, weil ich mich zu einem jammerigen Ekelpaket entwickelte.

Die Schuld, die sich aus all diesen Gedanken entwickelte hielt mich lange Zeit fest umarmt. Ich war schon fast gefangen darin. Ich stellte mich, uns und überhaupt alles ständig in Frage. Die Frage ob ich genug bin oder war ist bis Heute eine Frage, die für mich nicht einfach zu beantworten ist.

Für mich half irgendwann nur ein Mechanismus, den ich in den Jahren mit Kunibert und auch davor bereits gut gelernt hatte; Unterdrücken. Ablenken, mich in etwas völlig anderes stürzen. Hauptsache ich muss das nicht immer fühlen.

Nach Gesprächen mit anderen Hinterbliebenen weiß ich, dass auch viele andere Hinterbliebene diesen Schalter umlegen. Sie unterdrücken, weil sie es schlicht weg nicht aushalten. Weil es ihr Umfeld irgendwann nicht mehr aushält. Genau dass aber kann zu schwersten Depressionen , Burnout oder anderen Dingen führen. Ich bin da leider ein Beispiel. Meiner Meinung ist dies auch ein Grund warum mir das zweite Jahr deutlich schwerer gefallen ist als das Erste nach dem Tod meines Mannes. Ich war viel unterwegs, an Feiertagen lenkte ich mich ab, spielte schon fast eine Rolle.. Ich spielte Jemanden, die ich gern hätte sein wollen. Jemand der auf die Frage „wie geht’s Dir“ ehrlich antwortet. Jemand der stark ist, sich genug fühlt und ohne elende Schuldgefühle durch die Gegend läuft. Im ersten Jahr überdeckte ich viele unschöne Emotionen,führte neue Rituale ein um es bloß anders zu haben als früher. Ich versuchte durchgehend meine Kinder in ihrer Trauer zu unterstützen, weil ich vor nichts mehr Angst hatte, dass sie mir „unter der Hand wegrutschen“ Während die Heldenkinder so ihre Trauer ausleben konnten und zunehmend stabiler wurden, verdrängte ich meine. Im zweiten Jahr klappte das so nicht mehr. Alle besonderen Tage waren einmal durch. Im zweiten Jahr wirkten diese besonderen Tage echter, wirklicher. Ich war in der Realität angekommen.

Laut Kast dauert diese Phase unterschiedlich lang. Ein paar Wochen bis hin zu Monaten. Bei mir zog sich dies tatsächlich über das gesamte erste Trauerjahr denke ich.

Depressionen entwickelte ich meiner Meinung nach aber nicht weil mein Mann gestorben war. Vielmehr kam ich mit diesen Schuldgefühlen nicht klar. Diese eine, ganze bestimmte Unterschrift, die ich tätigte um Simon ziehen zu lassen. Die Unterschrift, die dafür sorgte, dass die Behandlung eingestellt werden musste. Aber eben auch die Frage ob ich genug gewesen bin und die Tatsache, ihm Monatelang beim Sterben zuzusehen taten ihr Übriges. Sein war am Anfang für mich die Bestätigung versagt zu haben. Rational betrachtet ist das natürlich völliger Unsinn.

Was aber kann in dieser Phase helfen? Hier spreche ich jetzt tatsächlich nur von mir. Zu allererst, auch wenn es im ersten Moment wirklich schmerzhaft war….Gefühle zulassen. Alle Gefühle. Schreien, Heulen und nochmal schreien. Mir hat unser Boxsack auch wirklich sehr geholfen, wenn ich das Gefühl hatte innerlich zu zerreißen. Einmal ganz tief in das Selbstmitleidbad eintauchen, auch ein Zweites und ein Drittes Mal. Ich glaube, dass es nur nach einem ausgiebigen Bad darin überhaupt möglich ist wieder aufzustehen. Ehrlich. Um aus diesen Wellen wieder herauszukommen half es mir oft zu reden. Über meine Wut, über meine starken Selbstzweifel und vor Allem über Simon. Das tat ich bei meiner Therapeutin. Und bei guten Freunden. Einige haben dieses Erzählen irgendwann nicht mehr ausgehalten und gingen. Das ist okay. Ich verstehe das. Aber diese Dinge haben mir geholfen aus dieser Phase am Ende ausbrechen zu können.

Falls Freunde oder Angehörige von Euch einen Lieblingsmenschen verloren haben…Versucht da zu sein. Auch schweigend. Seid einfach da, bietet Hilfe an ohne dabei verbal übergriffig zu sein. Schafft ihr das nicht, kommuniziert dies und verschwindet nicht einfach im Nirvana. „Wir“ sind nicht blöd, wir wissen dass wir anstrengend sind. Versucht nicht abzulenken, auch wenn es schwer fällt. Ein „das Leben geht weiter“ ist eben so deplatziert wie  „jetzt sind aber schon xyz Wochen/Monate rum“ das wissen „wir“ alles selbst. Ich weiß dass es oft gut gemeinte Hilfestellungen sein sollen. Aber Ablenken, verschieben oder unterdrücken führt eher zum Gegenteil. Die Trauerwelle verschiebt sich um mit noch mehr Wucht zurückzukommen. Es ist unfassbar schwer für das Umfeld mit Hinterbliebenen in dieser Phase umzugehen, daher brechen soziale Kontakte nicht selten ab. Wiegesagt, „wir“ bemerken durchaus, dass wir etwas irre, andersartig und dauerjammerig sind. Wir wissen das wirklich, können das aber in diesem Moment nicht ändern. Wir machen das nicht um Andere zu ärgern. Versprochen. Ich mochte Menschen, die einfach da waren, manchmal gar nichts sagten sondern nur neben mir gesessen haben. Ich glaube, dass diese Menschen absolut überfordert mit mir waren, aber intuitiv genau das Richtige taten ohne groß darüber nachzudenken.  An dieser Stelle-à Danke an Peggy!, Danke an Sven, Danke an Diana, Danke an meine Eltern. Danke für Euern Mut.

Ihr, die uns aushaltet seid allesamt Helden. Ihr, die das Trauern aushalten seid sowieso welche. Ich weiß wie unverstanden man sich manchmal fühlt. Wie aber soll ein Mensch dieses derbe, furchtbare Gefühl verstehen können, wenn er es selbst noch nicht erlebt hat? Außerdem…Jeder trauert anders. Jeder Mensch ist anders. Ich bin dieser Phase entwachsen, manchmal kommen einige Gedanken wieder hoch. Dieses Schuldding du so. Aber es ist besser geworden. Es wird besser, versprochen.

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