2 Jahre Held im Himmel

Heute ist der 4. Juli 2020. Es ist 12.20 Uhr. Ich bin allein, weil das große Kind Urlaub bei der Bayernoma macht und der kleine Bruder grade zum Übernachtungsbesuch abgeholt worden ist. Grade habe ich auf die Uhr gesehen und denke an die Zeit vor zwei Jahren zurück.

Der 4.Juli 2018 war ein Mittwoch. Nach Deinem letzten Hoch am Wochenende liegst Du nun noch verwirrter, kaum ansprechbar und mit einer Atemdruckmaske im Bett. Ich sitzte neben Deinem Bett und starre ich Dich fassungslos an. Mehrfach musste ich dein Zimmer verlassen, weil es nach Tod gestunken hat. In einigen Minuten werden Deine Eltern kommen. Diese hatte ich gestern angerufen, und meinte dass sie unbedingt vorbei kommen sollten, weil ich nicht wüsste wie lange es noch möglich sein wird. Du hattest ein paar klare Momente an diesem Tag, die meiste Zeit aber warst Du gefangen in einer Art Zwischenwelt. Irgendwo zwischen dem hier und dem Ort, den Du schon ganz bald kennenlernen wirst. Irgendwann musste ich los, unsere Kinder von der Kita und der Schule abholen. Als ich die Klinik an diesem Tag verlassen hatte, wusste ich genau dass sich die Klinik im Laufe des Abends, der Nacht noch melden würde.

Genau so geschah es auch. Um 22.56 Uhr klingelte mein Telefon, Dein arzt war dran und sagte dass Du gleich intubiert werden sollst. Ich stimmte zu, mit dem Wissen, dass Du nie wieder einen eigenen Atemzug tun wirst. Der Arzt meinte, dass Du mich sprechen möchtest, er hielt Dir das Telefon ans Ohr. Während ich all den Trubel um Dich herum bereits hörte, die Monitore piepsten, viele Leute redeten und warteten vermutlich auf ihren Einsatz,hast Du versuchst ein paar Worte aus Deinen Lippen zu pressen. Du wusstest nicht was um Dich geschieht. Ich hab Dich in dem Glauben gelassen, dass Du nur etwas zum Schlafen bekommen wirst und dass es Dir damit Morgen deutlich besser gehen würde.. Ich hab Dir eine gute Nacht gewünscht und wundervolle Träume. Wir legten auf. Den Rest der Nacht saß ich auf unserem Sofa uns starrte die Wand an.

Heute ist der 5 Juli 2020. Der 5 Juli 2018 war ein Donnerstag. Um 11 Uhr saß ich im Arztzimmer der Intensivstation. Ein Arzt erklärte mir die geplante Operation. Ein Drainagesystem in deiner Brust, eines das da dauerhaft bleiben sollte war geplant. Für ein paar Monate mehr Lebenszeit. Im Krankenhaus. Auf der IST. An der Beatmung. Du vermutlich mit Schmerzen und immer schlimmer werdenden Halluzinationen. Ich unterschrieb das nicht. Stattdessen unterschrieb ich ein Din A4 Blatt auf dem jede Menge andere Sachen standen, aber im Grunde nichts anderes bedeuteten, dass Deine Behandlung eingestellt wird. Ich wollte das so. Weil ich sicher war, dass Du es auch gewollt hättest. Ich rief Deine Schwägerin und ein paar Freunde und Familie an. Ich sagte am Telefon, dass ich grade dabei wäre Dich umzubringen, und dass sie sich alle noch von Dir verabschieden könnten.

Deine Schlaf- und Beruhigungsmedikation wurde vertieft. Die Sauerstoffzufuhr durch den Tubus nach und nach verringert. Deine Freunde, Deine Eltern, alle kamen um Dich ein letztes Mal zu sehen.  Zwei Freunde von Dir, eine Freundin von mir und ich blieben. Bis zur Nulllinie am 6.7.2018 um 0.04 Uhr. Wir saßen mitten in der Nacht im Krankenhaus. Neben Dir im Koma. Auf der Intensivstation. Einer deiner Freunde ging am Abend einkaufen. Wir saßen dort. Um Dich herum, haben gegessen, getrunken, über und mit Dir geredet. Teilweise haben wir Tränen gelacht. Dann wieder Tränen geheult. Ich spürte eine tiefe Dankbarkeit in diesen Minuten und Stunden nicht allein gewesen zu sein.

Heute ist der 6. Juli 2020. Der 6 Juli 2018 war ein Freitag. Vor zwei Jahren an diesem Tag um 0.04 Uhr hat sich Deine Brust ein letztes Mal aufgebäumt. Heute vor zwei Jahren habe ich um 2 Uhr die Klinik verlassen; ein letztes Mal. Du musstest noch einige Tage dort bleiben. Im Kühlhaus und im Sarg liegend. Den Gedanken fand ich gruselig. 5 Tage später wurdest Du von unserem Bestatter abgeholt. Ich durfte Dich nochmal sehen. 2 Wochen nach Deinem Tod haben wir Deinen Sarg fürs Krematorium angemalt; Schmetterlinge, Regenbögen, Star Wars Aufkleber und eine riesige Waffel mit Eis zierten den.

An meinem Geburtstag bist Du ins Krematorium gefahren. Immer wenn Du in diesem großen, schwarzen Auto unterwegs gewesen bist, sagte ich unseren Bestattern dass sie vorsichtig fahren und gut auf Dich aufpassen sollen. Anbei ein Dickes Danke an Silvana und Tobi vom Bestattungshaus Lundie. Ihr habt vieles Möglich gemacht, auch wenn einige unserer Wünsche so gar nicht „Beisetzungstypisch“ waren. Ihr habt Simons Abschiedsparty unvergessen gemacht, die Kinder mit einbezogen und all unsere Wünsche akzeptiert. Ihr könnt zaubern, ganz ehrlich

6 Wochen nach Deinem Tod bist Du unter Deinen Zauberbaum im Zauberwald gezogen. Der schönste Baum überhaupt. Und genau dort werden wir Dich später besuchen kommen.

Du bist Heute 2 Jahre tot. Wir alle sind heute zwei Jahre ohne Krebs im Haus. Ohne Kliniken, ohne zich Medikamente und ohne die Angst, dass bald Jemand sterben muss. 2 Jahre sind wir ohne diese unbändige Angst. Noch immer hoffe ich, dass Du mit meiner Entscheidung einverstanden gewesen wärst.

In den letzten zwei Jahren haben sich die Kinder und ich von einigen anderen Menschen verabschiedet. Wir haben aber auch viele wundervolle Menschen in unser Leben schließen dürfen. In den letzten 24 Monaten ist viel passiert. Wir sind größer geworden, wir wissen viele Dinge mehr zu schätzen, wir wissen ganz genau was wir wollen und auch was eben nicht.

Aber vor Allem…Die Angst vor dem Tod zu Hause ist verschwunden. Lieber Held, ich dank Dir, dass Du diese Angst von uns genommen hast. Die Verzweiflung von vor zwei Jahren ist gewichen. Wir haben ein neues, völlig anderes Leben geschenkt bekommen und es obliegt nun bei uns etwas daraus zu machen. Nicht bei  Dir, nur bei uns. All das was jetzt und in Zukunft geschehen wird liegt in unserer, in meiner Verantwortung.

Rock den Himmel, mein Held.

Du bist nicht mehr dort wo Du warst. Aber Du bist immer dort, wo wir sind. May the Force be with you

2 Gedanken zu „2 Jahre Held im Himmel

  1. Liebe Familie,
    es gibt wohl keine Worte die diesen Schmerz lindern können. Jeder Satz dieses bewegenden Beitrags hat eine Träne auf meine Wangen getrieben. Ich habe so viele Worte nachempfinden können..und doch fällt es mir schwer nun richtige Worte zu wählen.

    Ich wünsche euch von Herzen so viel Sonnenschein und Licht im Leben, das niemals wieder dunkle Schatten euren Alltag trüben und ihr im Herzen immer etwas Freude empfindet. Mein herzlichstes Beileid…ich bin beeindruckt von eurer Kraft und eurem Mut…zeitgleich schätze ich die offenen Worte.

    Fühlt euch gedrückt. Passt auf euch auf und seid euch gewiss, er ist immer bei euch..egal wo ihr euch befindet. Er wird immer ein Teil eures Lebens sein und jede noch so triste Stunde mit schützender Hand begleiten.

    Alles Liebe,
    Janine

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