Das Angehörigen ABC; U wie Unmensch

Mein grundsätzliches Naturell ist nun schon ziemlich schwierig. Ich kann wirklich unleidlich sein, bockig, nicht immer umgänglich aber loyal und liebevoll kann ich auch. Es ist nicht immer einfach mit mir, weil ich viele Menschen auch nicht einfach finde. Es ist auf diesem Blog inzwischen kein Geheimnis mehr, dass ich Niemand bin, der einen Raum betritt und Hallooooooo brüllt. Wenn ich aber Lieblingsmenschen habe, dann würde ich für sie durchs Feuer gehen, wenn ich es denn müsste. Eigentlich.

Wenn das Wort eigentlich nicht wäre. Als Angehörige eines schwer erkrankten Lieblingsmenschen, der ganz klar die Prognose einer kurzen Lebenserwartung bekommen hat, haderte ich ab und an mit mir selbst. Als mein Mann die Diagnose Multiples Myelom bekam war ich grade noch 27 Jahre alt. An der Hand hatte ich eine 4 jährige Tochter, die Einhörner liebte. In meinem Gesicht klebte oft Glitzer der letzten Einhornparty. In meinem Bauch strampelte ein Baby . Wir hatten die Halbzeit der Schwangerschaft knapp überschritten und so oft mir dieser kleiner Junge in meinem Bauch gegen ein Organ getreten hat oder sich auf einen Nerv setzte, der mein Bein taub werden ließ, war ich mir sicher, dass dieses Kind bestimmt mal Ninjakämpfer werden würde. Ich irrte, es wurde ein kleiner Batman. Batman ist sowieso viel cooler.

Ich hörte die Diagnose. Simon verstand sie, vollgedröhnt von Medikamenten nicht. Ich dafür um so besser. In meiner Vergangenheit, viel, viel früher, als großes Kind und junger Teenager geriet meine Welt schon einmal ordentlich ins Wanken. Sexueller Missbrauch, über eine längere Zeit hinweg, immer mal wieder. Das endete mit 16 in einer Psychiatrie, später in einem Jugendheim. (Bevor hier wieder Spekulationen kommen; meine Eltern und mein Bruder sind nette und liebe Wesen. Die haben mir kein Haar gekrümmt. ) Meine Anfangszeit in der Hauptstadt war dann auch, ähm naja, sehr lebendig.

Ich wusste dass ich nie wieder etwas haben will, was mein Leben so dermaßen aus den Fugen wirft. Etwas dass mich hilflos fühlen lässt.

Tja, und dann kam die Diagnose; Krabbe Kunibert zog ein. Als ich die Klinik am Tag der Diagnose verließ und zu Hause ankam packte ich meinen Koffer und den der Einhornbändigerin.Ich packte extra viel Feenstaub-Glitzerzeug ein, weil mir meine Tochter einmal sagte, dass der Glück bringt. Ich packte fast schon besessen. Weil ich diese Diagnose nicht wollte. Der Mann, der da in der Klinik liegt, eine tödliche Erkrankung hatte, mit dem war ich erst 3,5 Jahre zusammen. Ich hätte mir gewünscht, dass es mehr Jahre werden würden, aber auf gar keinen Fall mit dem Wissen dass ich ihn überleben würde. Ich war noch nie mit dem Tod konfrontiert. Meine Großeltern starben alle als ich noch ganz klein gewesen war, ich erinnerte mich kaum. Und nun soll mein Mann der erste sein, den ich sterben sehe? Der vermutlich vorher noch pflegebedürftig wird? Und was ist eigentlich mit den Kindern? Auf gar keinen Fall.

Ich brachte irgendwann mein kleines Mädchen ins Bett und packte weiter. Dann sah ich einen Fleck auf unserem Sofa. Das ging auch so gar nicht. Ich schruppte den weg. Das Kunstleder vom Sofa kam gleich mit runter. Und dann tat ich nur noch eines….Schreien. Ich schrie das Sofa an, warum es denn ausgerechnet jetzt kaputt gehen müsste- Zum Glück hatte meine Tochter einen tiefen Schlaf und bekam von all dem nichts mit.

Nach meinem dezent ver-rücktem Anfall blickte ich auf die Koffer und packte sie nochmal um. Unsere Sachen wieder aus, Simons dafür ein. Am nächsten Morgen weckte ich die Einhornbändigerin, wir haben Frühstück gegessen und warmen Kakao getrunken. Sie sah den Koffer im Flur stehen. Mittlerweile war es nur noch Einer und fragte ob wir in den Urlaub fahren würden. Ich erkärte ihr, dass dieser für Momo sei (Kosename der Tochter für Simon) . Ich bejahe und erzählte von dem Krebs in Momos Blut, dass er mit seinen Scheren das Blut kaputt machen würde und dass dieser Krebs nicht wieder verschwinden würde. Aber man könnte ihn mit Medizin und Chemorittern müde machen. Vielleicht für ein paar Jahre. Dann aber haben auch die besten Ritter keine Kraft mehr. Meine Tochter reagierte mit ihren 4 Jahren deutlich einfühlsamer und auch irgendwie pragmatischer als ich. Sie holte eine Flasche mit Glitzer-Feenstaub und sagte, dass ich Momo diese mitbringen sollte. Das Zeug bringt nämlich nicht nur Glück, sondern macht auch noch die Ritter besonders stark.

An diesem Tag brachte ich meine Tochter zur Kita und machte mich samt Koffer und meinen dicken Bauch auf dem Weg zu Simon. Ich hatte die Wahl, gehen oder darauf hoffen, dass der Glitzerstaub auch mein mentales Durchhaltevermögen wieder in Ordnung bringt.

Ich bin natürlich nicht gegangen. Der Gedanke an die Flucht war meine erste Reaktion. Es wäre auch gelogen wenn ich nie wieder daran gedacht hätte. Das tat ich nämlich ziemlich häufig. Als es Simon nach der ersten Chemowelle und Reha wieder besser ging kam seine leichte „Egophase“. Er tat Dinge, die er unbedingt tun wollte. Er war ständig unterwegs, ungeachtet der Tatsache ob das nun so gut für ihn oder für uns und die inzwischen zwei Kinder wäre. Er wurde sehr Kritisch, wollte aber selbst keine kritischen Worte zu ihm hören. Er wurde unfair und dachte vorrangig an sich selbst.

Ich verstand das alles, dennoch sind auch das kleine Mädchen und ich mit ihm durch diese Hölle gegangen. Und ich erwartete dass er zumindest fair und liebevoll zu den Kindern blieb. Aber auch mein größtes Verständnis verschwand irgendwann. Ich wurde sehr, sehr unnett und meinte irgendwann, dass ich das ein zweites Mal nicht machen werde.

Krabbe Kunibert kam 2016 zurück. Simon hatte tatsächlich Panik dass ich gehen würde. Ich tat es nicht. Ich hätte das gar nicht gekonnt. Dass was ich da gesagt hatte war nichts Anderes als ein verbaler Ausbruch meiner Überforderung.

Sobald die Pflege und die ständige Panik dazu kamen wurde es ehrlichgesagt nicht besser. Die Kinder, der Job, die Hunde und Krabbe Kunibert. Meine Augenringe wurden immer tiefer. Je tiefer und dunkler sie wurden, desto mehr tendierte meine Stimmung dazu zu kippen. Ich ähnelte nicht nur äußerlich immer weniger einem Menschen, auch emotional. Ich wurde abgeklärt, manchmal nicht immer.

Wenn mir Bekannte oder Freunden von ihren Problemen erzählten, fiel es mir schwer Mitgefühl zu empfinden. Wenn es um Beziehungsprobleme ging dachte ich mir manchmal „ja ist blöd, aber mein Mann ist bald tot. Und nett ist es bei uns auch nicht immer“ Gesagt habe ich das natürlich nie.

Ich fühlte mich schlecht, weil mein Mitgefühl für Andere eine ganze Zeit lang zu wünschen übrig ließ. Weil ich mich hab körperlich gehen lassen, weil ich einfach nur noch müde war.

An den Meisten Tagen konnte ich zumindest zu Hause, für Simon und die Kinder, die sein, die ich wollte. Verbale Seitenhiebe ließ ich abprallen. Nach Außen aber…ach lasst uns nicht drüber sprechen. In den 6 Jahren mit Krabbe Kunibert sind viele Gefühle Emotionen Achterbahn gefahren. Ich musste am Ende dieser Zeit Dinge tun, von denen ich keine Ahnung hatte. Ich lernte Lagerungstechniken, wie man einen Port ansticht, Spritzen setzten und auch das weißes Mandelmus besser in herzhaftes Porridge untergejubelt werden kann als Braunes. Ich lernte in Geschichten einzusteigen, massive Verantwortung für einen erwachsenden Menschen zu übernehmen und riesige Legoraumschiffe zu bauen. Das nämlich taten Simon und ich immer Nachts, wenn er eine Panikattacke hatte und nicht mehr schlafen konnte. Er sagte mir wo was hin muss, ich steckte die Steine. Am nächsten Morgen dachte er immer, dass er dies allein getan hatte. Das war so gut für das Heldenego. Es war eine anstrengende Zeit, mit Fluchtgedanken aber Gefühlen, die hätten nicht ehrlicher und tiefer sein können. Ich stehe dazu, keine Minute möchte ich missen. Keine Einzige.

Erlaubt Euch zu fluchen, auch mal grantig zu sein. Das ist menschlich. Das ändert nichts an Eurer Einstellung und Beziehung gegenüber der erkrankten Person.

Angehörige von Schwerstkranken Lieblingsmenschen, die eventuell sogar pflegebedürftig sind, neigen dazu zu Unmenschen zu werden. Äußerlich (und ganz ehrlich, das hat sich bis heute nicht wirklich gegeben. Ich sehe deutlich älter aus, das ist nicht witzig) und innerlich sowieso. Das liegt oft daran, dass „Wir“ dazu neigen, nicht auf unseren Körper zu hören, ihm nicht genug Auszeiten zu gönnen. Es gibt zu wenige Unterstützungsangebote für Angehörige, zu wenige Blicke, die wohlwollend auf „uns“ gerichtet sind. Angehörige tendieren oft dazu sich selbst absolut in den Hintergrund zu stellen, sich dabei selbst zu vernachlässigen so dass es von „Außen“ sichtbar wird. Manchmal gipfelt das dann in Übersprungshandlungen wie unnötige Streitereien, spitze Bemerkungen oder fehlende Empathie für die Belange Anderer.Und auch hier gilt…“Wir“ merken das durch aus, daraus auszubrechen ist trotzdem nicht immer leicht. Und genau dann kann es passieren, dass ein/e Angehörige/er in einem Burn Out landet. Still und fast unbemerkt.

Ich habe das nicht geschafft, ich konnte erst ausbrechen als ich keine Angehörige sondern Hinterbliebene war. Dinge wie Empathie kann ich inzwischen wieder fühlen, nicht nur sprechen.

Und dann gibt es auch die Angehörigen, die viel, viel länger durch diese Zeit gehen/gingen als ich es tat. Ihr leistet Unmenschliches, Niemand, der das nicht selbst erlebt hat, weiß welch Kraftakt ihr da eigentlich jeden Tag stemmen müsst. Wenn ich Euch jetzt sage, „passt gut auf Euch auf“ weiß ich gleichzeitig auch, dass ihr mit dem Kopf nicken werdet und Euch denkt „Aber wie“ oder auch „Ach so schlimm ist es nicht“

Solltet ihr also Angehörige oder Freunde von Angehörigen sein…Habt ein Auge auf sie, okay? Geht mal zum Kaffee trinken vorbei oder bringt ihnen etwas Leckeres zu Essen . Ruft ab und zu mal an, bleibt da. Geht zusammen Eis mit bunten Streuseln essen oder verschenkt zur Not einfach etwas Einhornglitzer, denn wie ihr ja wisst; das macht stärker und zeigt, dass man auch als Angehöriger, der manchmal wie ein Zombie aussieht oder sich ebenso verhält, nicht vergessen wird.

Gleiches gilt für Angehörige, die für sich die Notbremse gezogen haben und gegangen sind. Diese Entscheidung ist bestimmt nicht leicht gefallen, erfordert genauso viel Kraft und Mut. Jeder kann nur das leisten, zu dem er selbst in der Lage ist. Verurteilungen sind hier absolut deplatziert. An dieser Stelle gibt es kein besser oder schlechter. Niemals.

2 Gedanken zu „Das Angehörigen ABC; U wie Unmensch

  1. Huhu,

    ich finde es interessant, wie unterschiedlich wir Menschen sind. Ich habe meine Frau von Sept. 2003 bis Aug. 2018 begleitet und bis auf ein paar müde Momente, hatte ich nie das Gefühl der Überlastung oder Überforderung. Erst jetzt, im zweiten Trauerjahr, fange ich an durchzudrehen und mich wie ein Rüppel zu benehmen.

    Du machst das gut!

    Alles Liebe – Uwe

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