Ich weiß nicht wie

Seit dem wir diesen Blog hier haben, seit diesen 3,5 Jahren bekomme ich oft Nachrichten von Menschen, die etwas Ähnliches in ihrer Vita erleben oder erlebt haben. Als Simon noch lebte, waren es Patienten, die ebenfalls an einem multiplen Myelom erkrankt sind oder andere Formen von Blutkrebs in sich trugen. Es meldeten sich Angehörige, meistens Ehefrauen deren Mann grade in der Klinik lag und keiner so richtig wusste ob es ein Happy End geben würde. Oft schrieben wir etwas hin und her, einige durfte ich auch im echten Leben treffen. Die Gesprächsthemen handelten oft vom Alltag mit kranken Partner, dem Alltag im all dem Irrsinn und Medikamenten. Irgendwann meldete sich damals eine Frau bei mir, dessen Mann kurz zuvor verstorben war. An Blutkrebs.

Sie erzählte, dass sie und ihr Mann unseren Blog immer gelesen hatten. Mit uns hofften und gleichzeitig auch immer für sich selbst. Ihrem Mann wurden Stammzellen transplantiert, er starb am Ende an einer Infektion und multiplen Organversagen. Sie erzählte mir, dass sie all das noch gar nicht richtig fassen könnte und nicht wüsste wie es nun weiter gehen sollte. Sie wusste nicht wie ein Leben ohne ihren Mann funktionieren sollte. Sie sprach von praktischen Dingen, die ihr Mann sonst immer tat. Aber natürlich auch von emotionalen Dingen, wie groß das Bett plötzlich wäre, wie kalt die Wohnung und dunkel das Leben geworden ist.

Zu diesem Zeitpunkt lebte mein Mann noch. Und plötzlich zerriss es mich innerlich. Ich wusste, dass es irgendwann auch auf uns zukommen wird. Es war Ende 2017 und ich hoffte und glaubte noch, dass dieses Szenario noch lange auf sich warten lassen wird. Wie nah mir genau das bevorstand wusste ich zu diesem Zeitpunkt zum Glück noch nicht.

Ich machte mir plötzlich ebenfalls praktische Gedanken. Gekocht habe zu Hause fast immer ich, mit wenigen Ausnahmen. Crepes zum Beispiel. Die Kinder liebten sie, Ich liebte sie,ich konnte das aber  nie. Mir sind die Teile immer zerfallen. Simon hat das gefühlt im Schlaf gemacht. Ich stellte mich eines Nachts, als ich nicht schlafen konnte in die Küche und hab gefühlte 100 Stück von diesen Dingern gemacht. Ich hab es versucht. Gelungen sind mir die Teile nicht. Irgendwann, mitten in der Nacht im Dezember 2017 stand ich heulend in der Küche, setzte mich auf den Boden und fragte mich inständig wie das alles funktionieren soll, wenn ich die einzige Erwachsene in diesem Haus sein würde. „Vermutlich werden wir alle verhungern“ oder „Was bist du bloß für ne Mutter dass du diese F***Ing Teigteile nicht hinbekommst“, waren so meine Gedanken. Beides absoluter Blödsinn, aber in diesem Moment hatte ich Panik. Panik vor einem Verlust, der unwiderruflich eintreten wird, vor einer Zeitbombe, die in unserem Haus getickt hat.

Während ich da so vor mich hinheulte, dachte ich an die vielen anderen Sachen, die ich gar nicht konnte. Dauerhaft alleine schlafen zum Beispiel. Oder ich war permanent auf der Suche nach etwas, Simon wusste immer wo alles war. Löcher in die Wand bohren und weitere, für mich damals sehr elementare Dinge. „Wer baut mit dem kleinem Kind dann Lego“ oder “Wer lernt mit dem großen Kind Mathe?“

Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, wieso ich diese seltsamen Dinge im Kopf hatte. Vermutlich waren diese Dinge noch etwas leichter auszuhalten, als der Gedanke daran, dass verbrannte Crepes vermutlich das kleinste Problem sein werden, falls Simon sterben würde.

Ein halbes Jahr später starb mein Mann. Ich saß fassungslos in dieser Klinik, starrte ihn an. Ich streichelte sein kaltes, blasses Gesicht und fragte ihn wie ich dass nun alles hinbekommen sollte. Unsere DKMS Aktion 2017, die in der wir den Stammzellspender finden wollten, nannten wir nicht ohne Grund „Ohne Papa geht es nicht“. Wir waren in sämtlichen Zeitungen, sogar auf dem Titelbild. Gereicht hat es nicht. Aber immerhin stand überall „Ohne Papa geht es nicht“

Und nun musste es doch plötzlich gehen. F***ing Crepes. Nach dem ich die Teile am Anfang gänzlich von unserem Speiseplan gestrichen hatte, klappt es inzwischen ausgezeichnet. Der Erste wird immer semigut, alle folgenden sind gar nicht so übel. Die Heldenkinder meinen, dass die anders schmecken. Aber lecker sind sie auch.

Etwa 4 Monate nach Simons Tod bekam ich erste Mails von ebenfalls Hinterbliebenen. Die Meisten von denen waren mir einige Zeit Voraus. Zwei davon traf ich auch. Sie erzählten mir, dass sie sich von vielen Dingen getrennt hatten und die „Trauerecke“ im Haus bereits abgebaut hatten. Weil sie das Gefühl hatten, diese nicht mehr zu brauchen. Ein/e/ Hinterbliebener war neu leiert, ein/e Ander/e schloss eine neue Beziehung für sich selbst gänzlich aus. Und ich….Ich wusste gar nix. Das Trauerzeug wegräumen? Wissen ob ich irgendwann, Irgendwen? Keine Ahnung. Ich bewunderte diese zwei Personen, weil sie zwar trauerten aber dennoch so klar waren. Sie wussten was sie wollten und sie konnten loslassen. Ich konnte mir nicht vorstellen , dass das jemals gehen sollte.

Heute, zwei Jahre nach dem Tod meines Mannes bekomme ich immer noch oft Post. Von Gesunden Menschen, Von Krebserkrankten. Von deren Angehörigen. Von Hinterbliebenen. Besonders die letzten beiden Gruppen fragen mich oft Dinge, die ich mich vor 18 Monaten noch selbst gefragt habe. „Wie soll das alles nur gehen“ „Ohne Sie/ ohne ihn kann ich mir das Leben nicht vorstellen“ „Wie soll ich das aushalten“ „Ich hoffe, dass ich irgendwann einen Schritt weiter komme“

Es sind 1:1 meine Gedanken von früher. Und jedes Mal wenn ich diese Zeilen von Lesern meines Blogs lese empfinde ich ein tiefes Mitgefühl. Mir tut das alles furchtbar Leid und ich weiß wie Hoffnungslos sich manchmal alles anfühlen kann. Und dann; plötzlich merke ich, dass es plötzlich ich bin, die diese Fragen gestellt bekommt und um Rat gebeten wird. Und jedes Mal merke ich, dass nun auch zu denen gehöre die nach vorn gelaufen sind.

Ich freue mich weiterhin über jedes persönliche Wort von euch. Trotzdem möchte ich sagen, dass es alles einfach weitergeht. Völlig egal ob Du weißt wie. Es geht weiter. Dein einziger Job ist es zu atmen. Wasser zu trinken und das Essen nicht zu vergessen. Das waren Dinge, die mir meine Therapeutin vor zwei Jahren als Hausaufgabe immer wieder aufgegeben hat. Das Wichtigste ist im Grunde nur, dass ein Minininini-kleiner Funke Hoffnung in Dir wohnt. Manchmal ist der etwas versteckt. Aber er wird da sein, ganz bestimmt. Dieses Minikleine Etwas kann Dich tragen. Du musst es nur zulassen. Völlig F***ing Scheiße kann trotzdem alles sein. Aber es wird gehen. Nicht sofort. Aber irgendwann. Irgendwann wirst Du wissen wohin die Reise geht. Du wirst merken, welche Stärke da eigentlich in Dir steckt. Du wirst das, was Dir gegeben worden ist annehmen können, auch wenn es sich jetzt noch nicht im Ansatz so anfühlen mag.

Krebs ist so richtig Kacke. Andere schwere Erkrankungen sind es auch. Der Tod ist oberkacke, vor allem wenn es einen Lieblingsmenschen betrifft. Mein Leben lang hatte ich nie Angst vor meinem eigenen Tod. Aber immer davor, dass einer meiner liebsten Menschen sterben könnte. Genau das ist geschehen. Ich lebte 6 Jahre mit der Gewissheit, dass genau dies geschehen wird. Ich hab es ausgehalten und bin wirklich kein besonders taffer Mensch. Dann schaffst Du das auch, ganz bestimmt.

Ich glaube nicht an Gott. Ich glaube nicht an Engel. Aber ich glaube an Wolkenlücken. Und ich glaube nach wie vor daran, dass einem das Schicksal nur so viel zu tragen gibt, wie man selbst in der Lage ist es zu schultern. Das ist nicht immer fair. Aber was ist das schon?

Diese Geschichte mit dem Schicksal; dieser eine Satz, er wurde schon fast zu meinem Mantra. Ich schrieb den auf einen Zettel, den ich immer dabei hatte. Am Kühlschrank hing auch ein Zettel damit, direkt neben verschiedenen Crepesrezepten. Im Spiegel im Bad ebenso, denn da stand nichts Nachts, wenn ich mehr geheult als geschlafen habe. Ich redete mir das immer und immer und wirklich immer wieder ein.

Im übrigen war ich total stolz darauf, als es den ersten Sonntag gegeben hatte, an dem diese Crepes gelungen sind. Teigteile, die ich gemacht hatte. Einen habe ich eingefroren. Als Erinnerungsstützte, dass das doch irgendwie funktioniert. Sogar ganz ohne Rezept.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.