Wie war das eigentlich…Gab es Anzeichen für den Tod?

Vorsicht, Triggerwarnung. Ich schreibe im folgenden Post über den Tod, über das Versterben und die Zeit direkt davor. Wenn es Dir mit diesem Thema nicht gut geht, dann lese bitte nicht weiter.

Ich hatte mich dazu an anderer Stelle einmal kurz geäußert; ob und wie ich bemerkt hatte, dass Simon bald versterben könnte. Damit meine ich nicht die letzten Tage oder Wochen. Viel mehr eine ganze Zeit lang früher. Ich wurde in der letzten Zeit öfter gefragt ob es „Anzeichen“ gab oder Veränderungen. Und woher ich wusste, dass die Entscheidung, die Behandlung, die Maschinen, die ihn am Leben hielten ein- bzw. abstellen zu lassen. Darum versuche ich dies nochmal kurz in Worte zu fassen.

Wenn Menschen mit einer tödlich verlaufenen Erkrankung leben, dann zeichnet sich das Ende des Lebens, der Sterbeprozess manchmal etwas früher ab. Nichts desto trotz wollte ich bis zum Tag seines Versterbens nicht wahrhaben, dass Simon wirklich für immer gehen musste/durfte. Zu keiner Minute wollte ich daran denken und klammerte mich lange an jeden Strohhalm. Dennoch waren einige Veränderungen für mich nicht mehr zu leugnen. Vielleicht habe ich mir das aber auch nur eingebildet, denn so richtig funktionierte mein Kopf auch nicht mehr.

Etwa Ende 2017/Anfang 2018, ein halbes Jahr bevor mein Mann starb nahm ich erste Veränderungen wahr. Er roch anders. So ganz anders. Am Anfang dachte ich noch, dass ich mir dies nur einbilden würde. Simons Myelomzellen stiegen zu diesem Zeitpunkt bereits an, stagnierten dann aber in einem gleichbleibenden Niveau. Zwischenzeitlich fühlte er sich fit genug um im Januar sogar stundenweise arbeiten zu gehen. Aber roch wirklich anders. Und das hatte nichts mit seiner Körperhyghiene, nem anderem Shampoo oder etwas dergleichen zu tun. Manchmal bin ich nach der Arbeit nach Hause gekommen und das ganze Haus roch so sehr, dass ich alle Fenster aufgerissen habe. Ehrlich gesagt nahm dies aber anscheinend nur ich wahr und ich bin mir bis Heute nicht sicher, ob mir meine Psyche da einen Streich gespielt hatte.

Kurz danach veränderte sich Simons Mimik. Sein Stirnfältchen wurden gefühlt von Heute auf Morgen tiefer und seine Haut war irgendwie matter als sonst. Ab Februar ging es kontinuierlich bergab, unser Held baute sowohl körperlich als auch kognitiv immer mehr ab. Das war nicht zu übersehen. Sein Hautton veränderte sich immer mehr, matt und doch irgendwie glänzend. Seine Haut wurde trockener und das Leuchten in seinen Augen verschwand mit der Zeit.

Dieser Geruch nahm immer mehr zu. An manchen Tagen bekam ich davon Kopfschmerzen, so seltsam sich das auch anhören mag. Und seine Schrift veränderte sich, die wurde irgendwie zackiger. Ich nahm das alles bewusst wahr und konnte es eine ganze Zeit nicht einordnen.

Ab April wurde die Bergabkurve immer steiler. Simon tat einige Dinge, die ich nicht nachvollziehen konnte. Abgesehen davon, dass sich sein Wesen immer mehr veränderte, kaufte er plötzlich, zu meist online, unzählige Dinge ein, die er eigentlich nicht brauchte; Klamotten, Deko, Werkzeug und Ähnliches. Sehr viel davon. Seine körperliche Kraft wurde von Tag zu Tag weniger und trotzdem baute er ständig irgendwas, bohrte Löcher, schraubte Regale in die Wand. Ich glaube, dass irgendwas in ihm drin gemerkt hatte, dass es dieses Mal eine sehr knappe Angelegenheit werden könnte.

Als er in der Klinik war, ging es ihm sehr schlecht. Er konnte nicht laufen, war oft desorientiert und vergaß viele Dinge. Er brauchte Sauerstoff und hatte viele Schläuche in seinem Körper. An seinem letzten Wochenende hier auf der Erde schien es ihm plötzlich besser zu gehen. Verwirrt war er immer noch, aber ich konnte ihn m Rollstuhl durch den Klinikpark schieben. Über eine STunde lang, ohne Sauerstoff und ohne Maske. Denn sein Immunsystem, seine Blutwerte waren plötzlich auch besser. Er hatte keine Kraft seinen arm zu heben, redete aber davon, dass er den Song Time of my Life in seinem Ohr hören würde. Und dass er, sobald er wieder zu Hause ist, Kinder bekommen und heiraten möchte. Dazu kamen nch einige andere Dinge. Es schien fast so als würde er sein Leben indirekt Revue passieren lassen, weil es alles Dinge waren, die bereits geschehen waren. Sein Unterbewusstsein wusste das bestimmt noch, er selbst bewusst nicht. Zu diesem Zeitpunkt, dachte ich, dass es ihm nun endlich besser gehen würde. Rückblickend betrachtet, war es wie ein letztes Aufbäumen, wie ein letztes Hoch seines müden Körpers.

Drei Tage später lag er kaum ansprechbar im Bett. Der Geruch in diesem Zimmer war kaum auszuhalten. Es war der, den ich schon Monate zuvor zu Hause wahrgenommen hatte, nur viel viel stärker. Die ganze Luft in diesem Krankenhauszimmer war für mich nicht zu ertragen und ich musste mehrfach den Raum verlassen. Das Problem hatte ich zuvor noch nie. Und wieder schien es so, als ob nur ich riechen würde. Wiegesagt, vielleicht hat mir auch hier meine Psyche einen Streich gespielt, ich weiß das nicht genau. Aber ich wusste, dass an diesem Tag noch etwas passieren würde.

Am späten Abend redete ich ein letztes Mal mit meinem Mann. Am Telefon. Wenige Minuten später wurde er ins Koma gelegt. Kurz darauf verstarb Simon.

Also ja, es gab da so einige Anzeichen. Aber gedeutet habe ich sie oft anders. An diesen Geruch erinnere ich mich besonders. Dies nahm ich danach nie wieder wahr. Ich glaube, dass das eine Art Vorbote wahr, auch wenn ich es mir vielleicht nur eingebildet hatte. Und ich glaube wirklich, dass der Sterbeprozess bei schwerkranken Patienten nicht nur ein oder zwei Tage dauert. Ich glaube auch, dass es nicht nur aus Schmerzen und Augenschließen zu tun hat. Irgendwie schien sich sein Körper und seine Psyche darauf vorzubereiten.

9 Gedanken zu „Wie war das eigentlich…Gab es Anzeichen für den Tod?

  1. Liebe Ines, das mit dem Geruch kann ich bestätigen. Ich war 5, als mein Opa im Sterben lag und ich durfte ihn ein letztes Mal besuchen. Der Geruch war extrem und ich habe damals genau gewusst, das ist der Tod. 20 Jahre später bin ich durch die Notaufnahme gelaufen, wo gerade ein älterer Mann eingeliefert wurde. Und da war er wieder, dieser Geruch.
    Liebe Grüße, Susanne

  2. Liebe Ines, ja, den Tod kann man riechen. Ich habe ihn das erste Mal bei meinem Großvater gerochen, ca. 3 Wochen bevor er starb. Er sprach mit mir über die Versorgung meiner Großmutter „falls mir mal was passiert“. Dabei galt er als völlig gesund. Ich musste lüften, sobald er den Raum verlassen hatte und war sehr irritiert darüber. Später dann habe ich ihn noch oft gerochen – in Krankenzimmern und Altenheimen. Ich brauchte eine Weile, bis mir bewußt wurde, dass diese Menschen bald sterben würden. Ich sprach mit einigen anderen Menschen darüber – einige konnten es riechen, andere nicht. Normalerweise sprach aber niemand darüber.

  3. Liebe Ines,
    ein letztes Aufbäumen ist typisch. Ich habe immer Angst, wenn es schwerst kranken Patienten plötzlich für ein / zwei Tage so gut geht und sie plötzlich viel mehr Energie haben. Das ist ganz oft ein schlechtes Zeichen.
    Ich drück dich
    Steffi

  4. Liebe Ines! Ich habe meine Mutti die letzten 4,5 Tage vor Ihren Tod besuchen können. (Sie wohnt 600 km.entfernt ) Ich kann es nicht bestätigen, dass sie anders roch….aber wie Du sagtest, dass muss ja nicht immer so sein. Allerdings hat sie die letzten Wochen vor Ihrem Tod (der gar nicht so schnell abzusehen war) auf einmal von Ihrem verstorbenen Sohn Bernd geredet, der nur 6 Tage lebte und schon über 60 Jahre tot war. Den letzten Tag wo ich sie sehen konnte, hat sie immer beide Arme nach oben gestreckt, so als wenn sie Jemand empfängt. Das, obwohl sie sehr schwach war. Ich glaube, sie sah, dass sie abgeholt wird…
    Danke für Deine Ehrlichkeit und weiter alles, alles Gute Liebe Grüße Ines

  5. Liebe Ines
    Im Juni 2019 haben meine jungs ihren Papa verloren, nach Krankheit. Ich habe es lange Zeit vorher ebenfalls so erlebt wie du. Habe immer versucht, es schön zu reden, war mir innerlich aber bewusst, auf welchem Weg er sich befindet.
    Ich wünsche dir alles Liebe

  6. Hallo Ines! Nein, du hast dir das sicher nicht eingebildet! Was du schilderst habe ich selbst auch erlebt. Vor einigen Jahren bei meiner Oma und letztes Jahr bei meinem Schwiegervater.
    Der Geruch hat sich verändert, nahm mir bei der Pflege und Betreuung fast die Luft zum Atmen. Es hat fremd gerochen, aber gleichzeitig auch auf irgendeine Art vertraut. Bei meiner Oma konnte ich das noch nicht zu ordnen, dachte ich würde mir das einbilden. Überforderung mit der Situation, zu viel Stress, was auch immer. Letztes Jahr, wie das bei meinem Schwiegervater anfing war mir dann schlagartig klar, was ihm und uns bevor stand. Ich sehe das als Empathie die bei mir, und scheinbar doch noch einigen anderen, halt speziell ausgeprägt ist.
    Liebe Grüße, Kati

  7. Liebe Ines,

    ich bin schon lange Zeit stille Mitleserin.
    Viele deiner Posts haben mir sehr aus dem Herzen gesprochen. Vielen Dank dafür. Ich fühle mich dadurch weniger ,,freakig“, da es Anderen ähnlich geht/ging wie mir 🙂

    Mein Vater erkrankte 2014 an Krebs. ( Ich war damals 24)
    Long Story short:
    Überlebenschance bei 10% ( Er war Einer von Zweien, welche die Behandlung überlebt haben)

    Nach Chemo und Bestrahlung sah es eigentlich gut aus.
    Bis Blutsturz, fast Ersticken und einen Tag vor Entlassung ein Schlaganfall ihn in ein künstliches Koma brachten.
    An diesem Tag habe ich es auch gerochen.
    Generell roch mein Papa die ganzen Jahre der Krankheit anders.
    Wenn ich ihm die Nahrung angeschlossen habe, oder seine Tracheo gewechselt habe, musste ich teils (dafür fühl ich mich heute noch schlecht) die Luft anhalten und im Haus die Fenster öffnen.
    So überwältigend war der Geruch.
    Heute, ihm geht es trotz einiger Einschränkungen wieder gut, ist dieser Geruch nicht mehr da.
    Als ob der Krebs/Tod aus seinem Körper gewichen ist.

    Lieben Dank für deine Erfahrungen, deine ungeschönten Beiträge und die Wärme die du gibst. Bleibt so!

    Lg,
    Anne aus der Nähe von Berlin.

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