Ihr Lieben, es ist Herbst. Die letzten Tage hat es oft geregnet, es war kalt und Regenbogen haben wir auch keine gesehen. Es beginnt eine Zeit im Jahr, die nicht nur mir manchmal auf die Stimmung drückt. Dazu die Tatsache, dass sich die Lage draußen immer mehr zuspitzt. Auf Instagram las ich irgendwann in den letzten Tagen diesen Satz „Corona macht die Einsamen noch einsamer“. Sollte der Wortst Case eintreten und der nächste Lock Down kommt, mag das sogar stimmen. Im Frühling dachte auch ich so manches Mal, dass ich kurz vor dem Ex- bzw. implodieren bin. Aber unanhängig von dem Virus macht es durchaus Sinn, sich für einen emotionalen Notfall gewaffnet zu fühlen. Ich wurde öfter Mal gefragt, was ich in Situationen mache in den gar nichts mehr geht. So überhaupt nix.
Das konnte ich pauschal gar nicht beantworten. Könnt ihr das? Was ich in den letzten 8 Jahren aber gelernt habe…ich habe meine Ressourcen bewusster wahrgenommen und gelernt wie ich diese auch in schwierigen Situationen benutzen kann.
Als ich als älteres Kind/junger Teenager kennenlernen musste was sexuelle Gewalt ist und wie sich diese anfühlte dachte ich zuerst der Boden reißt unter meinen Füßen weg. Das ist er auch. Die Tatsache, dass ich lange Zeit nicht darüber gesprochen habe machte es nicht besser. Aber ich schrieb. Oder ich malte. Über und von Dingen, die ich mir so erträumt hatte. Eine Welt, die mir gefallen hätte. Von einem Mädchen dass in einem Baumhaus wohnte und gerne schaukelte. Ein Mädchen, dass viele Freunde hatte, stark war und mit Bären kämpfen konnte.

Es dauerte einige Jahre bis ich verstanden habe, dass auch ich in der Lage sein kann es mit Bären aufzunehmen. Und wenn es nur mein innerlicher Grizzly war. Bär ist Bär. Nur sind sie nicht immer gleich groß, fühlen sich aber oft bedrohlich an.
Ich machte ein paar Umwege um das richtige Antidot für Bären zu finden und besinnte mich am Ende doch wieder auf die Anfänge. Wenn ich durchhänge, egal warum. Erinnerungen an den Bären meiner Kindheit. Erinnerungen an die Krabbe meiner Erwachsenenwelt. Irgendwas dazwischen. Egal. Ich kann nicht nichts machen. Wenn ich in mich einsacke, stehe ich im schlechtesten Fall so schnell nicht mehr auf. So kam es also dass ich in der zweiten Nacht nachdem mein Mann verstorben war zwei Wände im Haus fliederfarbend strich. Die nächsten 10 Nächte schrieb ich ein Buch. Das Ergebnis kennen ein paar von Euch. Ich schrieb in diesem Blog. Oder ich nähte unendlich viele Stoffkörbchen.
Als mich 2017 die Angst vor Krabbe Kunibert fast auffressen wollte organisierte ich diese DKMS Aktion. Auch in dieser Zeit schrieb ich Euch. Oder ich machte unfassbar viel Sport. Jeden Tag bis zu 4 Stunden. Mein erschöpfter Körper resignierte irgendwann und ließ mich mit 200 kmH gegen eine Wand fahren.
Sport half mir. Aber ich schaffte es nicht, es in einem gesunden Tonus zu halten. Zeitgleich drosselte ich meine Ernährung und rutschte ins Untergewicht. Es half. Aber nur oberflächlich.
Was mir wirklich immer half und es bis heute tut sind kreative Dinge. Ich schreibe gern. Ich male ab und an. Und meine Nähmaschine steht auch grade neben mir. Das sind Dinge, die mich runterfahren lassen. Die mich körperlich aber nicht überlasten, stattdessen aber Kraft geben. Oder ich gehe raus, joggen. Langsam aber auf Strecke. Weil es in diesem Moment nur mich gibt. Ich habe mir abgewöhnt 24/7 immer auf Abruf für die Kinder da zu sein. Natürlich bin ich da. Immer. Aber ich muss sie nicht rund um die Uhr entertainen.
Außerdem weiß ich, dass vieles aushalten kann, auch wenn es sich im ersten Moment nicht so anfühlt. Ich weiß was ich kann und ich weiß wo meine Grenzen sind. Im Gegensatz zu früher versuche ich aber nicht ständig besagte Grenzen zu überschreiten. Sondern einfach mal auf sie zu hören. Nicht immer. Aber hin und wieder. Ich habe gelernt dass ein Blick nach Links oder rechts besser ist als ein Blick zurück oder zu weit nach vorn. Ich versuche dass anzunehmen was mir/uns gegeben würde. Auch dann wenn ich das Gefühl habe, dass uns da Jemand grade etwas vor die Füße gekotzt hat und schreit „hier, bitteschön!“ ich schreie dann auch kurz. Dann bemitleide ich mich und bevor es zur Eskalation kommt, versuche ich meinen Frust, meine Angst oder was auch immer in eine andere Richtung zu lenken. Wenn mich Jemand in diesem Moment fragen würde :“Was würde Dir jetzt gut tun?“, ja dann würde ich vermutlich noch lauter schreien und mit den Schultern zucken.

Stattdessen habe ich eine Art Notfallkoffer. In dem sind eine Hundeleine, (Gassitour auf dem Feld), ein MP3 Stick (liebste Musik), Stoff (nähen) (meine Stoffbestellung ist im Übrigen immer noch nicht da hhmpf), Pinselstifte, eine Miniheißklebepistole, Mehl (backen), Notfallschoki, Lakritze und so Zeug. Zettel mit Telefonnummern von mir lieben Menschen und ein paar Fotos.
Als ich als Teenager/junger Erwachsene irgendwann aufgrund der oben genannten Problematik und einer diagnostizierten PTBS in einer Klinik landete gab es etwas Ähnliches. Dort nannten wir es Rescuebox. Das Prinzip war das Gleiche, die Füllung damals aber eine Andere; Senfkörner und Gummibänder zum Beispiel. Die, die hier länger mitlesen, wissen eventuell warum damals dieses Zeug dadrin war.
Vor einiger Zeit hatte ich einige EMDR Sitzungen bei meiner Therapeutin, das ist eine Art der Traumatherapie. Die sich allerdings nicht auf das Erlebnis von ganz früher bezog, vielmehr auf den Moment, als ich Simons Todesurteil unterschrieben hatte. Und ich alleine in dieses Arztzimmer gehen musste, während mir Simons Freunde und Teile seiner Familie aus dem Wartezimmer der Intensivstation hinterhergesehen hatten. Dieses Ereignis sorgte dafür dass meine PTBS von früher wieder etwas aufblitzte. Inzwischen ist alles gut unter Kontrolle denke ich. Zumindest hat mir in dieser Zeit mein Notfallkoffer geholfen. Weil ich manchmal gar keine Möglichkeit mehr hatte, über Dinge nachzudenken, die mir jetzt helfen könnten.
Die Situationen aber müssen nicht so „dramatisch“ sein. Es gibt auch einfach schlechte Tage, Tage die einfach weg können. Tage, an denen ich mir selbst im Weg stehe. Bevor sich diese Mimimi-Tage zuspitzen greife ich manchmal zu meinem Koffer. Manchmal klappt das, manchmal nicht.

Ich finde ja, dass jeder so ein Teil haben sollte. Für schlechte Stunden. Oder sehr einsame Momente. Einen Versuch ist es doch wert, oder? Es ist ähnlich wie eine Wickeltasche für Babys. Alles wichtige ist dabei, alles was man vielleicht brauchen könnte. Nur sind es in diesem Fall keine Windeln oder Schnuller, sondern Dinge, die Dir in weniger schönen Momenten gut tun. Diese Dinge solltest Du auswählen wenn es Dir gut geht, dann fällt es nämlich leichter. Tu Dir auch ein paar Zettel hinein, die Euch im Notfall daran erinnern, warum sich das Durchhalten lohnt. Und Memos von Dingen, die Du besonders gut kannst. Irgendwas gibt es da sicher. Und wenn dort einfach nur „atmen“ steht. Denn auch das ist manchmal gar nicht so einfach. Ich weiß.
Grade jetzt, wo Befürchtungen wie „die Einsamen werden immer Einsamer“ im Raum stehen, kann dieser Koffer dir helfen. Denn oft vergisst man nur zu schnell dass Du den wichtigsten Menschen immer bei Dir hast. Dich. Pass gut auf Dich auf und probiere es doch einfach mal aus.
(Alle Fotos in diesem Post sind von Pixabay. Quelle und so. Vielen Dank)