Es gibt ja so Dinge, da frage ich mich ob mein Telefon mich eigentlich ärgern möchte. Heute ist der 8.12.2020 Ein normaler Tag im Wahnsinn.. Heute erinnerte mich mein Handy an einen Tag. An Heute vor 4 Jahren. Es zeigte mir ein Bild, dass ich am 8.12.2016 aufgenommen hatte. Ich habe es im Krankenhaus gemacht. Nicht aber der Held war darauf zu sehen. Sondern eine vierjährige Kinderhand. Die Hand meines kleinen Sohnes. Ein Zugang steckte darin weil er vor wenigen Stunden eine Mandel OP hatte. Meine wurden entfernt, als ich 20 war, glaub ich. Ich erinnere mich bis heute an diese Schmerzen, an dieses Gefühl der eingerissenen Mundwinkel und an das Gefühl an meiner eigenen Sabber zu ersticken.

Und nun lag er dort. Mein damals vierjähriger Sohn. Nach der Mandelop. Ich begleitete ihn bis in den OP und war dabei als er seine Narkosemaske bekam. Nach Schokolade sollte die riechen. Ich sah wie er schnell nach hinten kippte und dann regungslos auf diesem sterilen OP-Tisch lag. Schluchzend verließ ich diesen Raum und ließ mein Kind zurück. Bei Menschen in weißen Kitteln. Die OP ging gut, knappe 90 Minuten später sahen wir uns im Aufwachraum wieder. Später ging es auf die Kinderstation. Tapfer wimmerte er etwas. Weiß wie die Wand. Ihm hätte meine ganze Aufmerksamkeit an dieser Stelle gebührt. Ich tat mein Bestes, aber ich konnte es nicht.
Am Morgen begleitete uns Simon mit in die Klinik. Am Nachmittag hatte er selbst einen Termin in „Seiner“. In der Ambulanz der Onkologie. Wir wussten bereits was dieser Arzt ihm sagen würde, weil unser Held seit Wochen immer stärker werdende Schmerzen hatte. Schmerzen, die wir kannten. Und wir wussten dass es nun an der Zeit sein würde Krabbe Kunibert zu rückzuwissen.
Mein Sohn schlief in meinem Arm. Ich saß auf einem Stuhl, er halbsitzend/halbliegend in meinem Arm. Mein Handy klingelte. Ich hörte ein Wimmern und die Worte „Rezidiv, er ist zurück.“ ich heulte leise weil ich nicht wollte dass das frischoperierte Kind in meinem Arm wach wird. Simon kam zurück in „unsere“ Klinik. Das Kind schlief immer noch. Er heulte auch und sagte, dass er damit Leben könnte, wenn ich in dieses Mal nicht ständig in der Klinik besuchen würde, dass es okay wäre wenn wir nicht immerzu telefonieren. Dass er es verstehen würde, wenn ich das alles nicht ein zweites Mal mitmachen würde. „Aber ich könnte nicht damit leben wenn Du jetzt gehst“, waren seine abschließenden Worte.

So standen wir da. Auf einer Kinderstation mit dem Wissen das Kunibert, das Multiple Myelom zurück war. Nur wenige Tage vor unsrem 8. Beziehungsjubiläum. Nur wenige Wochen vor Weihnachten, seinem Geburtstag und Silvester. Wenige Momente vor wichtigen Tagen, mit einem Kind im Krankenhaus wurde uns bewusst, dass der unheilbare Krebs meines Mannes rasant gewachsen war, es Metastasen gab und er befürchtete, dass ich nun gehen würde.
Keiner von uns Beiden ist gegangen. Er nicht obwohl ich wirklich, wirklich fies sein konnte. Und Ich nicht weil er eine Krankheit in sich trug. Die erste Chemo startete nur wenige Tage später. Wir suchten einen Stammzellspender. Wir fanden ihn nicht. Wir heirateten und lebten so, als könnte jeder Tag unser letzter sein.

Wir fuhren in den Urlaub, sammelten Erinnerungen. Irgendwann ließ ich mich krankschreiben um Simon besser helfen zu können.
1,5 Jahre später trennten sich unsere Wege doch. 18 Monate später sind wir Beide gegangen. Ohne dass es Einer von uns gewollt hätte. Alle Anstrengungen reichten nicht aus. Weder um Simons genetischen Zwilling zu finden noch um andere Alternativtherapien zu finden, die hätten helfen konnten.

In diesen 18 Monaten saß ich oft in einer Klinik. Und jedes Mal fühlte ich mich genauso hilflos und hoffnungslos überfordert wie bei der Mandelop meines Sohnes. Der kleine Batman isst seit seiner Mandelop keinen Kartoffelbrei mehr, er muss würgen, wenn er diesen nur riecht. Weil es dieses Gericht oft in der Klinik gab. Für seinen noch unfitten Hals war der auch noch kalt.
Und immer zu in diesen 1,5 Jahren wünschte ich mir, dass dies doch bitte auch bei Simon passieren sollte. Er soll einfach irgendwas ablegen, was er früher sehr geliebt hatte. Hauptsache es geht ihm endlich besser.
Im Juli 2018 geschah im Grunde genau das. Weil ich seine f***ing Gesundheitsfürsorge hatte und beschloss die Behandlung einstellen zu lassen. Ich entschied damit zu gehen. In eine andere Richtung als Simon. Ich entschied, dass er in eine andere Richtung gehen muss, als die die wir gern gehabt hätten. Ich entschied, dass es Zeit wurde dass Simon etwas abgeben/ablegen/zurücklassen müsste, dass er sehr liebt. Damit es ihm endlich besser geht. Uns.

Am 8.12.2016 wussten wir das Kunibert erneut gewachsen war und ahnten bereits, dass er nicht mehr gehen wird. Am 6.7.2018 starb mein Mann. Unsere Wege trennten sich in einer warmen Sommernacht. Keine Wolke war im Himmel zu sehen. Wir gingen friedlich und in Würde auseinander. Wir trennten uns von unserem Papa, meinem Mann, unserem Lieblingsmenschen, damit er nach 6 Jahren seiner Krebserkrankung endlich wieder Frieden finden konnte. Rock den Himmel, mein Held.
