Dein Päckchen, dein Eis mit bunten Streuseln, dein Ding

In den letzten Monaten und Wochen hatte ich oft Kontakt zu anderen Krebspatienten und/oder deren Angehörigen. Ich telefonierte aber auch mit Menschen, die andere Baustellen in ihrem Leben hatten und nicht mehr wussten, wie es weiter gehen soll. Frauen und Männer, die ihren Job verloren haben, die von ihrem Partner/ihrer Partnerin verlassen worden sind.

Als Simon starb, bzw. die Tage/Wochen/Monate/Jahre mit der Erkrankung zuvor wollte ich nur eins; Er sollte leben. So lange es geht. Egal wie. Es war eine Art egoistische Dauerschleife, weil ich mir gar nicht vorstellen konnte wie es ohne ihn sein würde. Dann starb er und ich hatte das Gefühl vor dem Nichts zu stehen. Dass dieses schmerzende Gefühl in mir nie wieder verschwinden würde. An manchen Tagen konnte ich kaum atmen. Dazu spürte ich diese unfassbare Erschöpfung aus der Zeit vor seinem Tod. Ich war der festen Überzeugung nie wieder glücklich sein zu können, dass diese Verzweiflung auf Ewig anhalten würde. Ich fragte mich auch, wieso alle Anderen einfach normal weiterleben konnten und wir nicht. Und wie sollte das jetzt eigentlich mit den Kindern funktionieren? Kindern, die traumatisiert waren, totunglücklich und überhaupt.

Bei Dir ist vielleicht Niemand gestorben. Vielleich hat Dein Lieblingsmensch die Beziehung mit dir plötzlich beendet. Ohne Abschied, ohne nette Worte. Einfach weg. Oder Dein Haustier, Dein Kinderersatz, Dein sozialer Fixpunkt ist plötzlich verstorben. Du hast Deinen Job verloren. Dein bester Freund stellt sich als Nullnummer heraus. Egal was es ist.

Irgendwann kommt fast Jeder Mensch in irgendeine Situation, die ihn verzweifeln lässt. Situationen von denen man glaubt, diese nie überstehen zu können. Das Wort „überleben“ wird plötzlich zu mehr als einem Wort, sondern zu einem Kraftakt.

Ich hab mich damals gefragt, wie andere Hinterbliebene den Tod des Partners überstehen konnten. Als ich den ersten Liebeskummer meines Lebens hatte, habe ich gedacht, dass ich nie wieder Jemanden so lieben könnte.

Ich will hier nicht Tod und Liebeskummer vergleichen. Viel mehr versuche ich grade zu erklären, dass es verschiedene Dinge im Leben gibt, die einem Menschen widerfahren kann. Und es ist völlig unterschiedlich wie sehr sich ein jeder Mensch von solch einer Situation belastet fühlt. Das subjektive Empfinden ist von Mensch zu Mensch verschieden. Deswegen sagte ich es hier schon öfter, dass ich nicht glaube, dass es „Päckchen“ gibt, die schwerer sind als andere. Vollkommen irrelevant worum es geht.

Was aber alle gemeinsam haben (lassen wir mal schwere, tödliche verlaufende Erkrankungen außenvor), ist die Tatsache, dass man diese Päckchen überleben kann. Auch wenn es sich am Anfang gar nicht danach anfühlt. Manches Mal braucht es professionelle Unterstützung, Anlaufstellen oder Beratungen. Hilfe an zu nehmen ist weder peinlich noch sollte es von außen belächelt werden. Wichtig ist das Durchhalten und die Hoffnung

Wenn ich jetzt Kontakt mit „frischen“ Hinterbliebenen habe, habe ich genug Abstand um dies aushalten zu können. Gleiches bezieht sich auf Kontakte zu akut an Krebs erkrankte Menschen. Und zeitgleich habe ich ein immenses Mitgefühl, versuche zu helfen wo ich kann weil ich weiß welche Scheißsituation das eigentlich ist. Ich bin dankbar nicht an einer der größten Krisen meines Lebens nicht zerbrochen zu sein. Ich bin dankbar, dass ich auch die erste Krise meines Lebens als Teenager überlebt habe. Beide Etappen in meinem Leben haben Spuren hinterlassen, die mich vermutlich zu einem anstrengendem Menschen gemacht haben. Aber auch zu der Person, die anderen Menschen, die aktuell solche Situationen erleben helfen möchte.

Beide Krisen meines Lebens sind völlig unterschiedlich. Bei beiden habe ich Wege, Rituale und Ähnliches für mich etabliert, die nicht immer von Außenstehenden verstanden worden sind. Rückblickend waren nicht Alle Lösungsstrategien für mich besonders clever, andere hingegen um so mehr. Es war mein Weg. Es waren meine Schuhe, in denen ich da gelaufen bin bzw. immer noch laufe. Meine Versuche und meine Hoffnung daran, dass irgendwann etwas Normalität zurückkehrt. Jemand Anderes kann ganz andere Dinge versuchen, die helfen können.

Von beiden Lebenskrisen sind, im wahrsten Sinne, Narben zurückgeblieben. Es gibt Tage, die mich gefühlt zurückwerfen und an denen ich wünschte, dass ich all das hätte nicht miterleben müssen. Manchmal wünschte ich mir Simon niemals kennengelernt zu haben. Weil ich dann nicht 6 von 10 Jahren Beziehung Todesangst hätte ausstehen müssen oder beschließen, dass Geräte abgestellt werden sollen. Hätte ich Simon aber nie kennengelernt, dann gäbe es den kleinen Batman nicht. Ich hätte viele schöne Dinge nicht erleben dürfen und ich hätte nicht gewusst, zu was mein Körper dank starker Gefühle in der Lage ist.

Die erste Krise meines Lebens, ich erzählte Euch mal in Bruchstücken davon, hat mich fast umgebracht. Auf der anderen Seite wäre ich ohne sie vermutlich nicht so früh nach Berlin gekommen. Ich hätte viele, mir liebe Menschen nicht kennengelernt. Ich wäre ein schüchternes Wesen wie früher geblieben. Ich bezweifle auch, dass ich in meiner alten Heimat Abitur gemacht hätte, geschweige denn danach zur Uni zu gehen.

Alle Dinge haben zwei Seiten. Wer weiß, was das Leben sonst für mich bereit gehalten hätte. Manchmal bedarf es ein paar Umwege um am Ende dort zu sein, wo man eigentlich hin will. Diese Umwege tun weh, auch heute noch. Aber der Schmerz ist ein anderer geworden. Mit Krise eins bin ich nahezu im Reinen. Mit der Krise zwei, der Tatsache, dass ich verwitwet bin….das kann ich nicht genau sagen. Es ist okay denke ich. Auch wenn es immer Mal wieder traurige Tage gibt.

Egal was einem Menschen widerfährt, wenn es sich subjektiv fast unaushaltbar anfühlt, dann ist es so. Dann ist das Schicksal für einen Moment scheiße. Egal welchen Weg dieser Mensch dann zu gehen versucht, solange er sich oder andere Menschen damit nicht gefährdet, dann ist es okay. Mich nervt dieses Vergleichen von unterschiedlichen Dingen, die im Leben geschehen können. Eine Gewichtung ist kaum möglich, weil jeder Mensch verbale Schläge ins Gesicht anders verarbeitet. Anstatt die Päckchen von Anderen zu relativieren, kann es hilfreich sein Hilfe anzubieten. Denn auf mehreren Schultern getragen, wirkt auch das größte Paket ein kleines bisschen leichter.

Als ich Teenager war, war mein versuchter Weg nicht unbedingt der Beste. Es brauchte etwas professionelle Unterstützung und einen Wohnortswechsel nur für mich.

Vor 2,5 Jahren führten wir zu Hause diverse Rituale ein, ihr wisst schon. Wir bemalten den Sarg, Die beisetzung hieß Abschiedsparty und wurde dementsprechend mit Musik von Volbeat begleitet. Die Kinder warfen Konfetti in das Erdloch, keine Erde. Wir schickten am Anfang jeden Freitag Luftballons in die Luft, wir feiern bis Heute jedes Jahr seinen Geburtstag im Zauberwald (Friedwald) mit Luftschlangen, Kuchen und Geburtstagkrone. Es gibt ein Papaglas in dem die Kinder schöne Dinge sammeln, die sie im Alltag finden. Das nehmen wir dann mit wenn wir in den Zauberwald fahren. Wenn wir im Urlaub sind , steigt dort mindestens ein Luftballon in die Luft und wir bringen immer einen Stein mit, der später zu Simons Baum kommt. Unser Umgang mit dem Tod mag ein anderer gewesen sein /ist ein Anderer als der „Übliche“. Wir wollten dass Simon nicht vergessen wird. Wir wussten wie schlecht es ihm in den letzten Monaten gegangen war und wir erinnerten uns zu jeder Zeit daran, welches Glück wir hatten trotz Krabbe Kunibert, trotz des Multiplen Myelom noch so viele Erinnerungen sammeln zu können.

Das Buch, was ich geschrieben habe. Oder die Aktionen in denen ich unterstützt habe …all das half mir. Weil ich ich nicht Nichts tun konnte. WEil ich ich damit irgendwie das Gefühl hatte wenigstens Anderen helfen zu können, wenn es bei uns nicht gereicht hat. Und weil ich tief in mir wusste, dass das Leben zwar manchmal unfair und schwer ist, aber ich total scheiße.

Leicht war und ist all das trotzdem nicht. Aber ich habe überlebt. Beide Male. Wir haben überlebt.

Es gibt gute Tage. Es gibt weniger Gute. Und ich würde den Weg, den wir in den letzten 2,5 Jahren gegangen sind wieder so gehen. Ich würde auch die Jahre davor den gleichen Weg gehen. Trotz diverser Fallgruben unterwegs.

ICH würde es so machen. Das heißt noch lange nicht, dass es auch der richtige Weg für Andere ist. Daher sind Vergleiche und Aufwiegen deplatziert. Dein Nachbar trägt sein Päckchen auf eine für Dich sonderbare Weise? Das ist okay, sein Päckchen. Sein Weg. Du trägst andere Schuhe mit denen Du Deine Päckchen tragen musst.

2 Gedanken zu „Dein Päckchen, dein Eis mit bunten Streuseln, dein Ding

  1. Deine Blogbeiträge rütteln irgendwie immer wieder in mir, an Tagen wie heute (wenn irgendwie alles doof ist) erdest du mich irgendwie und rufst mir ins Gedächtnis zurück das es ja doch weitergeht und das irgendwann alles etwas besser wird.
    Ich danke dir für eine liebevollen Beiträge

  2. Liebe Ines,
    vielen Dank dafür. Ich wünschte, jeder Mensch würde diesen Artikel lesen und verinnerlichen. Wie oft habe ich schon erlebt, dass andere meine Probleme herunterspielen – aber wenn ich dann mal ins Detail gehe, sprichwörtlich die Hosen runterlasse und alles haarklein ausbreite, dann möchte doch keiner mit mir tauschen. Ich übrigens auch nicht, aber ich vermisse den Respekt vor anderen Menschen und ihren ganz eigenen Problemen und Baustellen.
    Liebe Grüße
    Miriam

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