Was Dir vor dem Tod eines Angehörigen Niemand gesagt hat

Ich hatte irgendwann schon Mal über ein ähnliches Thema geschrieben. Dennoch gibt es dazu weitere Ergänzungen. In meinen bisherigen Leben hatte ich das Glück, noch nicht so viele Lieblingsmenschen verabschieden zu müssen. Simon, mein Mann war einer dieser Menschen, bei denen es ich dann doch tun musste. Und dann auch gleich richtig

Er war schwer krank. Einige Jahre lang. Mit guten und schlechten Phasen. Ich wusste, dass er sterben wird. Irgendwann. Aber ich verdrängte diesen Gedanken. Als irgendwann klar war, dass dies in absehbarer Zukunft geschehen wird, wurde ich irgendwann von den Sozialarbeitern und der Seelsorge (die ich zuvor noch nie gesehen hatte) gefragt, ob ich vorbereitet wäre. Diese Leute meinten damit ob ich sämtliche Vollmachten hätte, ob die Kinder bereits in einer Trauerbegleitung angebunden sind, ob wir einen Bestatter haben oder ob Simon und ich darüber gesprochen hatten, wie er sterben möchte, ob er er lebenserhaltene Maßnahmen will. Ich konnte zu allem ja sagen. Nur zu dem Bestatter nicht, denn darum hatten wir uns bisher nie gekümmert. Ich wusste damals auch gar nicht wie das eigentlich funktioniert. Ruft man da einfach irgendwo an und sagt: „Hey, mein Mann wird bald sterben, können Sie ihn dann beerdigen?“ Ich hatte keine Ahnung.

(Foto von Pixabay)

Das waren die Fragen auf meine Vorbereitung. Ob es da irgendeine Art von Sicherheitsnetz für mich geben würde. Oder ob ich mir Mal Gedanken gemacht habe, wie ich die erste Zeit überleben könnte. Diese Fragen gab es nicht. Kurz vor dem Tod meines Menschen, werden die Angehörigen oft vergessen. Es wird auf Organisatorisches hingewiesen aber ein wirkliches Sicherheitsnetz gibt es nicht. Gleiches gilt oft leider auch bereits viel früher, dann wenn der Tod noch nicht an die Tür klopft sondern erst auf dem Weg ist.

In der Schule lernte ich wie Menschen auf die Welt kommen, wie das aussehen könnte und das es für Menschen, aus dessen Gebärmutter gleich ein Kind rausrutscht, körperliche Schmerzen bedeutet. Die Angehörigen fühlen sich oft überfordert, weil sie nicht wissen, wie sie helfen können.

Über den Tod lernte ich Nichts. Außer, dass Jeder irgendwann mal sterben wird. Und dann passierte genau das plötzlich. Knapp drei Wochen vor meinem 34. Geburtstag. Mal abgesehen davon, dass keine zwei Minuten nach seinem festgestelltem Tod, der Arzt erneut nach dem Bestatter fragte, hatte ich keine Ahnung was jetzt eigentlich passieren wird. Diese bürokratische Welle setzte sich von fast allein in Bewegung. Die vielen Anträge die es nun zu stellen galt, dafür brauchte ich Hilfe.

Und plötzlich…war da Nix. Rein gar nix. Mein Kopf war leer. Ich wusste nicht, wie ich die 24 Stunden eines Tages rumbekommen sollte, die vorher mit der Pflege von Simon und den Kindern gefüllt waren. Die Kinder waren noch da. Oh Gott, die Kinder! Wie zur Hölle soll dass denn jetzt gehen? Und mein Job, was ist eigentlich mit dem?

Die Beisetzung. Wie „feiert“ man so etwas? Und wer hat eigentlich gesagt, dass das immer und unbedingt in schwarz sein muss.? Und Wieso wurde nie irgendwo gesagt, dass eine Sterbegeldversicherung echt Sinn gemacht hätte?

Es kommen eine Menge Gefühle. Kurz bevor mein Mann verstarb dachte ich „okay, die erste Zeit wird schlimm. Aber so nach nem Jahr oder 6 Monaten ist es überstanden. Dieses Trauern. Hört sich dämlich an, oder? Richtig. War es auch. Aber das ist in etwa auch dass, was viele um einen herum erwarten. „zu kurz“ trauern ist lieblos und seltsam.

ist die Trauer „zu lang“, also alles ab einem Jahr, dann versinkst Du in Selbstmitleid, verlierst Dich und bekommst sowieso nix mehr auf die Reihe. Das Leben ginge ja schließlich weiter, Du musst einfach stark sein.

Keiner sagt Dir was von der „Gesellschaft“ als angemessen empfunden wird. Keiner sagt Dir, dass die Idee, das Trauer nach Zeit x abgeschlossen ist, zwar ein schöner Grundgedanke ist, aber utopisch. Es ist eher wie eine Schlangenlinie, die sich irgendwie durchzieht.

Trauer verändert sich mit der Zeit. Mein Mann starb vor 2 Jahren und 7 Monaten. Und es gibt bis Heute Tage, die so richtig bäh sind. Es gibt Tage in denen es Blitzt in meinem Kopf und plötzlich sind da wieder Bilder vor mir. Bilder aus der Zeit in der Klinik. Des Moments, in dem ich unterschrieb, dass er gehen darf. Bilder von einem schmerzverzerrtem Gesicht und einem Menschen, der vergessen hatte wer ich eigentlich bin. Aber es wird weniger. Viel weniger.

Niemand hat mich je darauf vorbereitet, wie sich so ein Verlust eigentlich anfühlt. Dass es die ersten Momente so schwer zu ertragen ist, dass man denkt es nicht überleben zu können. Der Tag an dem Simon starb, rief mich meine Mutter in Dauerschleife an, weil sie befürchtete. dass ich in der KLinik zusammenbreche oder einen Nervenzusammenbruch bekomme. Es geschah zum Glück nicht. Aber der Schmerz war da, teilweise so schlimm, dass ich mir gewünscht hatte an der Stelle meines Mannes zu sein. Ich wusste nicht, wie ich es jemals aushalten soll, die zu sein, die übrig geblieben ist.

Ich war sauer. Auf ihn. Und auf seine Freunde. Jeder von denen saß am Abend mit dem Partner/der Partnerin zusammen. Sie hatten sich gegenseitig. Jemand war der, der den Anderen trösten konnte. Ich hatte das nicht.

Dann fühlte ich manchmal Erleichterung, weil mein Leben jetzt nicht mehr von einer Erkrankung fremdbestimmt worden ist. Erleichterung, weil ich keine Angst mehr davor haben müsste, dass er stirbt. Denn das war ja bereits geschehen.

Und es kamen noch jede Menge andere Gefühle in mir hoch, die ich zuerst gar nicht zuordnen konnte.

Das erste Jahr verging. Alle Feiertage waren einmal durch. Niemand hat mir gesagt, dass es passieren kann, dass das zweite Jahr viel anstrengender werden kann. Weil sich alles echter anfühlte. Weil ich das 2.Weihnachten nichts „unter Zwang“ anders machen musste. Weil „Feiertage“ und Jahrestage plötzlich irgendwie realer waren. Im ersten Jahr waren dies Tage, die ich unbedingt anders machen wollte als früher. Im zweiten Jahr war genau dieses früher schon eine gefühlte Ewigkeit her, das schmerzte. Im zweiten Jahr war ich in der Realität angekommen. Kein Luftkissenpolster um uns herum. Es war wirklich real. Ich bin alleinerziehend. Weil ich verwitwet bin. Und ich verstand gar nicht, wieso Andere gar nicht mehr über Simon sprechen konnten.

Jetzt bin ich im dritten Jahr. Im Juli jährt sich Simons Todestag das dritte Mal. Wenige Tage später feiere ich meinen Geburtstag. Das dritte Mal ohne ihn.

Jetzt ist es fast schon etwas alltägliches. Alltag ohne den Mann, den ich geheiratet habe. Alltag als Alleinerziehende und somit auch Alltag sämtliche Entscheidungen allein treffen zu müssen.

Es sagte auch Niemand, dass es okay ist irgendwann wieder den Wunsch nach einer neuen Beziehung zu haben. Aber dass das gar nicht so einfach ist. Zumindest nicht in meiner Altersklasse. Oder einfach weil ich nun mal ich und damit ziemlich kompliziert bin.

In die Situation als Angehörige eines schwer kranken Mannes bin ich irgendwann hineingewachsen. Auch dabei wusste ich oft nicht, wie das eigentlich alles funktionieren soll. Es funktionierte. Mehr aber auch nicht. Meine Therapeutin meinte mal, dass ich da Raubbau mit meinem Körper betrieben habe. Aber es gab einfach Niemand Professionellen, dem ich hätte erzählen können, dass ich kurz davor war unterzugehen.

Dann war ich Hinterbliebene. Ich hätte früher nie gedacht, dass ich mit Mitte 30 verwitwet sein könnte. Mein Plan fürs Leben sah anders aus. Aber mein Leben zeigte mir schon öfter, dass ihm meine Pläne sowieso egal sind. Kurz nach dem Tod meines Mannes hatte ich das Gefühl, dass das irgendwie passt. Dass noch nie irgendwas, irgendwie auf Dauer gut lief. Und dass ich eigentlich schon jetzt auf die nächste Katastrophe warten könnte.

Von diesem Gedanken hab ich mich inzwischen verabschiedet. Irgendwelche Katastrophen werden sicher irgendwann wieder passieren. Wie bei Jedem Anderem auch. Das Warten darauf wird es nicht verhindern können.

Niemand sagt Dir vor oder nach dem Tod eines Lieblingsmenschen, welches Verhalten noch gesund ist. Oder ab wann Du Hilfe brauchst. Niemand zeigt Dir, wie Du 24 Stunden eines Tages rumbringen sollst, wenn Du denkst, dass Du nicht atmen kannst.

„Sie müssen jetzt stark sein“

„Es wird besser“

„Das Leben geht weiter“

„Sie sind nicht allein, Sie haben zum Glück noch Ihre Kinder“

Du musst nicht stark sein. Es wird anders. Das Leben wird ein Anderes. Ihre Kinder brauchen Sie, können wir Ihnen helfen die richige Unterstützung zu finden?

Das wären grandiose Ansätze eines/einer Psychonkologen/In. Oder von Ärzten. Dass sind die Menschen, die in der Klinik umherlaufen und für die, die Angehörigen oft durchsichtig zu sein scheinen.

Niemand hat Dir je gesagt, wie ein Leben ohne Deinen Lieblingsmenschen aussehen kann. Ich kann es Dir auch nicht sagen. Aber es ist okay, vollkommen okay Hilfe einzufordern. Sich Hilfe und Unterstützung zu suchen. Hilfe um sich die Frage selbst beantworten zu können.

Dein Leben wird ein anderes sein. Und irgendwann muss genau das nicht unbedingt schlecht sein.

Ein Gedanke zu „Was Dir vor dem Tod eines Angehörigen Niemand gesagt hat

  1. Liebe Ines,
    ich lese seit ca 3 Jahren deinen Blog und ich erkenne mich und meine Lebensumstände in vielen Bereichen wieder. Auch ich bin verwitwet und alleinerziehend mit 2 Kindern; seit September 2018. Mein Mann bekam plötzlich den selben Krebs, von dem er seit ca. 15 Jahren geheilt war. Und keiner erkannte ihn, 3 Tage vor seinem Tod kam die Diagnose. Das war alles heftig!!! Habe seit dem sehr viel erlebt. Sowohl positiv als auch negativ. Das Leben geht weiter. Aber: Es ist ein anderes!

    Liebe Grüße aus Bielefeld,
    Steffi

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