Lieber Simon

Triggerwarnung: In diesem Blogpost geht es unter Anderem um den Tod, bzw. die Monate zuvor. Sollte es Dir mit diesem Thema nicht gut gehen; dann lese bitte nicht weiter.

Lieber Simon,

Heute ist der 13. März 2021. Heute vor 3 Jahren wussten wir, dass Krabbe Kunibert all die Alternativtherapieversuche egal gewesen sind. Einen Stammzellspender für Dich gab es immer noch nicht und es reihten sich diverse andere Therapien aneinander. Plan B, c, D, E und immer so weiter. Heute vor drei Jahren hatte sich Dein Lambda Leichtkettenwert; Dein Kunibertwert im Blut quasi über Nacht verdoppelt. Du bist in eine Studie gerutscht mit irgendwelchen Antikörpern. Abgesehen davon dass auch die nichts brachten, hat es Dich innerlich vergiftet. Deine Blutwerte waren ständig im Keller. Zu Dieser Zeit brauchtest Du ein bis zwei Bluttransfusionen, oder Bestandteile davon täglich. Später fast täglich.

Vor drei Jahren solltest Du Dir zu Hause selbst Spritzen setzen. Um Deine weißen Blutkörperchen davon zu überzeugen sich doch etwas öfter zu teilen und zu vermehren. Du konntest es nicht. Stattdessen habe ich zu diesem Zeitpunkt eine Einweisung vom Pflegeleuten bekommen, wie das geht. Du wolltest keinen Pflegedienst. Ich wurde zu Deiner Krankenschwester. Noch etwas mehr als vorher. Neben diesen Spritzen wusste ich irgendwann auch auch wie das mit dem Port funktioniert, wie die die parentale Nahrung in Deinen Körper gelangt, wie die Grundpflege funktioniert und Ähnliches.

Unsere Beziehung hat sich verschoben. Wir waren damals 8 Monate verheiratet. 9 Jahre und drei Monate ein Paar. 5 Jahre und 9 Monate davon führten wir eine DReierbeziehung mit Deinem Multiplen Myelom. In guten, wie in schlechten Zeiten. Wir rockten das.

Wenn Dein Immunsystem zu weit hinunter gefahren war, musstest Du in die Klinik. Wenn ich Schnupfen bin ich zu Hause mit einer FFP2 Maske rumgelaufen. Wenn Dein Immunsystem so mittelmäßig unterwegs war, trug ich das Ding ebenso. Daher, bitte verzeih wenn ich grade nur ein müdes Lächeln für Menschen übrig habe, die sich aufgrund von Mundschutzdingern in ihrer Freiheit beraubt fühlen. Ich kann es einfach nicht mehr hören.

Obwohl…Unsere Kinder gehen im Moment nur Stundenweise in die Schule. Maskenpflicht auch im Unterricht. Die Kids tragen ihren Mundschutz völlig selbstverständlich, da sie bereits vor der aktuellen Pandemie wussten, dass sie damit andere, schwächere Menschen schützen können. Sie tragen die Teile mit stolz, ja wirklich. Bisher konnten in der Schule in die normalen, genähten Dinger getragen werden. Der medizinische Mundschutz wurde für die Kinder nur in den öffentlichen Verkehrsmitteln und im Supermarkt benötigt. Nun ist es aber so, dass ab Montag auch ein medizinischer Mundschutz in der Schule nötig sein wird. Besonders den kleinen Batman triggert das sehr. Außerdem sind ihm die normalen medizinischen Dinger viel zu groß. Trotz Bändchen kürzen und solche Dinge. Ich hab nun im Internet bunte Einmalmasken für Kinder bestellt, bis diese hier sind, wird auch unser Sohn erstmal mit den großen Masken überbrücken müssen. Die Optik triggert, weil er die bereits in seinem Leben tragen musste. Mit 4 und 5 Jahren. In Zeiten, als es Dir besonders schlecht ging. Schick ihm doch etwas kraft, dass er dies nun erneut aushalten wird.

Die Einhornbändigerin wird bald 13. Es wird ihr zweiter Geburtstag in einer Pandemie. Der zweite Geburtstag ohne eine Party mit ihren Freunden. Vor drei Jahren fieberte das große Mädchen auf ihren 10. Geburtstag hin. Auch den konnte sie nicht mit ihren Freunden feiern. Damals hatten wir unsere ganz eigene Pandemie; Kunibert hieß sie. Dir ging es so schlecht, Deine Blutwerte waren miserabel so dass wir inkl. der Einhornbändigerin damals andere Baustellen hatten. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich den Kindern und besonders unserer Tochter dieses Erlebnis damals nicht ermöglichen konnte. Aber immerhin sind wir an ihrem Geburtstag mit einer Limousine zum Fernsehturm gefahren. Du hattest einen guten Tag und konntest uns begleiten. Die Tage danach waren eher so semi. Mein Tag hätte mehr als 24 Stunden gebraucht irgendwie. Dieses Jahr kommt nun erneut ein Geburtstag, der so ganz anderes verlaufen wird, als sie es sich gewünscht hätte. Ich hoffe, dass die Coronazahlen bis dahin etwas stabiler sind und wir zumindest eine kleine Party mit wenigen Kindern, äh Entschuldigung, Teenagern machen können.

Vor drei Jahren um diese Zeit haben wir angefangen darüber zu reden, wie Du Dir Deine letzte Reise vorstellst. Was Du Dir wünscht, ob Du an Maschinen hängen möchtest oder nicht. Ob Du in ein Hospiz gehen oder zu Hause bleiben möchtest. Und auch ob Du in einem Sarg auf einem Friedhof liegen möchtest oder irgendwo ganz woanders. Das waren schwierige Gespräche. Und wir hatten auch nicht damit gerechnet, dass diese Themen schon ganz bald bittere Realität werden würden. Ich blieb zu Hause um mich um Dich kümmern zu können. Denn Du wolltest zu Hause bleiben. Wir bekamen eine Patientenverfügung, die Du aber nie ausgefüllt hast. Stattdessen hast Du begonnen viel, sehr viel einzukaufen. Online. Klamotten für Dich, Gimmicks für Zuhause. Später stellte sich heraus, dass Du auch einen Kredit aufgenommen hast. Die Klamotten hast Du nie getragen. Einige Paar Schuhe habe ich aufgehoben, vielleicht gefallen sie den Kindern, wenn sie groß genug sind. Ich glaube unterbewusst hast Du deutlich früher als ich gemerkt, dass es bald Zeit werden würde Abschied zu nehmen. Für immer. Du konntest kaum noch etwas machen, dieses Onlineshoppen war wie ein kleiner Urlaub für Dich. Ich verstand das damals nicht, wir stritten oft darüber weil unsere Rücklagen immer kleiner wurden. Inzwischen tun mir diese Streiterein Leid und ich kann nachvollziehen warum Du damals so gehandelt hast, bitte verzeih mir diese Fehltritte.

Einige Zeit später wuchs da etwas in Deinem Brustkorb, in Deinem Bauch und auch in Deinem Kopf. Du hast mir Deine Gesundheitsfürsorge übertragen, weil sonst ein gerichtlicher Betreuer gestellt worden wäre. Du warst nicht mehr in der Lage Dinge selbst zu entscheiden. Ich danke Dir bis Heute für Dein Vertrauen.

Heute vor drei Jahren schlitterte unser Leben immer schneller in eine Richtung, die wir lange nicht wahrhaben wollten. Wir könnten nicht verstehen, dass einfach kein Medikament Dir helfen konnte. An guten Tagen sind wir zu unserem Eisladen gegangen; Eis mit bunten Streuseln mochtest Du auch immer sehr. Oder wir haben uns Abends zusammen Filme im Fernsehen angesehen oder am Morgen als Familie zusammen gefrühstückt. Kurz bevor Du ein letztes Mal in die Klinik gekommen bist, haben wir mit Freunden zusammen gegrillt.

An schlechten Tagen hast Du nur geschlafen oder warst grummelig. Ich habe dann immer versucht mit den Kindern so viel Zeit wie möglich draußen zu sein, damit Du die Ruhe finden konntest, die Du gebraucht hast. An richtig schlechten Tagen musstest Du in die KLinik. Deine Tag-/ Nachtrhythmus verschob sich irgendwann. Am Tag hast Du geschlafen, Nachts warst Du wach. Wir haben dann vor der Tür gesessen, in Decken eingewickelt und darüber philosophiert ob der Pizzalieferservice wohl Nachts um Drei vor unser Haus liefert. Er tat es übrigens nicht. Wir passten unsere Bucketlist unserer Situation an, um noch ein paar Punkte „abarbeiten“ zu können.Plötzlich standen da zwei Schaukelstühle in unserem Garten; danke liebste Nachbarn. Die Ostseeoma brachte einen kleinen Pop Up Pool mit, da das mit dem Urlaub wohl nicht klappen würde.

Die letzten Monate Deines viel zu kurzen Lebens liegen wie unter einem Schleier. Zum einen waren sie furchtbar. Deinem Zerfall zuzusehen hat mir sehr zugesetzt. Diese permanente Angst, dass Du einfach tot umfallen könzest hat uns alle fast verzweifeln lassen. Auf der anderen Seite haben wir diese Monate sehr bewusst wahrgenommen und immer versucht das Beste, was irgendwie möglich war herauszuholen.

Irgendwann im letzten Jahr hat mal Jemand gesagt, dass Du mein Exmann wärst. Ich habe viele Wochen über dieses Wort nachgedacht. Es stimmt, Du bist nicht mehr da. Das Leben hat uns getrennt und ich habe mich nach Deinem Tod zwischendurch mit Jemand Anderem getroffen. Aber „Exmann“; das Wort passte irgendwie trotzdem nicht. Wenn ich von Dir rede benutze ich Deinen Vornamen oder sage dass Du mein verstorbener Mann bist. Das hört sich irgendwie besser an, findest Du nicht? Bis heute kann ich an manchen Tagen einfach nicht verstehen, was da eigentlich passiert ist. Manche Dinge erscheinen mir immer noch absolut surreal. Nicht unbedingt die Tatsache, dass Du verstorben bist. Viel mehr Dinge aus der Zeit davor. Diese Pflege, diese vielen Medikamente die ich Dir zum Teil verabreichen musste/durfte. Unsere Hochzeit und die monatlichen Hochzeitstage, in der Hoffnung so zur Silberhochzeit zu kommen. Die Gespräche, die wir am Ende hatten. Du hast mich immer nach meinem roten Ferrari gefragt. Oder hast von den Affen erzählt, die auf meiner Brille schaukeln. Oder diese Botenstoffe, die in deiner parentalen Ernährung enthalten sein sollten. Ich frage mich immer noch, wie Dein Hirn auf all diese Ideen gekommen ist. Diese Gespräche waren skurril aber auch nett irgendwie. Weil es jedes mal wie eine Art Traumreise war. Im übrigen mein Held, ich habe bis heute keinen Führerschein gemacht. Mein Ferrari ist immer noch das Lastenrad vor der Tür, dass immer noch zwei platte Reifen hat.

Die Situation, als Du vor mir, beatmet im Bett gelegen hast und ich zu der Ärztin sagte, dass Du das so nicht gewollt hättest, ist aber so ziemlich das Seltsamste von Allem. Nie hätte ich gedacht, mal in einer Situation zu sein, die ich nur aus amerikanischen Arztserien kenne.

Heute ist der 13. März 2021. Lockdown. Pandemie. Es nervt und überfordert mich. Und trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass es nicht die erste Pandemie, der erste Lockdown ist, den wir hier als Familie erleben.

Hab es schön im Himmel, schick uns gern ein paar Sonnenstrahlen. Wir können die grade wirklich gut gebrauchen. Rock den Himmel. mein Held. Wir denken an Dich.

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