Und Bähm

Es ist 2008. Herbst fast Winter. Draußen ist es kalt. Ich bin nervös, Du bist es auch. Wir sind verabredet. Bei mir zu Hause. Wie immer tickt meine Uhr etwas anders als Deine. Es klingelt und Du kommst rein. Heute lernst Du die Baby Einhornbändigerin kennen. Ein kleines Mädchen, etwas älter als ein halbes Jahr. Du hast ihr so ein Quietscheding mitgebracht. Du bist zu spät dran, weil Du Dich hast vorher im Spielzeugladen hast beraten lassen. Das kleine Mädchen freut sich, nuckelt darauf rum um Dir danach ihre kleinen Ärmchen entgegen zu strecken.

Nach unserem ersten Date hast Du mir erzählt, dass Du nie Kinder wolltest, weil Dir die Verantwortung zu viel sei. Du sagtest das wohlwissend, dass ich eine Tochter habe. Wir beschlossen, dass es nichts richtiges mit uns werden würde. Denn auch sonst waren wir total unterschiedlich. Aber jetzt hälst Du grade meine Tochter auf Deinem Arm. Ein kleines Mädchen, dass Dich später zuerst „Momo“ nennen wird und später sogar Papa. Du hälst ein Mädchen auf dem Arm, dass Du in vier Jahren zur großen Schwester machen wirst.

Und bähm. Es ist 2012. Sommer. Dickbäuchig sitze ich neben Dir in einem Arztzimmer. In einer Klinik. Du warst zuvor noch nie in einem Krankenhaus. Du warst noch nie zuvor ernsthaft krank oder hast Dich stark verletzt. In meinem Bauch strampelt der Junge, der ein mal ein echter Batman werden möchte. Wir sitzen da in diesem Zimmer und versuchen die schwüle Luft auszuhalten. Multiples Myelom hören wir. Bösartige Erkrankung des Knochenmarks. Lebenserwartung von xy Jahren. Chemotherapie und Stammzellspende. Wirbelbrüche der Wirbelsäule .OP. Bostenkorsett. Das Baby im Bauch hörte auf zu strampeln. Du wurdest blass und ich fragte nach, ob sie vielleicht die Patientenakten vertauscht hätten. Das konnte alles gar nicht stimmen. Du hattest diese Schmerzen doch nur weil Du einen Bandscheibenvorfall hattest.

In den nächsten Tagen warst Du vom Morphin so weit weg, dass wir nicht darüber reden konnten. Irgendwann danach schob ich Dich mit einem Rollstuhl über das Krankenhausgelände. Wir haben uns in den Schatten gesetzt und Klinikkaffee getrunken. „Du sag mal, Krebs ist das aber nicht, oder?“, hörte ich Dich fragen. Im ersten Moment schwieg ich. Du hast Deine Frage wiederholt. „Doch, ich glaube schon. Darum hast Du bereits den ersten Chemoblock bekommen. Da folgen noch ein paar“, sagte ich und verschwieg, dass das Multiple Myelom nicht heilbar war. Das erzählten Dir die Ärzte und ich einige Tage später.

Und bähm. Es ist 2017. Krabbe Kunibert, so nannten wir das Myelom, ist bereits seit dem Ende des letzten Jahres zurück. Es ist gewachsen. Du bist symptomatisch und alle Therapieversuche schlugen fehl, so dass Du eine Stammzellspende brauchst. Es gab verschiedene Aktionen zusammen mit der DKMS, damit sich Menschen als potentieller Stammzellspender registrieren. Um so Deinen genetischen Zwilling zu finden, der uns etwas mehr Zeit geben kann. Dein Körper ist erneut geprägt von einer Hochdosischemo und diversen Chemoblöcken. Dein Sternum war dieses Mal gebrochen, ein paar Rippen auch.

Wir heirateten. Spontan. Wer weiß, wie lange wir noch Zeit dazu haben. Wir wollten das, also taten es einfach. Wir fuhren in Urlaube, zum Teil begleitete uns medizinische Unterstützung. Wir lebten. So wie nie zu vor. Wir lebten um unser Leben.

Und bähm. Es ist 2018. Juli. Es ist so ein heißer Sommer wie lange nicht mehr. Deinen Stammzelspender haben wir nicht gefunden. Du bist gestorben. Auf einer Intensivstation. Nachdem die medizinische Unterstützung auf meinen Wunsch hin nach und nach runter gefahren wurde. Am Abend, wenige Minuten bevor Du zuvor intubiert und ins Koma gelegt worden bist, hast Du mich anrufen lassen. Du dachtest, dass Du etwas zum schlafen bekommst und morgen wieder aufwachen wirst. Ich stimmte Dir zu. Wünschte Dir eine gute Nacht und die Besten Träume aller Zeiten. Ich sagte auch, dass es Dir morgen wieder besser gehen würde.

Am nächsten Tag unterschirieb ich, dass Du nicht mehr aufwachen wirst. Weil wir vor langer Zeit mal darüber gesprochen haben. Was Du willst und was nicht.

Du bist gestorben. Absehbar. Und doch einfach so. Du warst nicht allein, das tröstet. Wenige Tage danach durfte ich Dich nochmal sehen. Am 23.7 bist Du ins Krematorium gefahren. Krabbe Kunibert hat uns an meinem Geburtstag verlassen. Für immer. zusammen mit Dir. Auch für immer.

Wir haben ein großes Lagerfeuer zu Hause gemacht, Kunibert doppelt verbrannt und versuchten irgendwie zu verstehen, was da eigentlich passiert ist.

Und bähm. Es ist 2021. Du bist drei Jahre Tod. Ich weiß das. Dieses Jahr wird es kein Lagerfeuer für Dich geben. Weil wir das Haus grade nicht verlassen dürfen. Ich hoffe, dass ich ein paar Luftballons für Dich besorgt bekomme.

Du bist tot. So richtig tot. Seit drei Jahren schon. Du bist tot. Davor warst Du lange krank. 10 Jahre Beziehung. 6 Jahre davon warst krank. ein Jahr verheiratet.

Du bist wirklich tot, unwiederbringlich. Ganz in echt. Und manchmal muss ich mir das wieder in Erinnerung rufen. Weil all das ab und an immer noch unfassbar ist.

May the Force be with You

Ein Gedanke zu „Und Bähm

  1. Ich habe deine/ eure Geschichte die ganze Zeit verfolgt und doch schießen mir grade Tränen in die Augen. Ich umarme euch aus der ferne, du starke, mutige ,tolle Frau und Mutter . Niemand sollte so etwas erleben müssenn…..

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