Liebster Simon, manche Dinge ändern sich nicht

Heute ist der erste Dezember. Meine Vorfreude auf die nächsten Wochen ist ähnlich der Vorfreude auf eine Arzttermin. Immerhin habe ich die Adventskalender der Kids rechtzeitig fertig bekommen. Das ist doch schon mal was.

Liebster Simon, bis gestern hat der kleine Batman in Quarantäne gesessen, ich mit ihm. Homeschooling, nicht ausgelasteter Bewegungsdrang, keine Freunde zum spielen; das volle Programm.

Heute ist der Alltag wieder eingekehrt. Schule, Job und das Chaos im Haus sind zurück. Es ist Dezember geworden. Früher war das mal unser Monat, erinnerst Du Dich? Unser Jahrestag, Dein Geburtstag, Weihnachten, Silvester und all das. Ich muss Dir leider sagen, dass ich immer noch mehr Grinch bin als das ich freiwillig Weihnachtslieder singe.

Unser Baum steht übrigens trotzdem schon. Hier hängen Lichterketten rum und Wichtelfiguren strahlen mich an. Während ich meine Übelkeit unterdrücken muss, rasten die Kids förmlich aus vor Freude. Daran hat sich seit damals nichts verändert. Aber das kannst Du Dir sicher vorstellen. Die Kinder lieben es, ich gebe mir Mühe, es für sie auch liebenswert zu lassen. Also auch wie immer. Du kennst mich.

Ansonsten schreit der Alltagsstress uns förmlich ins Gesicht. Das große Kind schreibt in der Schule einen Test nach dem Nächsten. Die Lehrer*innen scheinen noch schnell Noten sammeln zu wollen, falls die Schulen doch früher schließen müssen. Das kleine Kind spielt in der Weihnachtsaufführung seiner Klasse mit. Die Rolle findet er toll. Die Tatsache, dass dazu ein Kostüm gehört eher so semi.

Übrigens hat unser Sohn das Fußballspielen für sich entdeckt. Ja, wirklich! Er würde mit seinen Torwarthandschuhen am liebsten ins Bett gehen. Und nun wünscht er sich unbedingt echt Fußballschuhe. So richtig, richtig coole.

Das große Mädchen findet Mangas ziemlich cool. Sie liest diese, malt sie und würde am liebsten selbst eine dieser Animefiguren sein. Alles was aus Japan kommt ist plötzlich „voll korrekt“ und wenn ich mit ihr Bubbeltea trinken gehe, bin ich eine „Ehrenmutter“ Schule findet sie langweilig, ist aber trotzdem ganz gut darin. Seit dem Sommer geht das große Mädchen nun auf eine neue Schule und hat dort bestens Anschluss gefunden. Drück ihr doch die Daumen, dass das so bleibt, deal?

Und bei mir…Joar. Auf der Arbeit ist es anstrengend zur Zeit. Jeder redet über Jeden. Jeder findet irgendwen doof aber Niemand spricht es an. Naja. Ansonsten ist es ganz okay denke ich. Ich habe nur teilweise das Gefühl gegen Windmühlen anzukämpfen.

Achso, nach dem Geschirrspüler und dem Tablet gibt nun auch langsam der Laptop auf. Ganz, ganz toll.

Ich schlafe übrigens seit knapp zwei Monaten wieder in unserem/ meinem Bett. Das tat ich das letzte Mal irgendwann 2017. Als Du immer kränker wurdest, konnte ich irgendwann nicht mehr neben Dir schlafen. Weil es anders gerochen hat. Weil Du manchmal um Dich geschlagen hast. Nach Deinem Tod konnte ich erst recht nicht in diesem Bett schlafen, obwohl es doch eigentlich so neu war. Selbst Du hast nicht oft darin gelegen.

Aber jetzt geht das irgendwie. Mal gut, mal weniger. Aber ich arbeite an mir. Mein Rücken dankt es mir.

Heute ist Mittwoch. Noch zwei Tage, dann ist schon wieder Wochenende. Vielleicht werden wir dann Plätzchenbacken um sie hinterher so mit Zuckerzeug dekorieren zu können, dass vom Keks selbst nichts mehr sichtbar ist.

Weißt Du, ich mag den Dezember nicht. Darüber trösten mich auch die Lebkuchen nicht hinweg. Es ist kalt. Ich gehe im Dunklen aus dem Haus und komme zurück wenn es wieder dunkel ist. Jaja ich weiß, dass das mein übliches Winter-Mimimimimi ist. Auch das hat sich nicht verändert.

Grade in dieser Zeit, in der ich anstrengende Phasen im Alltag habe oder mir die Medien ständig vermeidlich glückliche Familien um die Ohren ballern, die zusammen unter einem Nadelbaum stehen, fehlt mir dieses Zweisamkeitsding. Austausch, eine Hand die meine hält oder eine Stimme, die mich daran erinnert meinen Schal einzupacken weil es so kalt geworden ist.

Ob diese Familien, die da unter einem Baum stehen wissen, dass das nicht selbstverständlich ist? Ab und zu würde ich am liebsten losbrüllen und sie fragen, ob das deren Ernst ist.

Es ist wie es ist. Alltag nennt sich das, glaub ich.

Weihnachten werden der kleine Batman und ich allein verbringen. Das große Kind ist bei Papa 1. Das wird schon werden irgendwie. Aufgrund der aktuellen C-Lage werden wir weder meine noch Deine Eltern besuchen bzw. sie uns. Ich möchte nicht für die Erkrankung eines anderen Menschen verantwortlich sein. Wird also wieder nix mit irgend nem richtig gutem Weihnachtsessen. Das mag das kleine Kind nämlich nicht. Du kennst ihn ja. Auch daran hat sich nix verändert.

Die vielen Masken, die ich permanent um mich sehe triggern mich wieder manchmal. Vermutlich weil es Dezember ist. Und dieser Monat ist allgemein ein großer Trigger. Ich versuche dennoch es den Kindern so schön wie möglich zu machen. Sie sind wie Du, sie mögen dieses ganze Lichter-Bling-Bling- Last Christmas i gave you my heart- Gedönse. Das ist okay und eigentlich freue ich mich auch für die Zwei, dass ihnen diese Zeit ein ganz besonderes Gefühl zu geben scheint.

Übrigens….ist Dir schon aufgefallen, dass ich Dich im nächsten Monat mit dem Alter einholen werde? Du warst 37,5 Jahre alt, als Du in den Himmel gezogen bist. Genauso alt werde ich nächsten Monat sein. In den Himmel ziehen will ich nicht, ich hab hier unten noch einiges zu erledigen. Ich denke, dass wir uns da Einig sind, okay? Trotzdem fühlt es sich merkwürdig an.

Liebster Simon, mach es Dir schön auf Deiner Wolke. So wie ich Dich kenne, hast Du bestimmt auch eine Lichterkette irgendwo hängen. Anders kann ich mir die wirklich hellen Sterne von letzter Nacht nicht erklären. Einen Adventskalender konnte ich Dir leider nicht machen, dafür esse ich ein paar Dominosteine für Dich mit, okay? Für einen Beachbody ist es dieses Jahr sowieso zu spät.

Mach es gut da oben. Schick uns ab und zu etwas Sonne nach unten. Meinetwegen auch etwas Schnee für die Kids. an meinen Schal denke ich inzwischen übrigens ganz allein, sei stolz auf mich 🙂 Das zumindest hat sich geändert.

May the Force be with you

2 Gedanken zu „Liebster Simon, manche Dinge ändern sich nicht

  1. Liebe Ines, es ist bestimmt schwer in dieser Zeit der Pandemie, in der man eh schon recht isoliert von Familie und Freunden ist, als Grinch wie du einer bist noch Weihnachtsstimmung zu bekommen😕. Doch ich finde es total schön dass du deine Kindern trotzdem diese besondere Zeit besonders sein lässt und Simon wird ganz bestimmt total stolz auf seiner Wolke mit den Lichterketten sitzen

    Liebe Grüße
    Melanie

  2. Deine Texte berühren mich sehr! So sehr, dass ich manchmal weinen könnte… Vielen Dank, dass du uns an Deiner Gefühlswelt und Deiner Welt da draußen teilhaben lässt! Herzliche Grüße und viel Licht und Kraft für diese Zeit, Ulli (aus Hamburg)

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