Lieber Simon; es ist wie es ist

Es sind viele Monate vergangen in dem unser Blog hier brach lag. Gründe dafür gibt es bestimmt einige. Manche kann ich benennen, Andere nicht.

Eigentlich wollte ich es lassen. Von Dir hier zu erzählen. Oder von mir. Von uns. Weil gefühlt alles erzählt ist. Unsere Geschichte hat ein Ende gefunden. So ganz anderes als geplant, aber es war/ist ein Ende. Du bist tot, das ist unwiederbringlich und manchmal schmerzt genau diese Tatsache so sehr, dass ich den Atem anhalten muss. Vier Jahre bist Du fort. Im ersten Jahr war es wie in einem Film, total surreal und ich hatte noch gar nicht recht begriffen, dass Du nie wieder zur Tür hereinkommen wirst.

Das zweite Jahr war das Schlimmste. Die Tatsache, dass Du weg bist war bei mir angekommen. Einfach weg. Erwartet und doch so plötzlich. Ich tat viele Dinge um mich abzulenken; manche davon waren hilfreich. Andere Ideen im Nachhinein einfach nur total dämlich.

Das dritte Jahr. Das war irgendwie wie eine Achterbahn. Es gab viele gute Tage. Einige schlechte. und ein paar ganz widerliche. Aber es ging. Ich hatte das Gefühl langsam wieder Fuß zu fassen und mit beiden Beinen fest im Leben zu stehen. Ich startete neu im Job.

Das vierte Jahr ist grade erst vorbei. Auch hier dachte ich oft „Yes“, läuft wieder. ich datete ab und zu aber etwas daraus geworden ist nie. Vermutlich war das auch besser so. Ich war auf der Suche nach Etwas, dass es nicht zu geben scheint. Schwer zu erklären.

Letztes Jahr im Dezember zogen mein Papa und meine beste Freundin von früher zu Dir in den Himmel. Du hast beide bestimmt schon getroffen dort oben. Mein Papa ist jetzt bei Dir. Mit unter unserem Zauberbaum im Friedwald. Ich hoffe, dass ihr fette Partys feiert und die Regenbogenrutschen mit Neonlichtern und lauter Musik zum Beben bringt. Das mochtet ihr alle immer ganz gern.

Gleichzeitig bekam ein guter Freund von früher im Dezember 21 die gleiche Diagnose, wie Du sie hattest.

Du weißt ja, dass der Dezember für mich einer der schwierigsten Monate ist, aber das alles ist noch mal eine ganz andere Liga.

Seit Januar diesen Jahres trage ich das Wort stellvertretend vor meiner Berufsbezeichnung. Ich habe meine Jobstunden erhöht und irgendwie schien alles zu laufen.

Mein Ablenkmodus lief auf Hochtouren. Bloß nicht an das Wort Tod denken. Einfach immer weiter laufen. Nur weiter, egal wohin der Weg auch führen wird.

Ende Januar erkrankte der kleine Batman an Covid 19. So sehr, dass wir bereits eine Klinikeinweisung in der Hand hielten. Ich wusste bis Dato nicht, wieviel Fieber ein Mensch eigentlich aushalten kann. In mir schrie alles auf. Krank. Schlechte Werte. Klinik. Desinfektionsmittel. Er schlief die Nächte mit seinem glühendem Körper auf meinem Bauch. Weil er anders nicht schlafen konnte. In meinem Kopf liefen Horrorszenarien ab. Ich fühlte mich zu elendig alleine und unfähig diese Situation aushalten zu können. Ich heulte im Bad vor Erschöpfung. Und vor Angst. Du kannst Dir gar nicht vorstellen welche Panik ich hatte. 16 Tage war der Batman im Test positiv. Ich steckte mich während der gesamten Zeit nicht an.

Im Juli, kurz vor den Sommerferien war die Einhornbändigerin Covid 19 positiv. Auch hier; ich hatte Panik, konnte nicht schlafen und versuchte irgendwie alles am Laufen zu halten. Das große Mädchen war zu diesem Zeitpunkt bereits drei mal mit einer Spritze geschützt worden und hatte vermutlich daher auch nur 3 Tage Halskratzen. Ich desinfizierte wieder alles und ständig. Weder der Batman noch ich haben sich angesteckt.

Im Job war/bin ich oft von Covid umgeben, auch hier habe ich mich bisher nie angesteckt.

Liebster Simon, mein Körper hat es nicht verlernt. Er kann es noch. Mein Körper hat Superkräfte und weiß, dass er nicht krank werden darf sondern durchhalten muss. Komme was da wolle. Oder Covid will mich einfach nicht. Das wäre dann jetzt Interpretationssache.

Mein Hirn weiß das leider nicht. Ich bemerke in den letzten Wochen/Monaten dass es mir wieder schwerer fällt. Alles irgendwie. Ich vermiss Dich mehr und schiebe Dinge bis ins Ultimum auf. Unseren Alltag bekomme ich hin. Die Aufgaben mit den Kids auch. Vermüllt ist es hier auch nicht. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass das alles nicht genug ist. Ich merke, dass ich mich im Moment verkapsel, genau wissend dass das nicht gut ist.

4 Jahre und 4 Monate ohne Dich und grade habe ich das erste Mal das Gefühl auf der Stelle zu trampeln oder sogar rückwärts zu gehen. Vielleicht liegt es an der Tatsache, dass der Dezember naht. Die ersten Todestage von meinem Papa und meiner Freundin. Dein Geburtstag. Unser Jahrestag. Weihnachten als nicht komplette Familie.

Grade fühle ich mich einsam. Eigentlich schon das ganze Jahr etwas. Und gleichzeitig will ich zu viel Nähe zu anderen Menschen nicht. Ich bin erschöpft. Weil ständig irgendwas passiert ist und mir gar keine Zeit zum Erholen lässt.

Kannst Du mir sagen ob das jetzt endlich aufhört? Ob es einfach mal eine Phase gibt in der nichts passiert und wir einfach nur im Alltag leben können?

Unsere Geschichte ist geschrieben. Und vorbei. Und doch irgendwie nicht. Unsere Geschichte hat mich geprägt. Sie hat mich stärker gemacht. Und demütiger irgendwie. Aber sie sorgten auch dafür, dass mich die Geschehnisse der letzten 12 Monate echt fast in die Knie gezwungen haben.

Aber nur fast. Denn stehe hier. Ich schicke Dir jeden Abend einen Gute Nacht Kuss in den Himmel und weiß ganz genau, dass Du mir in meinen Hintern treten würdest wenn ich nicht immer wieder aufstehen würde.

„Das Schicksal gibt einem Menschen immer nur so viel, wie er in der Lage ist auszuhalten“, erinnerst Du Dich? Das haben wir uns immer gesagt wenn es besonders schlimm war.

Dieses Witwending ist manchmal auch wie eine Art Krankheit. Am Anfang ist es ganz schlimm. Irgendwann wird es zu Deinem Leben. Und wenn Du denkst, Ja jetzt überlebe ich es kommt das Rezidiv und das Gefühlschaos beginnt von vorn.

Mach Dir also keine Sorgen, ich rock das Ding schon. Vielleicht schreibe ich jetzt doch ab und an wieder hier. Und jammere rum. Oder erzähle von Dir. von uns. Von meinem Papa. Oder meinen Freunden. Hier kann ich Reaktionen wie „Jetzt ist es aber mal gut, das Leben geht weiter“ nämlich viel besser abwehren als in der echten Welt.

Ich bin mir sicher, dass es bald alles wieder etwas einfacher wird. Grüß doch das Schicksal von mir und richte aus, dass ich mich nicht unterkriegen lasse. Komme was da wolle. Auch wenn es manchmal etwas mehr Anlauf braucht.

Ich denk an Dich

May the Force be with you

4 Gedanken zu „Lieber Simon; es ist wie es ist

  1. Guten Morgen Ines, schön wieder von dir zu lesen, auch wenn nicht alles inhaltlich schön ist. Du bist , glaube ich , eine sehr Starke Frau und den Weg den du eingeschlagen hast (insbesondere Beruflich) hilft dir ein gutes Stück das dein Leben wieder Lebenswerter wird. Ich wünsche dir weiterhin die Kraft die du hast und alles Gute, LG Dirk

  2. Liebe Ines, ich hatte Dich schon vermisst. Schön, wiederholen Dir zu lesen. Ich wünsche Dir und den Kindern Gesundheit, Kraft und Lebensfreude. Und natürlich ganz viel Glück!
    Liebe Grüße Hedwig

  3. liebe ines,

    nein, eure geschichte hat kein ende gefunden, es findet weiterhin statt. täglich. mal positiv, mal negativ, mal so lala. es ist nur privater geworden. nicht weniger intensiv, nicht weniger spannend (wenn man als mutter z.b. die entwicklung der kinder verfolgt), nicht weniger abwechslungsreich (ob positiv oder negativ spielt kaum eine rolle).

    auch deine/eure trauer ist nicht vorbei, sie wird es nie sein. ihr lernt mit der trauer zu leben, jeder auf seine individuelle art, aber sie ist teil eures lebens. lass dir bitte von niemandem erzählen „es muss ja auch mal gut sein“. nein, es müsste vielleicht mal gut sein, aber das ist es nunmal nicht. und trotzdem macht ihr weiter, oder vielleicht auch gerade deswegen.

    dass du jetzt 1 jahr nichts hier geschrieben hast ist ok, deine entscheidung. hättest du den blog irgendwann gelöscht, wäre es ebenso ok gewesen, es ist dein/euer leben. wenn du trotzdem ab und an hier schreiben willst tu´s ruhig. regelmäßig oder niur ab und an: wenn es dir hilft deine gedanken zu ordnen, wenn es dir hilft frust abzubauen, mach´s gerne. wir werden auch weiterhin lesen und nicht gross hinterfragen, wieso auch, es ist dein/euer leben, deine/eure entscheidung, und die ist einfahc zu respektieren.

    lg,
    drumschulz

  4. Liebe Ines, wie schön von Dir und Euch zu lesen!!! Tja, ich würde es Dir sehr wünschen, dass es mal etwas ruhiger wird und alles wenigstens halbwegs seinen „gewohnten“ Gang läuft. Gleichzeitig ist es das Leben und wer wüsste nicht besser als Du, dass das im Grunde überhaupt nicht planbar ist… 😉
    Natürlich ist es auch nach vier Jahren völlig ok zu vermissen! Und ich finde es gut, wenn Du darüber schreibst. Kümmere Dich gut um Dich! Liebe Grüße!

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